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Neonazis tragen Glatze und Springerstiefeln? Manchmal. Im Netz hat sich die islamfeindliche, rechte "Identitäre Bewegung Deutschland" formiert, die als Spaßguerilla auftritt. Wer steckt dahinter?
Von Elias Schneider, mit freundlicher Genehmigung von stern.de
Kaum sind die "Unsterblichen" verboten, taucht der nächste Flashmob auf. Deren Auftritt ist kurz und bizarr. Drei Männer stürmen in den Eingangssaal der Frankfurter Stadtbibliothek, wo Ende Oktober rund 100 Gäste der Eröffnung der Interkulturellen Wochen beiwohnen. Die Eindringlinge sind mit weißen Masken vermummt, einer trägt einen Ghettoblaster mit Techno-Musik. Sie tanzen und halten Schilder in die Höhe: "Multikulti wegbassen!" und "IBD" steht auf ihnen. Nach wenigen Minuten verschwinden die Männer so schnell, wie sie gekommen waren. Erst durch Recherchen im Netz können die Besucher erfahren, um welchen Spuk es sich da handelte - nämlich eine Aktion der Neuen Rechten.
Bis vor kurzem war die "Identitäre Bewegung Deutschland" ausschließlich ein Internet-Phänomen: Anfang Oktober wurde eine Facebook-Gruppe gegründet, derzeit hat sie rund 3000 Mitglieder. Die verwirrten Frankfurter Gäste waren soeben Zeugen der ersten Offline-Aktion der deutschen "Identitären" geworden. Es gibt mittlerweile etliche städtische Untergruppen im Internet; Hamburg, Berlin, München, Nürnberg, Köln und viele andere. Doch was - und wer - stecken hinter dem rechten Internet-Hype?
Pervertierung linker Protestformen
In ihrer Selbstdarstellung präsentieren sich die Identitären - ähnlich wie seinerzeit die "Unsterblichen" - als Aktionisten einer Generation, die sich dem Identitätsverlust des Westens und der angeblichen Islamisierung entgegenstellt: eine vermeintlich spontane Jugendbewegung à la Occupy, hip und trendy. Die Macher bemühen sich Abgrenzung zur alten Rechten, sowie um den Kontakt zum gemäßigteren Publikum: "Identität ist bunt, nicht braun, und auch nicht Multikulti" oder "100% Identitär - 0% Rassistisch" lauten die Slogans. Ihre Vorbilder finden die deutschen Mode-Rechten im Ausland: In Frankreich störten am 20. Oktober rund 60 Identitäre das Morgengebet in einer Moschee in Poitiers und besetzten das Dach des Gebäudes. Und auch in Österreich gibt es eine Bewegung: Am 1. Oktober störten mit Affen- und Schweinsmasken vermummte rechte Aktivisten eine Caritas-Veranstaltung. Sie riefen rassistische Parolen und sprangen zu Techno-Musik umher, in den Händen Schilder mit Slogans wie "Zertanz die Toleranz!". Dass die Auftritte auch beunruhigen sollen, gehört zum Konzept der rechten Spaß-Guerilla. Eine Zeugin des Wiener Zwischenfalls erinnert sich: "Es dauerte nur drei Minuten, aber es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, ich hatte Angst".
Die Art der Auftritte, egal ob in Frankreich, Österreich oder Deutschland, erinnert an den bunten Mix ursprünglich linker Protestformen. Techno-Musik ist Bestandteil von Demonstrationen gegen Gentrifizierung oder auch Castor-Transporte. "Atomkraft wegbassen!" ist zum Beispiel ein Aktionsbündnis, das seit mehreren Jahren auf Anti-Atom-Demos die Menge beschallt. Der Verein "Hedonistische Internationale" stürmt zu elektronischer Musik in kleinen Gruppen Besichtigungen für überteuerte Wohnungen in ehemals bezahlbaren Vierteln - nackt und mit Tiermasken. Die IBD kopiert und pervertiert diese Ausdrucksformen für ihren Zweck, um ein junges Publikum anzusprechen und zu gewinnen. Auch die Ästhetik des Gesamtauftritts dient diesem Ziel. Das Logo der Identitären ist der griechische Buchstabe Lambda, er ziert die Schilde der Spartaner in dem Hollywood-Film "300", der in der rechten Szene aufgrund seiner Kriegsästhetik beliebt ist . Auch Fotos aus dem Film "Avatar" oder von Brad Pitt finden sich im Arsenal der IBD.
