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Seit über einem Jahrzehnt plant und baut man nun schon in Berlin an einem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Dass das Thema randständig ist, zeigt auch wie heute mit der Minderheit in Deutschland und Europa umgegangen wird.
Von Anja Reuss
Es erscheint schon fast als makaberer Treppenwitz der Geschichte, schaut man sich den Jahrzehnte andauernden Streit um ein Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma an. 1992 bereits gab die Bundesregierung dem Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma die Zusage für das Denkmal und fast 20 Jahre später ist nicht viel passiert.
In der Zwischenzeit hat man schon mal ganz Ostdeutschland grundsaniert, Berlin zu einem Touristenmagneten ausgebaut und dutzende Erinnerungsorte über die DDR-Diktatur und der Mauer errichtet. Ein Denkmal für die 500.000 ermordeten Frauen, Männer und Kinder, die dem rassistischen Kalkül der Nationalsozialisten zum Opfer fielen gibt es bis dato nicht. Tausende deutsche Sinti wurden von den Nationalsozialisten aus dem Dritten Reich in die Konzentrations- und Vernichtungslager des Ostens deportiert und ermordet. In den von Deutschen besetzten Ländern kamen Hunderttausende durch die Mordaktionen der Einsatzgruppen um. Erinnert wird an diese Morde nur sehr wenig.
Und immer wieder Baubegehung
Anstatt also den Bau des Denkmales vor der Haustür des Bundestages mit allen Mitteln und Möglichkeiten voranzutreiben und somit auch den Opfern und ihren Vertretern Anerkennung und den gebührenden Respekt zu zollen, streitet der Regierungsbeauftragte für Kultur und Medien Bernd Neumann lieber mit dem Anwalt des israelischen Architekten Dani Karavan über bauhoheitliche Spitzfindigkeiten und unterstellt dem 80-Jährigen falsche Abrechnungen.
Der Termin für die Eröffnung des Denkmals wurde schon unzählige Male verschoben, der Architekt war schon drauf und dran, sich wegen der Starrköpfigkeit deutscher Behörden von dem Projekt zurück zu ziehen. Einen Termin für die Eröffnung gibt es immer noch nicht. Jetzt wird erst einmal abgewartet, was nach dem Tauwetter kommt und eine weitere Baubegehung anberaumt. Dieses redundante Prozedere muss den Initiatoren schon fast wie eine Episode aus „Täglich Grüßt das Murmeltier“ vorkommen. Silvio Peritore, vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, rechnet in düsterer Prognose mit einer Eröffnung des Denkmals im Herbst diesen Jahres. Ob dieser Termin realistisch ist, wird sich noch zeigen. Vielleicht nach der nächsten Baubegehung. Problematisch ist jedoch nicht nur, dass die Umsetzung eines solchen Denkmals so lange dauert und die deutsche Regierung, die sonst als Weltmeisterin der Vergangenheitsbewältigung gilt, das Projekt nicht vorantreibt. Problematisch ist auch, dass das ganze Thema des Genozids an den Sinti und Roma so randständig ist. Sinti und Roma wurden wie auch die Juden von den Nationalsozialisten aus rassistischen Motiven verfolgt und systematisch ermordet. Hier geht es nicht um eine Opferkonkurrenz der beiden Gruppen, denn das wäre absurd. Es geht um die Anerkennung der Opfer beider Gruppen unabhängig voneinander – um nicht mehr die Opfer der Sinti und Roma als Fußnote der jüdischen Opfer abzuhandeln.
