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Dresden in Bad Nenndorf?


Am 14. August wollen mehr als Tausend Neonazis durch Bad Nenndorf marschieren, um die Geschichte zu verdrehen. Ihre Gegnerinnen und Gegner wollten dies mit einer Blockade verhindern. Durch einen üblen Urteilsspruch verbietet das Verwaltungsgericht Hannover nun die Gegendemonstration.


Marlen hat den 14. August seit Monaten fett in ihrem Kalender angestrichen. Als entschiedene Gegnerin von Nationalismus ist für sie die Reise nach Bad Nenndorf eine Pflicht. Schließlich wollen an diesem Tag wieder mehr als Tausend Neonazis in dem kleinen Kurort 35 km westlich von Hannover aufmarschieren. Die Demonstration der Nationalisten kann wahrscheinlich ungehindert stattfinden, da das Verwaltungsgericht Hannover eine Gegendemonstration verboten hat.

Seit 2006 findet jedes Jahr aufs Neue ein Aufmarsch der Neonazis in Bad Nenndorf statt. Mit ernsthafter Gegenwehr seien die Nationalisten dabei bisher kaum konfrontiert gewesen, berichtet Marlen. Viele Menschen vor Ort hätten zu lange gehofft, das Problem mit den Nazi-Aufmärschen würde sich schon von alleine erledigen, wenn man sie einfach ignoriere. Diese Strategie sei gnadenlos gescheitert, meint Marlen.

Warum ausgerechnet Bad Nenndorf?

Die im Vergleich zu großen Städten bisher geringe Gegenwehr ist aber nicht der einzige Grund dafür, dass die Neonazis ausgerechnet in Bad Nenndorf jedes Jahr aufmarschieren. Ihrer Darstellung nach trauern sie um die Menschen, die während ihrer Inhaftierung im örtlichen Wincklerbad verstorben sind. Das Wincklerbad diente den Briten nach 1945 als Internierungslager, unter anderem für NS-Kriegsverbrecher. Es wurde zwei Jahre später, 1947, aufgrund von Foltervorwürfen geschlossen und die Anschuldigungen in einem Prozess aufgearbeitet. Im Jahre 2005 griff die britische Presse die Thematik wieder auf und die Neonazis fingen an die Geschehnisse für ihre Zwecke umzudeuten.

Jeder positive Bezug auf die Nation, besonders in der extremen Form der Neonazis, braucht einen positiven Bezug auf die nationale Geschichte. Zur deutschen Geschichte gehört die Shoah, der Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch die deutschen Nationalsozialisten. Für ihren positiven Bezug auf die deutsche Nation und Nationalsozialismus versuchen die Neonazis die Geschichte ganz zu verleugnen oder zu verharmlosen und zu verdrehen.

So ist zu erklären, dass die größten Events der sich in Auftreten und Reden scheinbar modern gebenden „autonome Nationalisten“ solche sind, bei denen es darum geht aus deutschen Tätern, Opfer zu machen. In Dresden versucht man die Bombenangriffe der Alliierten zum „Bombenholocaust“ gegen die Deutschen zu verklären, in Wunsiedel versuchten sie jahrelang den Hauptkriegsverbrecher Rudolf Hess zum Märtyrer des Nationalsozialismus zu verklären. Wegen des Wincklerbads habe es die neonazistischen Geschichtsverdreher nun auch auf Bad Nenndorf abgesehen. In ihrer Darstellung ist das Wincklerbad ein „Alliiertes Folterlager“, in dem „gefangen, gefoltert und gemordet“ wurde. Die Deutschen Täterinnen und Täter sollen zu Opfern der „alliierten Gewaltherrschaft“ verklärt werden.

Marlen vermutet, dass der Aufmarsch in Bad Nenndorf außerdem als Ersatz für die inzwischen verbotenen Hess-Aufmärsche fungieren soll. Nachdem der Neonazi-Aufmarsch in Dresden dieses Jahr erfolgreich blockiert werden konnte, braucht die aggressiv nationalistische Szene unbedingt ein Erfolgserlebnis. Genau dies wollen Marlen und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter verhindern.

Dresden nach Bad Nenndorf holen!


Nachdem im letzten Jahr erstmals mehr Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten als Neonazis auf den Beinen waren und der Aufmarsch durch eine kreative Aktion mit einer Pyramide empfindlich gestört wurde, sollte dieses Jahr der Aufmarsch erstmals gänzlich gestoppt werden. Aus Hannover, Bielefeld und Göttingen hatten sich bereits Busse angekündigt, die diese Zielsetzung teilen. Das Bündnis wollte durch einen breiten bürgerlichen Protest gegen den Geschichtsrevisionismus der Neonazis demonstrieren.

Heftiges Urteil: Verbot der Gegendemonstration

Am Donnerstag wurde dieser Plan durch ein heftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zunichte gemacht: Die Demonstration der Neonazis findet statt, die Gegendemonstration bleibt verboten! Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass nicht genügend Polizeikräfte zum Schutz beider Demonstrationen vorhanden sind und die Neonazis ihre Demonstration zuerst angemeldet haben. Dadurch werden die Nationalisten bestärkt, die die Demonstration schon für die nächsten 30 Jahre angemeldet haben. Zudem wurde das Urteil damit gerechtfertigt, dass von den Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten „mehr gewalttätiges Potential“ zu erwarten sei. Welches Zeichen wollten die Richter mit diesem Urteil setzen? Ein Bündnis von Bürgerinnen und Bürgern ist gewaltbereiter als Neonazis?

Das Urteil hat der rechtsextremen Szene Rückenwind gegeben, ihre Strategie scheint aufgegangen zu sein - Marlen und die Unterstützerinnen und Unterstützer des Bündnisses sind fassungslos: Mit allen Rechtsmitteln soll weiter gegen dieses Urteil vorgegangen werden. Wolfgang Thierse, stellvertretender Bundestagspräsident und Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung äußerte sich gegenüber der MUT-Redaktion betroffen: "Dies ist ein auf beunruhigende Weise parteiisches Urteil, dessen rechtliche Begründung nicht überzeugt. Eine solche juristische Parteinahme [...] ist angesichts der deutschen Geschichte erschütternd. "  Es bleibt zu hoffen, dass das Verbot zurückgenommen wird. Sonst würde Bad Nenndorf ein weiteres Jahr dem Geschichtsrevisionismus der Nationalisten überlassen werden.

Von Christoph Müller, mit Ergänzungen von Laura Frey
Foto: Amadeu Antonio Stiftung, c


 

Reportage über die Demonstration 2009

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Demonstration in Peenemünde