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Der größte Neonazisaufmarsch in Europa wurde letztes Jahr erfolgreich blockiert. Diesmal marschieren die Neonazis an zwei verschiedenen Wochenenden: am 13. und am 19. Februar. Am 13. Februar wurde die Neonazidemonstration durch Proteste verkürzt. Auch am 19. Februar sind viele Proteste zu erwarten.
Von Nora Winter
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Aktuelle Terminübersicht
Samstag, 19. Februar 2011
8.30 Uhr Treffpunkt der Gegendemonstrierenden an der Marienbrücke (je nach dem auf welcher Stadtseite man sich befindet: Marienbrücke/Kleine Marienbrücke/Antonstraße oder Devrienstraße/Marienbrücke/Könneritzstraße)
ab 12 Uhr Treffen der Neonazis zur Großdemonstration, die 14 Uhr beginnen soll. Die Stadt hat die Demonstrationen verboten und nur eine stationäre Kundgebung am Platz vor dem Cottaer Gymnasium erlaubt. Die Neonazis haben erfolgreich einen Eilantrag beim Dresdner Verwaltungsgericht eingereicht. Das Gericht befand das Vorgehen der Stadt für rechtswidrig. Unklar ist, ob die Stadt noch Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht in Bautzen einlegt. Bisher ist von drei Neonazidemonstrationen auszugehen.
Mahnwache "Wir schützen die Synagoge", St. Petersburger Straße
11-18 Uhr Mahnwachen "Raum für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe - Mahnen und Beten für unsere Stadt" an allen evangelisch-lutherischen, evangelisch-methodistischen und katholischen Kirchgemeinden im Dresdner Stadtgebiet
Radio: UKW: 98,4 und 99,3 (Coloradio) ab 12 Uhr, im Internet: www.coloradio.org
WAP-Ticker fürs Handy: www.wap.dresden-nazifrei.com
Twitter: twitter.com/dd_nazifrei
Infotelefon: 0351 / 41 88 99 70
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Zum ersten Mal ist es 2010 gelungen, den größten Neonazi-Aufmarsch Europas zu verhindern. Dazu beigetragen hat ein breites Bündnis und vor allem eine hitzige Diskussion über die Legalität von Blockaden. Die Dresdner Staatsanwaltschaft verbot 2010 das Plakat des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ und erreichte damit das genaue Gegenteil: Viele Einzelpersonen, Vereine und Parteien solidarisierten sich mit der Kampagne und nahmen an den Blockaden teil. So gelang es, dass die Neonazis den ganzen Tag in der Kälte ausharren und dann wieder nach Hause fahren mussten. Wiederholt sich dieser Erfolg in diesem Jahr?
Warten auf die Gerichte
Am 19. Januar 2011 hat das Verwaltungsgericht Dresden die Blockaden vom letzten Jahr für rechtswidrig erklärt. Was das für die geplanten Proteste in diesem Jahr bedeutet, muss sich erst noch zeigen. Die Stadt Dresden legte Widerspruch beim Oberverwaltungsgericht Bautzen gegen das Urteil ein. Auch die Polizei weiß nicht so recht, wie sie das Urteil bewerten soll. Eine Durchsetzung der Neonazidemonstration hätte vermutlich schwere Auseinandersetzungen hervorgerufen und wäre nur mit größter Gewalt zu erreichen gewesen. Die Gegenbündnisse rufen ungeachtet dessen weiterhin zu Blockaden in Dresden auf. Auch 18 Bundestagsabgeordnete von SPD, den GRÜNEN und der LINKEN rufen zur Demonstration auf.