Anti-islamisches Programm
Programmatisch umgeben sich die Identitären mit dem Glanz des jungen, frischen, patriotischen und irgendwie anderen - und beschreiten doch altbekannte Pfade der neuen Rechten. Slogans wie "100% Identitär - 0% Rassistisch" klingen zunächst unverfänglich. Auf der Website der Identitären werden die Motive dann aber eindeutiger: "Uns Identitären geht es um den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, die heute durch den demographischen Kollaps, die Massenzuwanderung und die Islamisierung bedroht ist. [...] Als Patrioten können wir unsere Heimat in der Stunde der Gefahr nicht im Stich lassen. Jeden Identitären drängt es zur Tat." In den folgendenden Zeilen wird die vermeintliche Übermacht der Political Correctness in Deutschland denunziert und ein "manischer Antifaschismus" angeprangert, der alles und jeden "als Nazi diffamiere" - ein Sound, der sich mit den Texten auf islamfeindlichen Blogs wie "Politically Incorrect" oder Artikeln der Partei "Pro Deutschland" deckt.
Wer das Internet-Manifest der IBD bis zum Ende liest, staunt über die Verworrenheit der Argumentation. Rassismus und Nationalismus seien angeblich uncool. Aber, Überraschung, nur wenige Sätze später heißt es: "Zudem geht heute der größte Rassismus in unserem Land von migrantischen Banden gegen Deutsche aus, weswegen unser Kampf gegen diesen antideutschen Rassismus für uns auch ein selbstbewusstes und entschlossenes Auftreten in unseren eigenen Städten bedeutet". Von Trennung nach Kultur und "Rasse" ist die Rede - die Wortwahl der Neonazis mischt sich mit der Ideologie eines Anders Breivik.
Professionelle Hintermänner
Wächst hier eine gefährliche neue rechte Jugendbewegung heran, oder handelt es sich eher um ein zu vernachlässigendes Internet-Phänomen, welches nicht mehr als Fünf-Personen-Flashmobs hervorbringt? Die Antwort ist: beides ist möglich. Selbst einschlägige rechtsextreme Medien rätseln noch, wie das Phänomen zu bewerten sei - erstaunlich ist aber in jedem Fall die Geschwindigkeit und die Professionalität, mit der sich die Bewegung vor allem im Netz ausbreitet. Dieser Meinung ist auch Anna Groß von 'No-Nazi.net'. "Es wurde sehr gut vorbereitet, wir gehen davon aus, dass bekannte, professionelle Hintermänner die Koordination übernommen haben", sagt sie stern.de.
Die Frankfurter Rundschau bezeichnete Götz Kubitschek als einen möglichen Hintermann. Der Publizist und Gründer der rechten Denkfabrik "Institut für Staatspolitik" (IfS) besuchte am vergangenen Wochenende den Kongress der französischen Identitären, "um abzugleichen, was wir in Deutschland noch machen könnten", wie es in einer Ankündigung hieß. Die Website des IfS berichtet überdurchschnittlich häufig über die IBD und die dort tätigen Autoren schreiben auch für die rechten Blätter Blaue Narzisse und Junge Freiheit. Die Blaue Narzisse wiederum koordiniert den Versand der IBD-Flyer und Sticker.
Doch trotz professioneller Hilfe gelingt den Identitären der Schritt aus der Virtualität bisher nur bedingt. Die lokalen Untergruppen haben selten mehr als eine Handvoll Mitglieder; in Berlin musste eine Aktion vor einigen Tagen aus Mangel an Mitstreitern abgesagt werden. Anna Groß hofft, dass die Bewegung genauso schnell wieder verschwindet, wie sie aufgetaucht ist.