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Iraker mit Totschläger angegriffen

Am Donnerstag verkündete das Amtsgericht Halberstadt nach dreitägiger Hauptverhandlung das Urteil im Prozess wegen eines rassistisch motivierten Angriffs auf zwei irakische Flüchtlinge: Wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung wurde der heute 23-jährige Angeklagte Thomas N. zu einem Jahr Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteil. Zudem muss er 500 Euro an den „Verein zur Wahrung jüdischen Erbes in Halberstadt und Umgebung“ zahlen. Endlich einmal ein Verfahren, das aus Opferperspektive gerecht verlief.

Die heute 18- und 20-jährigen Stephan N. und Andreas L. wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt und müssen 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten. Da das Gericht nicht zweifelsfrei habe feststellen konnen, ob sich alle drei Angeklagten an den rassistischen Beleidigungen vor dem Angriff beteiligt hatten, fand eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht statt, obwohl der heute 23Jährige zugegeben hatte, „Scheiß Kanake“ gesagt zu haben. Nichtsdestotrotz gingen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht von einer rassistischen Motivation für die Tat aus. Zudem benannten sie „Sozialneid“ als weiteres Motiv.

Zu Beginn der Verhandlung am 21. Oktober hatten die drei Angeklagten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestritten. Auf Nachfragen verneinten sie auch eine Zugehörigkeit zur rechten Szene. Demgegenüber verwies die Jugendgerichtshilfe bei dem Angeklagten Andreas L. darauf, dass der heute 20-Jährige zuletzt am 8. März 2008 vom Amtsgericht Halberstadt wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.

Zu dem Angriff am 3. April 2007:

Die beiden irakischen Flüchtlinge wurden vor mehr als eineinhalb Jahren gegen 2 Uhr morgens im Bereich der Rathauspassage in der Halberstädter Innenstadt unvermittelt von drei Männern als „Kanaken“ beschimpft. Als die Iraker weitergingen, wurden sie von dem Trio verfolgt. Bald gelang es den Männern einen der beiden Iraker, der aufgrund einer Gehbehinderung nicht schnell genug weglaufen konnte, einzuholen. Mit einem Tritt in den Rücken brachten sie den damals 25-Jährigen zu Fall. Mit einem so genannten „Totschläger“ schlug dann einer der Angreifer auf den am Boden liegenden Betroffenen ein, während die beiden anderen Angreifer auf ihn eintraten.

Als sein 30-jähriger Begleiter ihm helfen wollte, wurde auch er von der Gruppe angegriffen. Daraufhin versuchte der 25-jährige Betroffene, seinen Bekannten wegzuziehen, doch plötzlich ging einer der Angreifer mit einem Messer auf den Flüchtling los. Eine Ausweichbewegung verhinderte schlimmeres: die Klinge traf den Betroffenen lediglich an den Händen. In diesem Moment trafen Polizeibeamte ein, die die Angreifer nach kurzer Verfolgungsjagd vorläufig festnahmen. Der 25-Jährige erlitt durch den Angriff erhebliche Verletzungen an Kopf, Brustkorb, Rippen, Becken und im Genitalbereich sowie eine blutende Schnittverletzung.

Zum Hintergrund des Verfahrens:

Obwohl alle drei Tatverdächtigen noch vor Ort von der Polizei festgestellt wurden, stellte die Staatsanwaltschaft Halberstadt Mitte September 2007 das Ermittlungsverfahren „mangels hinreichenden Tatverdachts“ nach § 170 II StPO ein, weil die Geschädigten die Täter bei einer Lichtbildvorlage nicht mit hundertprozentiger Sicherheit wiedererkannt hätten. Die Betroffenen wurden darüber nicht informiert. Erst nachdem die Rechtsanwältin des heute 26-jährigen Betroffenen Mitte Januar 2008 Akteneinsicht beantragte, wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ende April 2008 erhob die Staatsanwaltschaft schließlich Anklage gegen alle drei Beschuldigten.

Obwohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht bekannt war, dass der bei dem Angriff erheblich verletzte Betroffene währenddessen Todesängste ausstehen musste, sich wegen seiner Traumatisierung weiterhin in psychologischer Behandlung befindet und zudem aufgrund seiner Schwerbehinderung auf starke Schmerzmittel angewiesen ist, argumentierten sie gegen die Beiordnung seiner Rechtsanwältin. Bereits vor Beginn der Hauptverhandlung erklärte die Staatsanwaltschaft, die Sache weise „keine großen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten auf“. Dem entsprechend lehnte der zuständige Jugendrichter am Amtsgericht Halberstadt vor Prozessbeginn die Beiordnung der Rechtsanwältin als Nebenklagevertreterin ab, da der Betroffene seine Rechte ohne anwaltlichen Beistand wahrnehmen könne.

Jutta Hermanns, die Rechtsanwältin des heute 26-Jährigen, hält ihre Kritik an der Staatsanwaltschaft Halberstadt weiter aufrecht: „Mein Eindruck, dass die Ermittlungen erst weitergeführt wurden, nachdem ich mich zur Akte gemeldet habe, wurde nicht entkräftet.“ Richter Balko hatte in seiner heutigen Urteilsbegründung behauptet, es sei lediglich „vorläufig eingestellt“ worden, weil noch auf die Ergebnisse eines DNA-Gutachtens vom Landeskriminalamt gewartet worden sei. „Dies widerspricht der aus der Akte ersichtlichen Begründung für die Einstellung und erscheint sehr als nachträgliche Rechtfertigung“, so die Rechtsanwältin weiter. Das Gutachten lag der Staatsanwaltschaft Halberstadt zudem bereits im Dezember 2007 vor, aber auch danach war bis zur Meldung der Anwältin nicht weiterermittelt worden.

Der bei dem Angriff erheblich verletzte irakische Flüchtling ist seiner Rechtsanwältin sehr dankbar. Ohne ihr Tätigwerden wären die Täter seiner Einschätzung nach nicht zur Rechenschaft gezogen worden. „Ich hoffe, dass das Urteil abschreckend wirkt und dazu beiträgt, dass so etwas nicht wieder vorkommt“, kommentiert er den Ausgang des Prozesses.

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