Am Mittwoch, den 5. November 2008, beginnt am Landgericht Magdeburg die Berufungsverhandlung gegen zwei Männer und eine Frau, die am 21. Dezember 2007 eine damals 19-jährige alternative Frau brutal zusammengeschlagen und ihr im Gesicht „potenziell lebensgefährliche“ Verletzungen zugefügt hatten. Der offenkundig rechtsextreme Hintergrund der Tat interessierte vor Gericht bislang nicht.
Das Amtsgericht Halberstadt verurteilte die Angeklagten am 24. April 2008 u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen von anderthalb Jahren für David S. (28), zwei Jahren für Patrick P. (25) und dreieinhalb Jahren für die einschlägig vorbestrafte Rädelsführerin Antje W. (22). Alle drei Angeklagten hatten gegen das Urteil Berufung eingelegt.
In der Nacht vom 21. zum 22. Dezember 2007 kurz vor Mitternacht trafen die drei Angeklagten in einer Parkanlage in Halberstadt zufällig auf die damals 19jährige Betroffene. Mit der Frage, ob sie „links sei“ wurde sie von Antje W. auf den Rasen geschubst. Dann schlug die Angeklagte die Betroffene mehrfach mit der Faust ins Gesicht und drohte damit, sie zum Bordstein zu ziehen – eine Anspielung auf den so genannten „Bordstein-Kick“ aus dem Film American History X , bei dem den Opfern das Gesicht und Genick zertrümmert werden, indem sie gezwungen werden, den Kopf auf die Bordsteinkante zu legen und die TäterInnen dann zutreten. Die Drohung mit dem Bordstein-Kick löste bei der Betroffenen Todesängste aus, zumal Antje W. die 19-Jährige dann zu der Aussage zwang, dass sie „heute sterben werde“. Antje W. ließ erst von diesem Plan ab, als die beiden Männer sich weigerten „da“ mitzumachen. Stattdessen setzte sie sich auf die Betroffene und versetzte ihr erneut mehrere Faustschläge ins Gesicht, während David S. den Kopf der jungen Frau festhielt und Patrick P. die 19Jährige sexuell belästigte. Als sich die Betroffene dagegen zu wehren versuchte, traten alle drei Angreifer auf sie ein.
Bleibende Taubheit der linken Gesichtshälfte
Die junge Frau erlitt durch die Schläge und Tritte gegen den Kopf u.a. einen Augenhöhlenbruch, der operativ behandelt werden musste und eine mit hoher Wahrscheinlichkeit bleibende Taubheit der linken Gesichtshälfte bedeutet. Die Gutachterin vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Magdeburg stufte die Verletzungen der Betroffenen als „potenziell lebensgefährlich“ ein.
Während die Vertreterin der Staatsanwaltschaft Halberstadt von einem „Motivbündel“ der Angreifer sprach und gemeinsam mit der Verteidigung behauptete, die Gewalt der Angreifer hätte „jeden treffen können“, gehen Nebenklage und Betroffene von einem eindeutig politisch rechts motivierten Angriff aus: Schon die Eingangsfrage der Angreifer an die Betroffene „Bist du links?“ macht deutlich, dass das Motiv der Angreifer die vermeintliche Zugehörigkeit ihres Opfers zur alternativen Jugendszene, sowie die Zugehörigkeit der Angeklagten zur rechten Szene darstellt. Ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt: „Hier wird wieder einmal deutlich, dass es auf Seiten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts offenbar immer noch Wahrnehmungsprobleme gibt. Aus unseren Erfahrungen genügt es oftmals schon, nicht-rechts zu sein, um Opfer von rechten Schlägern zu werden.“
Rechtsextremen Zusammenhang ignoriert?
Im erstinstanzlichen Prozess beim Amtsgericht Halberstadt hatte ein Staatsschutzbeamter ausgesagt, dass noch ein Ermittlungsverfahren gegen Antje W. wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen anhängig ist. Sie soll nach der Tat aus dem Streifenwagen rechtsextreme Parolen gerufen haben und bei Ankunft im Revier Patrick P. mit „Sei gegrüßt Kamerad“ und „Heil Hitler“ begrüßt haben. Dieser Vorgang war erst gar nicht Bestandteil der Akte und der vorsitzende Richter Selig sah auch gar keinen Zusammenhang zwischen diesen eindeutig rechtsextremen Straftaten und dem Angriff auf die 19-Jährige. Der Richter wollte diese trotz Hinweisen der Nebenklage, dass das Nachtatverhalten wesentlich für die Frage der Tatmotivation ist, nicht erörtern.
Obwohl es in diesem Fall zu einer vergleichsweise schnellen Verurteilung der Angreifer kam, war das Ermittlungsverfahren geprägt von Fehlern und Versäumnissen von Seiten der Polizei und Staatsanwaltschaft. Ein polizeiliches Video der Angeklagten, das nach der Verhaftung angefertigt wurde, war den Prozessbeteiligten zunächst überhaupt nicht zur Kenntnis gebracht worden und konnte dann im Prozess auch gar nicht mehr verwendet werden. Denn Polizeibeamte hatten die Angeklagte vor Drehbeginn nicht korrekt belehrt und sie getäuscht, indem sie versicherten, die Kamera sei nicht eingeschaltet. Darüber hinaus hatten Polizeibeamte ohne Wissen der Staatsanwaltschaft Nachvernehmungen durchgeführt. Die auf dem Mobiltelefon der Angeklagten gespeicherten rechtsextremen Inhalte, die zur Aufklärung der Tatmotivation wichtig gewesen wären, konnten vor Gericht nicht verwendet werden, weil die Ermittlungsbehörden keinen richterlichen Beschluss dafür eingeholt hatten. Dazu die Nebenklägervertreterin Rechtsanwältin Götz: „Es ist anzuerkennen, dass in diesem Fall schnell ermittelt wurde. Umso ärgerlicher ist es aber, wenn man dabei über das Ziel hinausschießt und unverwertbare Ermittlungsergebnisse produziert.“
Quelle: www.mobile-opferberatung.deZum Thema: "Ich schlag Dich tot" -
Neoaziüberfall in Itzehoe am 2.11.2008
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk