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Demokratie feiern auf dem Politikfestival in Paretz

Die Initiatorinnen und Initiatoren vom Verein Respublica nennen ihr Politikfestival zunächst einmal vorsichtig ein Experiment. Es gibt bereits einige Ansätze, wie Demokratie gefeiert werden kann. Menschen in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark setzen die Idee schon seit Jahren mit politischen Wochen und Festivals erfolgreich um. Sie versuchen, Brücken zu schlagen zwischen der Parteienpolitik verschiedener Ebenen und dem politischen Denken und Handeln im Alltag der einzelnen Menschen. Aber wie die Ansätze aus den skandinavischen Ländern auf Deutschland übertragen werden können, das muss erst einmal erprobt werden. Beim ersten Politikfestival in Paretz in Brandenburg ist die Bühne frei für Diskussionen, Austausch, gemeinsame Kreativität und nicht zuletzt: die Freude an eigener Beteiligung.

Spaß haben kann man nicht nur beim abendlichen Poetry-Slam und den zahlreichen Konzerten. Auch in der großen Scheune gleich neben dem Kirchgarten klatscht und singt das Publikum zu den Songs, die die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Bremen-Ost und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gemeinsam spielten. Seit die Philharmonie ihre Räume in der Gesamtschule bezogen hat, arbeiten Musikerinnen und Musiker, Schülerinnen und Schüler nicht nur Tür an Tür, sondern bringen jedes Jahr gemeinsam mit bis zu 700 Mitwirkenden aus Bremen Osterholz-Tenever eine Stadtteil-Oper auf die Bühne. Das Entscheidende dabei ist, wie Albert Schmitt, der Geschäftsführer der Kammerphilharmonie zusammenfasst, dass sich vor Ort durch den Zuzug der Philharmonie alleine nichts geändert hat. Es sind die Menschen aus dem Stadtteil und die Schule selbst, die etwas aus ihren neuen Möglichkeiten machen.

Innovativen Ideen eine Chance geben

Bei einer Ideenwerkstatt zu sozialen Innovationen können in generationsübergreifenden Arbeitsgruppen eigene Wunschprojekte entwickelt werden, die im Sinne sozialer Verbesserungen die Gesellschaft voranbringen sollen. Die Zielgruppe, die es anzusprechen und das gesellschaftliche Problem, das es zu lösen gilt, sind jeweils vorgegeben. Ein Name für die Idee, ein Slogan, eine Mission und eine Möglichkeit der Finanzierung bilden den Rahmen, in dem die Arbeitsgruppen ihre eigenen sozialen Erfindungen ausarbeiten sollen. Dabei gilt, die Vorschläge Anderer nicht gleich darauf zu prüfen, was daran nicht aufgeht, sondern sie anzunehmen, sie zu erweitern und auf ihnen aufzubauen und damit das Unmögliche zu denken. In dieser Herangehensweise entsteht zum Beispiel die Idee einer Datenbank, die arbeitslose Jugendliche in ihren Weiterbildungsprogrammen an soziale Projekte vermittelt. Unter dem Slogan "Ohne uns keine Zukunft" können die Jugendlichen, so die Grundidee, durch eine größere Wertschätzung ihrer Fähigkeiten und Talente ein Bewusstsein für ihre eigenen Potentiale entwickeln.

Strategien gegen Nazis im ländlichen Raum

In einem Workshop der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Titel "Ich sehe was, was du nicht siehst - Wenn die Verwaltung auf dem rechten Auge blind ist" entsteht eine Diskussion darüber, wie zivilgesellschaftliche Akteure unterstützt werden können, die sich in ihrer Kommune gegen Nazis einsetzen. Was tun, wenn eine Gruppe von jungen Menschen den Angriffen rechter Schlägerinnen und Schläger ausgesetzt ist, aber in der Verwaltung nicht ernst genommen wird, weil sie selbst nicht ganz in die Schablone des guten Bürgers passen? Was tun, wenn die leerstehenden Häuser im Ort nach und nach von NPD-Funktionären aufgekauft werden, während die Verwaltung Bedenken hat, durch ein Einschreiten ihre Neutralitätspflicht zu verletzen? Swantje Tobiassen, Projektleiterin im Projekt Region in Aktion – Kommunikation im ländlichen Raum rät dazu, weitere Initiativen und Einzelpersonen vor Ort ausfindig zu machen. Sie greift damit auf Erfahrungen aus dem Projekt Region in Aktion zurück, das seit 2011 in zwei ländlichen Regionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern durch partizipative Projekte aus den Bereichen der kulturellen Bildung und der darstellenden Kunst die demokratische Kultur vor Ort gestärkt hat. Das Projekt beweist: wenn lokale Akteure aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen untereinander vernetzt und in ihrem Engagement unterstützt werden, entstehen vor Ort starke und nachhaltige Netzwerke und Initiativen gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus. Dass es bei diesem Thema auf dem Festival noch dringenden Redebedarf gibt, zeigen die Berichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops von eigenen Erfahrungen in ihren Kommunen.
Demokratie feiern –wie geht das eigentlich? Und vor allem: wo?

Bei der abschließenden Open Space-Reflexion am Freitagnachmittag ging es dann schon wieder weniger um die Frage, welche Themen beim nächsten Mal mehr Raum bekommen sollten, als darum, ob der Veranstaltungsort richtig gewählt war oder das nächste Politikfestival lieber in Berlin stattfinden sollte. Die Frage, ob ein Festival dieser Art seinen Besucherinnen und Besuchern tatsächlich Lust auf politische Beteiligung machen kann, beantwortete die Runde dennoch entschieden mit: "Ja, kann es! Zum Beispiel, indem es neben Politikerinnen und Politikern auch Musikerinnen und Musiker, Kunstschaffende, lokale Vereine und soziale Visionäre erzählen lässt, wie sie für eine demokratische und inklusive Gesellschaft eintreten. Und indem es offene Räume für Auseinandersetzungen und Kreativität schafft.

Indem das Politikfestival Paretz sich von der Metropole entfernt und seine Zelte auf dem Dorf aufgeschlagen hat, setzte es schon mal ein klares Zeichen: Politische Beteiligung ist nicht die Sache der Hauptstadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, sie ist eine Aufgabe für alle. Dazu ist es wichtig dort zu sein, wo die Menschen sind – und das ist eben auch im ländlichen Raum.

Von Anja Schwalbe
 

 

Politikfestival Paretz. Foto: © Mut gegen rechte Gewalt