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Fanatische Neonazis in Fußballstadien – bislang galt das als Problem ostdeutscher Klubs. Aber die Rechtsextremen agieren längst auch anderswo. Die Vereine sind machtlos.
Von Christoph Ruf und Olaf Sundermeyer, zuerst erschienen im stern 46/2010
Für St.-Pauli-Fans ist das „Jolly Roger“ ein Stück Heimat. Viele von ihnen sammeln sich vor Heimspielen in und vor der kleinen Kneipe - das Millerntorstadion liegt nur 100 Meter entfernt, gemeinsam geht es dann auf die Tribüne. Auch vor der Partie gegen Borussia Dortmund Ende September war das „Jolly Roger“ gerammelt voll. Der Anhang des Aufsteigers genoss es, dass nun in der Bundesliga wieder die ganz großen Klubs in St. Pauli spielen. Auch als sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Dutzend Dortmund-Fans formierten und sie mit „Zecken“- und „Schweine“-Rufen provozierten, dachten die Sankt-Paulianer nichts Böses.
Ihre Stimmung Änderte sich, als die BVB-Anhänger „Kommt doch raus, ihr Juden!“ schrien, einmal, zweimal, immer wieder. Einige St.-Pauli-Fans lösten sich nun aus der Gruppe. Es kam zu einer Schlägerei, die erst eine Einheit von Bereitschaftspolizisten beendete.
Der Auftritt war wohl kein Dummejungenstreich der Dortmunder Fans. Schon öfter waren in der jüngeren Vergangenheit Anhänger der Borussia mit Naziparolen aufgefallen. Als sich im Februar 2009 Tausende von Neonazis in Dresden versammelten, um den Jahrestag der Bombenangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg für ihre Propaganda zu nutzen, standen Borussen-Fans in vorderster Linie. Unter ihnen Siegfried Borchardt, 56, besser bekannt als „SS-Siggi“, jener „Fan“, der vor 20 Jahren mit seinem rechtsextremen Fanklub „Borussenfront“ in Deutschlands Fußball-Westen Angst und Schrecken verbreitete. Mit dabei aber auch die junge Generation: Dietrich S. und Alexander D., die über die Fanszene der Borussia zu rechten Gruppen stießen. Heute sind sie Anführer der „Autonomen Nationalisten“, einer nicht nur im Ruhrgebiet aktiven militanten Neonazi-Gruppe. Verfassungsschützer schätzen die Zahl der „Autonomen Nationalisten“ bundesweit auf etwa 800 Personen, sie sind bekannt für ihre Gewaltbereitschaft. Einige Polizeiexperten sehen in dieser Bewegung die mögliche Keimzelle einer „Braunen Armee Fraktion“, die sie als sehr gefährlich einstufen. Die Männer sind kaum als Neonazis zu erkennen, ihre Kluft ist nicht mit Hakenkreuzen übersät, sie tragen bei Aufmärschen schwarze Sonnenbrillen, ansonsten schwarze Basecaps und Allwetterblousons.
Das macht es für Polizei und Vereine juristisch schwierig: Die Zeiten, da rechtsradikale Fans in Bundesligastadien offen und also kriminell mit ihren Symbolen hantierten, sind vorbei, von der Übernahme breiter Fangruppen sind Vereinigungen wie die „Autonomen Nationalisten“ weit entfernt. Auch weil die Vereine gelernt haben und inzwischen sensibilisiert sind – Borussia Dortmund beispielsweise veranstaltet regelmäßig mit jungen Ultra-Fans Fahrten zu KZ-Gedenkstätten. Aber: Neonazis sind im deutschen Fußball nach wie vor präsent – immer noch und schon wieder. Lange Zeit hatten Fans und auch der Deutsche Fußball-Bund das Phänomen Neonazis im Osten Deutschlands verortet, bei Vereinen wie Lokomotive Leipzig, Energie Cottbus oder Hansa Rostock. Aber auch im Westen und Süden gibt es Probleme. „Grundsätzlich bieten Vereine bereits funktionierende Strukturen, die Neonazis einfach nur nutzen müssen“, sagt Stephan Osnabrügge, stellvertretender Vorsitzender des Fußball-Verbandes Mittelrhein.