Fakelmarsch am 13. Februar
Am 13. Februar will wie jedes Jahr das „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“ zusammen mit der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ einen Fakelmarsch abhalten. Dieser Marsch ist kleiner angelegt und mobilisiert eher das regionale Spektrum der Neonazisszene und die „Autonomen Nationalisten“. Voraussichtlich wird der Fakelmarsch ab 15 Uhr in einem Neubaugebiet Dresdens stattfinden. Genaue Angaben sind noch nicht bekannt. Proteste werden von regionalen Gruppen organisiert. Interessant ist der Stadtrundgang „Auf den Spuren der Täter“, angeboten vom Bündnis „Dresden Nazifrei“ als Gegenveranstaltung. Informiert wird über die Geschichte des NS in Dresden (13.2., 11 Uhr). Wer an dem Termin nicht kann, dem sei das Audioscript zu einem anderen Stadtrundgang über die Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden von 1933 bis 1945 empfohlen.
Neonazigroßevent am 19. Februar
Für Samstag, den 19. Februar, mobilisieren Neonaziorganisationen dann europaweit zum Aufmarsch „Recht auf Gedenken – Der Wahrheit eine Gasse!“. Somit wird in diesem Jahr der 19. Februar zum Massenevent der Neonazis. Im letzten Jahr trafen sich in Dresden rund 6.000 Neonazis aus Deutschland, Tschechien, der Slowakei, Frankreich und Spanien, um der „Opfer der Alliierten“ zu gedenken. Ob NPD, JN, Kameradschaftsszene oder Autonome Nationalisten – alle waren sie jedes Jahr dabei. Wahrscheinlich werden die Neonazis versuchen mehrere Demonstrationen anzumelden, um eine Blockade wie im letzten Jahr zu verhindern. Doch in Leipzig ist im Herbst 2010 diese Strategie schon gescheitert. Sollte es trotz verzweifelter Versuche der Neonazis weiterhin gelingen, den Aufmarsch zu verhindern, werden die Teilnehmerzahlen der Neonazis zukünftig wohl nach unten gehen. Um diese Hoffnung wahr werden zu lassen, mobilisiert „Dresden Nazifrei“ zu Massenblockaden am 19. Februar. Anreisemöglichkeiten wird es aus dem gesamten Bundesgebiet geben. Um noch mehr Menschen gegen die Neonazis auf die Straße zu bekommen, gibt es nun auch die Kampagne „Bring2“. Alle, die im letzten Jahr da waren, sollen nun noch zwei Freundinnen oder Freunde mitbringen.
Mythso Dresden
Doch auch wenn der Neonaziaufmarsch in Zukunft durch erfolgreiche Proteste kleiner werden sollte, ganz vorbei wird der Spuk nicht sein. In Dresden gibt es viele Orte, die Schauplatz für seltsame Geschichtsdeutungen werden und damit potentiell auch für Neonazis anschlussfähig sind. So ist es immer noch der „Mythos Dresden“, der durch viele Köpfe geistert. Als unschuldige Kulturstadt sei Dresden gänzlich ungerechtfertigt durch die Alliierten bombadiert worden. Doch auch in Dresden wurden 1933 Bücher verbrannt, die NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ fand auch hier viele Besucherinnen und Besucher, Privatbanken aus jüdischem Besitz wurden an die Dresdner Bank angeschlossen, Zwangsarbeiterinnen und –arbeiter mussten in der Rüstungsindustrie arbeiten, der Bahnhof Dresden-Neustadt war ein wichtiger militärischer Umschlagplatz. Aber an Orten wie dem Heidefriedhof wird die Bombardierung Dresdens schlicht mit der systematischen Vernichtung von Jüdinnen und Juden gleichgesetzt: In einem Säulenrondell findet sich Dresden hier zusammen mit Auschwitz oder Bergen-Belsen in einer Reihe. So betrachtet sind dann alle einfach Opfer des Krieges. Wie dieser Krieg zustande kam, wer ihn angefangen hat, wer alles mitgemacht hat – diese Fragen verschwimmen in einem allgemeinen „Wir sind alle Opfer“-Diskurs.
Foto: Neonaziaufmarsch Dresden 2010, JN Sächsische Schweiz, von sr, c