Opfer am Rande
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für die Opfer der Porajmos, so die Bezeichnung des Genozids an den Sinti und Roma, keine Organisierungsform. Es gab keine Möglichkeit für die Überlebenden sich international Gehör zu verschaffen, auf das Leid aufmerksam zu machen, Hilfe für das Weiterleben der Überlebenden zu organisieren und Aufklärung über Antiziganismus und die nationalsozialistischen Verbrechen an den Sinti und Roma zu leisten. Viele der Überlebenden von damals sind jetzt sehr alt und sterben nach und nach. Sie werden die Eröffnung des Denkmales nicht mehr miterleben. Selbst in wissenschaftlichen Kreisen ist der Genozid an den Sinti und Roma wenig rezipiert und es gibt nur eine Hand voll lesenswerter Bücher die differenziert genug mit der Thematik umgehen um nicht an bestehenden Vorurteilen anknüpfen. Denn immer wieder wenn es um den Mord an den Sintis und Romas geht, wird sich dem antiziganistischen Bild des „Zigeuners“ bedient. Das die deutschen Sinti jedoch eine seit Jahrhunderten fest in der Gesellschaft verankerte Minderheit mit einem normalen bürgerlichen Leben waren, findet eher selten Erwähnung.
Heute sind Sinti und Roma mit 12 Millionen Angehörigen die größte ethnische Minderheit in Europa und leider auch laut der 2007 erstellten Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus die weiterhin am stärksten diskriminierte Gruppe. Dabei wird sich immer wieder der selben Vorurteile und Stereotype bedient und eine homogene Gruppe konstruiert, die als Gefahr angesehen wird.
Antiziganistische Zustände
Auch in Deutschland wird seit Jahren aus der „Mitte der Gesellschaft“ heraus gegen sogenannte „Bettelroma“ gehetzt. Dass es die Nachkommen derer sind, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, wird nicht erwähnt. Auch nicht, dass die Flüchtlinge aus den ost- und südosteuropäischen Ländern nach Deutschland kommen, weil sich ihre Lebenssituation dort aufgrund der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Verfolgung in den letzten 20 Jahren massiv verschlechtert hat.
Aber auch hier sind sie immer wieder rassistischen Übergriffen ausgeliefert. Einen traurigen Höhepunkt hatte das bei den Pogromen gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen 1992 bei denen die ersten Tage Antiziganismus die treibende Kraft war. In dem Heim lebten unter anderem auch Roma, die aus dem Kriegsgebieten des damaligen Jugoslawien flohen. Von der Bevölkerung wurden die Roma schnell als Problem ausgemacht. Selbst die Medien konnten zu Beginn der Ausschreitungen Verständnis für den erregten Mob aufbringen. Dass Antiziganismus Teilproblem der rassistischen Übergriffe in Rostock war, interessierte niemanden. Bis heute gibt es immer wieder Übergriffen auf Sinti und Roma in Deutschland, die von der Polizei meistens nicht als eine rassistische Tat eingestuft werden.
Im Sommer 2009 wurden rumänische Roma in Berlin zum Spielball deutscher Behörden. Etwa. 30 Roma-Familien, die ihr Land verließen, weil sie dort keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder sahen, wurden über mehrere Wochen zum Problem Nummer 1 der Stadt erklärt. Dieses Klima schlug sich auch schnell in der lokalen Sommerlochpresse nieder und gipfelte in einer euphemistischen Rückreisehife, bei der die Betroffenen via Unterschrift versichern mussten, nach Erhalt eines Barbetrags das Land schnellstmöglich zu verlassen und auch nicht wieder zu kommen. Dass in Europa für alle Menschen Bewegungsfreiheit besteht und diese aus antiziganistischen Motiven beschnitten wurde, hat in Deutschland nicht zu Empörung geführt. Dass die französische Regierung im vergangenen Jahr mit einer noch breiteren und radikaleren Variante der Abschiebung rumänischer Roma aufwartete, sorgte zwar für europaweite Entrüstung, aber Hilfe für die Betroffenen gab es keine.
Um wirklich etwas gegen die antiziganistischen Zustände hier und anderenorts ausrichten zu können, bedarf es einer eindeutigen politischen Entscheidung gegen die Diskriminierung von Menschen als „Zigeuner“. Dazu zählt eine rigorose Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus genauso wie der respektvolle Umgang mit den Opfern und ihrer Vertretungen. Dass 66 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch kein Denkmal für diese Opfer errichtet ist, gehört genauso zu den Versäumnissen der deutschen Gesellschaft, wie die Diskriminierung von Sinti und Roma nachhaltig und auf allen Ebenen zu bekämpfen und Bildungsarbeit gegen Antiziganismus voranzutreiben.