Der Sozialarbeiter Rolf-Arnd Marewski leitet das Dortmunder Fanprojekt und weiß, dass bei Heimspielen ein solider rechtsextremer Block auf Europas größter Stehtribüne steht, Schulter an Schulter mit den Ultras, jenen aktionshungrigen, unpolitischen Fans, die für die grandiose Stimmung im Dortmunder Stadion sorgen. „Es sind bestimmt 60 Rechte aus der ganzen Region“, sagt Marewski, „vor allem junge, extrem gewaltbereite Leute. Aber ihre rassistischen und antisemitischen Parolen skandieren sie meistens auf den Fahrten zu den Auswärtsspielen.“ Im Stadion bleiben sie unpolitisch.
Josef Schneck, Sprecher von Borussia Dortmund, erklärt, dass „die Polizei und der BVB-Ordnungsdienst einschreiten würden, sobald sich neonazistische Tendenzen in der Fanszene breitmachen sollten“. Der Verein habe aber von solchen Umtrieben noch nichts bemerkt. Schneck betont zudem, dass die beiden großen Ultraorganisationen des BVB sich „von Rassismus und Rechtsradikalismus distanziert haben“.
Allerdings: „Selbst wenn die Neonazis nicht offensichtlich im Stadion agitieren“, so hat es der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer beobachtet, „ist dort für sie der ideale Ort, um neue Leute zu rekrutieren.“ Wer direkt bei den Rechten nachfragt, bekommt dasselbe zu hören: „Im Stadion trifft man eben auch junge Leute, von denen man glaubt, die gehören zur nationalen Bewegung“, sagt NPD-Parteisprecher Klaus Beier. „Die spricht man dann an, die lädt man ein zur nächsten Veranstaltung.“
Oder man schreitet gleich zur Tat: Nach wie vor gibt es im Umfeld von Bundesligavereinen sogenannte Firmen, organisierte, oft unpolitische Hooligan-Gruppen, die sich mit den Firmen anderer Vereine außerhalb der Stadien zu Kämpfen verabreden, 20 Mann gegen 20 Mann. In Dortmund heißt die Kampftruppe „Northside“ - und sie rekrutiert sich zum größten Teil aus Neonazis. Ein Aussteiger berichtet, dass bei den Schlägereien der „Northside“ regelmäßig der Ruf „Sieg Heil“ über den Kampfplatz dröhnt, gepaart mit dem „Hitlergruß“ - es ist das Siegesritual der Gruppe. Trainiert wurde die Truppe zeitweise von einem rechtsextremen Kampfsportexperten, der zur gleichen Zeit auch als Ordner bei Dortmunder Heimspielen eingesetzt wurde.
Naturgemäß finden solche Aktionen weitab der Öffentlichkeit statt. Allerdings sind immer öfter auch prominente Rechte auf den Tribünen zu finden: Der rechtsextreme Liedermacher Felix Benneckenstein („Flex“) ist einer der Köpfe der süddeutschen Naziszene. Zugleich ist er Stammgast im Fanblock des Zweitligisten 1860 München, im Neonazi-Forum „Thiazi“ postet er seine Beiträge mit dem Foto der Löwenmannschaft von 1942, die den Arm zum Hitlergruß reckt. Seit seiner Inhaftierung im Sommer hat „Flex“ allerdings noch kein Spiel live gesehen.
Doch auch ohne ihn findet sich im Block 132 der Allianz Arena - dort trägt 1860 im Wechsel mit dem FC Bayern seine Heimspiele aus - ein beeindruckender Pulk aus Neonazis zusammen. Einige davon zählen zur Führungsebene von NPD und „Autonomen Nationalisten“. Szenegrößen wie Sven G., Maximilian D., Stefan J. oder Martin S. sind ebenso Stammgäste in der Kurve wie Mitglieder der Neonaziband „Feldherren“ oder der Skinhead-Schlägergruppe „Kraken“. Matthias Polt, Chef der NPD Oberland, kommentiert im Naziforum „Thiazi“ das Geschehen um 1860 München.
