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"ERINNERN heißt HANDELN"

In Berlin haben aus Anlass des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und Vertreter der Initiative "GEH DENKEN" bundesweit zur Teilnahme am Protest gegen Europas größten Neonaziaufmarsch am 14. Februar in Dresden aufgerufen.

"Humanität und Demokratie" müssten gegen "den Angriff von rechts außen" verteidigt werden, sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) bei einer Pressekonferenz in der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. "Dies ist nicht mehr nur eine Sache der Dresdner", unterstrich Thierse. Sicherlich gehöre es an diesem Tag in Dresden auch dazu, "dass Deutsche ihren Kriegsopfern gedenken, aber damit dies möglich ist, müssen wir diese Trauer verteidigen gegen die verlogene Inanspruchnahme durch die Neonazis.“ Gedenken und Erinnern heiße für ihn, "heute zu handeln".

Wolfgang Thierse und Anetta Kahane
Wolfgang Thierse und Anetta Kahane

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und Anetta Kahane

Die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, forderte dazu auf, "Zusammenhänge zwischen der Zerstörung Dresdens, dem Holocaust und der Politik der Nationalsozialisten" herzustellen. "Es wird so getan, als habe der 13. und 14. Februar mit dem 27. Januar gar nichts zu tun", sagte Kahane. Gänzlich fatal sei es, wegzuschauen und so zu tun „als ob die gar nicht laufen“. Wer so handele, verkenne die Dimension, in der sich Neonazis inzwischen wieder europaweit miteinander vernetzten. Bis zu 8000 von ihnen werden in Dresden erwartet. Und wie viele Bürger, die dagegen halten? „Auf jeden Fall mehr!“ versprachen die „GEH DENKEN“-Initiatoren.

neonazis in dresden 2006 mit Banner Großvater wir danken dir...
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Neonazis in Dresden 2006

NPD und Neonazikameradschaften mobilisieren jedes Jahr in ganz Europa zur Teilnahme an ihrem Aufmarsch am 14. Februar anlässlich der Zerstörung Dresdens vor 64 Jahren. Es dürfe jedoch nicht sein, „dass diejenigen, die Verantwortung für Weltkrieg und Holocaust tragen, versuchen, sich als eigentliche Opfer zu verstellen und so den Holocaust zu relativieren“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anneliese Buntenbach und appellierte bei der Pressekonferenz: "Wo viele Demokraten auf die Straße gehen, wird kein Platz für Neonazis sein." Auch die Vorsitzende der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, die Pfarrerin Ruth Misselwitz, forderte mit Blick auf die Bombardierung Dresdens, "Ursache und Wirkung" nicht zu vergessen.

Auch Altbundespräsident von Weizsäcker unter den Aufrufern

Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs "Geh Denken" gegen die Instrumentalisierung des Gedenktages durch Rechtsextremisten gehören neben Thierse unter anderen Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und weitere Bundes- und Landespolitiker sowie zahlreiche Wissenschaftler, Künstler, Journalisten und Gewerkschafter. Der anfängliche Streit mit der sächsischen CDU über die Veranstaltung gilt inzwischen als überwunden, einzig Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Biedenkopf zog zwischenzeitlich seine Unterstützung zurück, weil er nicht an einer Veranstaltung teilnehmen wolle, an der auch Politiker der Linkspartei zugegen sind. Aber auch die sächsischen Landeskirchen tragen den Aufruf inzwischen mit.

Plakat
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Drei Demonstrationszüge und ein Konzert

Als Protest gegen die Rechtsextremisten sind am 14. Februar unter anderem drei Demonstrationszüge in die Innenstadt, eine Kundgebung an der Dresdner Synagoge und ein Konzert auf dem Schlossplatz geplant. An der musikalischen Kundgebung werden voraussichtlich Smudo von den FANTA4 und Sebastian Krumbiegel von den PRINZEN und weitere Musiker teilnehmen. Die Neonaziszene mobilisiert indessen zum Hauptbahnhof.

Für ihr Engagement bräuchten die Dresdener bundesweite Unterstützung, betonte auf der Pressekonferenz auch die Geschäftsführerin des Kulturbüros Sachsen, Grit Hanneforth. Deshalb würden aus einigen Städten auch Sonder-Busfahrten organisiert. Allen Teilnehmern sei wichtig, eine "politische Instrumentalisierung des 14.2. für revisionistische Zwecke zu verhindern". Die bislang gepflegte Dresdner Gedenkkultur des "stillen Gedenkens" ermögliche dagegen modernen Neonazis die schleichende Übernahme von Gedenkorten und Gedenkthemen. Im „besten Falle“ müsse es in Dresden darum gehen, dass die Neonazis gar keinen Weg durch Dresden nehmen“.

Podium
Podium

Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen (l.) neben der Schriftstellerin Inge Deutschkron.

Darüber hinaus soll am Vorabend des 14.2. die Dresdener Synagoge von Bürgern geschützt werden, damit Neonazis auf dem Rückweg von ihrem traditionellen Fackelmarsch diesen Ort nicht passieren können. Dresdens Behörden haben bisher keinen Vorstoß gemacht, die geplanten Aufzüge der Neonaziszene zu verbieten. Das sächsische Parlament diskutiert immer noch eine solche Verordnung, den 13. und 14.2. zu einem sensiblen Datum zu erklären, an dem Neonaziaufmärsche nicht möglich sein dürfen, um das Totengedenken nicht zu konterkarieren. Ein solches Verbot ist allerdings nicht mehrheitliches Ziel der Initiative "GEH DENKEN" - sie will bewusst darauf zeigen, wieviel Neonaziungeist heute noch herrscht und dagegen mobilisieren.

Nachdrücklich äußerte die Schriftstellerin und Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron ihr Unverständnis, dass in Dresden "junge Menschen die Parolen der Nazi-Verbrecher, die Millionen auf dem Gewissen haben, nachplappern" und Holocaust-Opfer verhöhnen dürften. Zugleich kritisierte sie zu milde Gerichtsurteile gegen Neonazis. Mit Blick auf den gerade angelaufenen Hollywood-Streifen "Operation Walküre" über das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 sagte Deutschkron, es sei schon "symptomatisch", dass in Deutschland "der 20. Juli bekannter ist als der 27. Januar".  Hier, für MUT, Inge Deutschkrons Kommentar.

Was in Dresden geplant ist:
Während Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) am 14. Februar zu einem "Stillen Gedenken" um 11.45 Uhr auf den Altmarkt einlädt, organisiert "Geh Denken" drei Demonstrationszüge mit Kundgebungen und Konzert. Der erste Zug trifft sich am Sonnabend, 13 Uhr am Goldenen Reiter, der zweite um 13 Uhr am Neustädter Bahnhof, der dritte zur gleichen Zeit am World Trade Center Dresden. Der Sternmarsch endet gegen 16 Uhr am Theaterplatz. Hier steigt das Abschlusskonzert, u.a. mit Smudo, The Curse und Sebastian Krumbiegel. Die Neonaziszene hat 11 Uhr am Hauptbahnhof als ihren Treffpunkt angemeldet.

Mehr zum Thema:
MUT-Reportage vom 13.2.2008 aus Dresden
Zwei konkurrierende Demos in Dresden? (
Welt, 5.2.2009)
Insgesamt 19 Demos: Die Dresdener kommen sich näher (ND, 6.3.09)
Wie die Neonaziszene mobilisiert
Kommentar von Anetta Kahane
Laut gegen Nazis -
wer in Dresden spielt.

Details unter:
geh-denken.de

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: H.Kulick