Rechtsextremismus in Deutschland - eine Momentaufnahme (XIV). Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt äußert sich brutal: Es ist eines der Länder mit der höchsten Anzahl von rechtsextrem motivierten Gewalt- und Straftaten. Gleichzeitig gerieren sich die Neonazis als Opfer von Zensur, wenn sich ihnen Zivilgesellschaft entgegenstellt.
Pascal Begrich arbeitet bei der Arbeitsstelle Rechtsextremismus - Kompetente Zivilgesellschaft des Vereins Miteinander e.V.Wie prägt sich Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt derzeit aus?
Der Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt ist einerseits gekennzeichnet durch eine seit Jahren steigende Zahl von Übergriffen insbesondere auf nicht-rechte Jugendliche und Migrant/innen. Diese Gewalt geht dabei vor allem vom nur schwach organisierten Umfeld in der rechtsextremen Jugendkultur und von den "Freien Kameradschaften" aus.
Andererseits existiert eine heterogene, organisierte rechtsextreme Szene aus Vereinen, Jugendorganisationen, Parteien und "Freien Kameradschaften".
Darüber hinaus spiegelt sich extrem rechtes Gedankengut in Sachsen-Anhalt in einer vielfältigen Jugendkultur wieder. Diese reicht von Dutzenden Musiklabels, Rechtsrockbands Konzertveranstaltern, Naziläden und Fanzines bis hin zu weit verbreiteten rechtsextremen Einstellungen unter Jugendlichen.
Wie zeigt er sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Sachsen-Anhalt ist nach wie vor eines der Länder mit der höchsten Anzahl von rechtsextrem motivierten Gewalt- und Straftaten. Die Zahl der bekannt gewordenen Angriffe ist 2006 im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen. Nach Abgleich mit den Zahlen des Landeskriminalamts hat die Mobile Opferberatung in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in Dessau insgesamt 178 Angriffe für das Jahr 2006 registriert. Für das Jahr 2005 hatte die Mobile Opferberatung insgesamt 171 Fälle dokumentiert. Neben den seit Jahren bestehenden Schwerpunktregionen und -städten haben sich weitere Schwerpunkte herauskristallisiert. So hat sich die Situation unter anderem in Quedlinburg und Köthen dramatisch verschlechtert. Die Landeshauptstadt Magdeburg steht bezüglich der dokumentierten rechtsextremen und rassistischen Gewalttaten an zweiter Stelle. Auffällig ist hier seit Jahren, dass Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch alternative Jugendliche, häufig in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an Haltestellen verübt werden. Weitere Schwerpunkte rechtsextremer Gewalt waren im vergangenen Jahr das Jerichower Land und der Altmarkkreis Salzwedel sowie die Stadt Halle. Der brutale Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt machte in jüngster Zeit Schlagzeilen.
Der organisierte Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt und sein Umfeld agieren heute wesentlich als soziale Bewegung. Öffentliche Aktionen wie Demonstrationen oder Infostände dienen den Rechtsextremen im Rahmen des "Kampfes um die Straße" zur Vermittlung ihrer politischen Zielsetzungen in der Bevölkerung. Dabei greifen sie vor allem sozialpolitische Themen auf und instrumentieren das politische Unbehagen sowie fremdenfeindliche Ressentiments in der Gesellschaft.
Gleichzeitig versuchen JN und "Freie Kameradschaften" mit der lautstarken Forderung nach Meinungsfreiheit für ihre menschenverachtenden Positionen, den nicht-rechten Akteuren die Argumente zu nehmen und sich selbst in die Opferrolle zu stellen. Im Rahmen der Strategie der "Wortergreifung" wurden immer wieder öffentliche Veranstaltungen durch Neonazis gestört und zur Selbstdarstellung genutzt.
Regionale Schwerpunkte rechtsextremer Aktivitäten bilden im organisierten Spektrum vor allem der Burgenlandkreis, das Mansfelder Land sowie die kreisfreien Städte Halle und Magdeburg. Allerdings sind rechtsextreme Aktivitäten seit Jahren in allen Regionen Sachsen-Anhalts zu verzeichnen.
Welche sind die wichtigsten Organisationen?
Auf kommunalpolitischer und Landesebene ist mittlerweile die NPD die wichtigste rechtsextreme Organisation. Seit einigen zwei Jahren setzt sie alles daran, die nach dem Scheitern der DVU bei den letzten Wahlen in Sachsen-Anhalt entstandene Lücke innerhalb des rechtsextremen Spektrums zu füllen. So gelang es ihr bei den Kommunalwahlen im April 2007, mit 13 Kandidat/innen in sieben Kreistage einzuziehen. Dem Beispiel Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern folgend versucht die neonazistische Partei, über die kommunale Verankerung im Jahr 2011 den Einzug in den Landtag zu schaffen.
Die derzeitigen Erfolge der NPD lassen sich unter anderem auf die verstärkte Zusammenarbeit mit "Freien Kameradschaften" zurückführen. Seitdem im August 2005 der Landesverband der Jungen Nationaldemokraten (JN) gegründet wurde, ist diese Zusammenarbeit deutlich intensiver geworden. Ganz bewusst entschieden sich seit Ende 2005 verschiedene Kameradschaften nach jahrelang gepflegter Abneigung gegenüber der NPD, ihr nationalrevolutionäres und demokratiefeindliches Auftreten zugunsten des "Kampfes um die Parlamente" zurückzustellen. In diesem Zusammenhang erfolgte aus der neonazistischen Kameradschaftsszene heraus die Gründung von derzeit sieben JN-Stützpunkten.
Als wie bedrohlich schätzt Ihr Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt derzeit ein und warum?
Hinsichtlich der steigende Zahlen rechtsextrem motivierter Übergriffe stellt der Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt eine akute Bedrohung insbesondere für nicht-rechte Jugendliche, Migrant/innen, Sozialschwache und Behinderte da. Dies betrifft vor allem die oben genannten Schwerpunktregionen.
Was den organisierten Bereich der extremen Rechten betrifft, so gilt es der wachsenden kommunalen Verankerung von NPD und JN entgegenzutreten. Hier wird sich zeigen, inwieweit das Bündnis zwischen NPD und Kameradschaften Bestand haben und bei den nächsten Wahlen zu Erfolgen führen wird.
Interview: Simone RafaelSind Sie aktiv?
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