Auch hier lassen die Rechten nur selten die Maske fallen. Wenn es aber aus ihnen herausbricht, dann stimmt die Vorhut im Block „Sieg Heil in Weiß und Blau“ an. Dann liegen beim Spiel der zweiten Mannschaft auf den Toiletten Flyer für den rechtsextremen „Heldengedenktag“ aus, an dem die bayerische Naziszene der NS-Kriegspolitik huldigt. Dann werden andere Fans als „Volksverräter“ und „Judenfreunde“ beschimpft.
Franz Maget, langjähriger SPD-Fraktionschef in Bayern, ist Vizepräsident von 1860 München, und er weiß um die Hilflosigkeit von Verein und Polizei: „Wenn wir keine juristische Handhabe haben, um gegen diese Leute vorzugehen, ist es natürlich schwierig für uns. Jenen, von denen wir wissen, dass sie rechtsradikal sind, vermitteln wir das Gefühl, dass sie unter Beobachtung stehen. Im Stadion werden sie vom Verfassungsschutz und der Polizei beobachtet - und das wissen sie auch.“
Völlig ungehemmt agieren die vermeintlichen Fußballfans bei offen rechtsradikalen Veranstaltungen: In Dortmund organisieren die „Autonomen Nationalisten“ inzwischen jährlich Anfang September einen Aufmarsch zum Jahrestag des Kriegsausbruchs – der „Antikriegstag“ ist längst zum wichtigsten Treffpunkt für rechtsextreme Fußballanhänger im Westen Deutschlands geworden. In diesem Jahr waren erstmals auch Fans des 1. FC Kaiserslautern dabei. Und Dortmund, 1860 München oder Kaiserslautern sind nur Beispiele für viele andere Vereine, die Probleme mit rechtsextremer Klientel haben.
Die Verbindung Neonazis und Fußball funktioniert ja nicht nur im Profisport, auch auf der Breitensport-Ebene sind die Rechten aktiv: Zusammen mit der NPD hat die „Kameradschaft Aachener-Land“ (KAL) in diesem Sommer im Rheinland ein „Nationales Fußballturnier“ organisiert. 16 Mannschaften mit Namen wie „NS Wuppertal“ oder „Nationaler Widerstand Leverkusen“ spielten um den „Wanderpokal NPD Düren“. Die Skinheadfront Dortmund-Dorstfeld wurde Zweiter. KAL-Chef René Laube freute sich: Man habe „die nationalen politischen Soldaten“ zusammengebracht „für unseren Kampf gegen das System“. Ähnliche Turniere werden in vielen Bundesländern ausgespielt.
Der Präsident des sächsischen Traditionsvereins Lok Leipzig hat erlebt, dass sich die normalen Fans angewidert vom Verein abwenden, weil die Rechten in der Kurve so viel Zulauf bekamen. Als der Klub nach seiner Insolvenz 2003 einen Neuanfang in der 11. Liga wagte, war Präsident Steffen Kubald froh um jeden ehrenamtlichen Helfer. Und wenn diese Helfer Fanartikel aus einem Auto mit dem Kennzeichen L-OK-88 heraus verkauften – „88“ ist der Szenecode für „Heil Hitler“ –, drückte Kubald beide Augen zu. Er dachte, dass diese Jungs die gleiche Liebe zum Verein hegen wie er selbst. Die Reißleine zog er erst, als er merkte, dass ihnen Prügeleien mit der Polizei und NS-Propaganda wichtiger waren als Lok Leipzig. Heute haben viele der Neonazis Stadionverbot. Der Verein ist stolz auf seine Nachwuchsarbeit und darauf, dass Kinder aus 30 Nationen im Lok-Trikot spielen. Kubald: „Ich bin heilfroh, dass wir uns von diesen Leuten getrennt haben. Seit ein paar Jahren können wir mit gutem Gewissen behaupten, dass wir wieder auf einem guten Weg sind.“ Für Kubald jedenfalls sind die Zeiten besser geworden: Die Morddrohungen gegen ihn und seine Familie haben aufgehört.
Foto: joao xavi, via Flickr, cc
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