Die sächsische Landesregierung verschärft mit dem Blick auf die jährlichen Naziaufmärsche in Dresden das Versammlungsgesetz. Verbote verhindern aber eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Nazis. Sie schützen nicht die Demokratie, sondern schränken sie ein.
"Wir werden alle versammlungsrechtlichen Möglichkeiten nutzen und bis zum 13. Februar 2010 das Versammlungsrecht ändern, um Extremisten in Sachsen deutliche Grenzen zu setzen", sagten die sächsischen Fraktionschefs Holger Zastrow (FDP) und Steffen Flath (CDU) am vergangenen Donnerstag in einer Pressemitteilung. Nachdem eine Änderung des Versammlungsrechts in Sachsen unter der letzten großen Koalition gescheitert ist, hat nun die CDU-FDP-Regierung dieses Vorhaben umgesetzt. Ziel der Gesetzesnovellierung ist der „Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Versammlungen von Rechtsextremisten und Gegendemonstrationen von Linksextremisten“ an „Orten von besonderer Bedeutung“ präventiv entgegenzuwirken. Sprich: Demonstrationen zu verbieten. Anlass zur Gesetzesänderung war vor allem der 13. Februar in Dresden, an dem jährlich mehrere tausend Nazis, Geschichtsrevisionistinnen und -revisionisten dem deutschen Opfermythos frönen. Zum 13. Februar 2010 soll nun die Möglichkeit bestehen, Demonstrationen verbieten zu können. In der Anlage des Gesetzes sind dazu extra genaue Ortsangaben gemacht worden.
Schnelle Verbote – ein falsches politisches Signal
Nach anfänglicher Unsicherheit von Koalitionsmitgliedern überrascht die Schnelligkeit der Gesetzesänderungen. In der Sächsischen Zeitung vom 13. Oktober diesen Jahres war noch von großen Zweifeln bei inner- und außerparteilichen Rechtsexpertinnen und -experten die Rede. Nun tritt die Koalition mit großem Selbstbewusstsein auf und verkündete den großen Wurf: „Wir haben eine Regelung mit Augenmaß gefunden, die im vorgegebenen Rahmen der Verfassung den Kommunen eine Möglichkeit bietet, dem Missbrauch der Versammlungsfreiheit vorzubeugen“, beurteilen Zastrow und Flath. Vermutlich hat die Nazi-Großdemonstration am 17. Oktober in Leipzig zu einer schnellen Einigung beigetragen. Nachdem von den ca. 1200 Neonazis Flaschen und ähnliches geworfen worden war, wurde die Demonstration noch vor ihrem Beginn aufgelöst. Laut der Leipziger Volkszeitung erlitt Polizeipräsident Horst Warwrzynski selbst einen Hörsturz durch eine mit Knallgas gefüllte PET-Flasche, die in seiner unmittelbaren Nähe detonierte. Die auf der nachfolgenden Pressekonferenz geforderten Maßnahmen für schnellere Verbote von zukünftigen Nazidemos sind allerdings ein falsches politisches Signal.
Verhindern statt verbieten
Die Nazi-Demonstration in Leipzig hatte auch ohne ein mögliches Verbot schlechte Karten. Ein breites zivilgesellschaftliches und antifaschistisches Bündnis hatte angekündigt, sich den Nazis entgegenzustellen. Es war auch klar, dass Leipzig während den Feierlichkeiten zur friedlichen Revolution nicht als Nazihochburg in den Medien erscheinen wollte. Ungestört 1200 Nazis demonstrieren lassen – das wollte niemand. Nach einiger Überzeugungsarbeit rief selbst Oberbürgermeister Burkhard Jung zur Teilnahme an den Gegenveranstaltungen auf. Nazis dabei allerdings als „nationalistische Brunnenvergifter“ zu bezeichnen, entbehrt der Sensibilität und Kenntnis für Ideologeme, denen man sich ja eigentlich entgegenstellen möchte. Nichtsdestotrotz wurde diese Nazidemonstration durch breiten Protest verhindert. Ein Verbot hätte die gesellschaftliche Auseinandersetzung abgewürgt. Schließlich muss man dann nicht mehr darüber debattieren. Es gibt ja kein Problem mehr.
Verharmlosung des Nationalsozialismus
Die CDU-FDP-Koalition verkennt, dass eine Einschränkung des Versammlungsrechts alles andere als demokratisch ist. Naziaufmärsche kann man verbieten. Doch man braucht sich nicht einbilden, mit derlei ordnungspolitischen Maßnahmen Ideologeme wie Antisemitismus und Rassismus aus der Welt geschaffen zu haben. Die Verharmlosung und/oder Verherrlichung des Nationalsozialismus, die jährlich auf der Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen in Dresden passiert, wird mit ihrem Verbot nicht verschwinden. Die Verharmlosung des Nationalsozialismus durch die Gleichsetzung mit der DDR passiert schon im Text der Gesetzesänderung selbst. Eine Demonstration soll zukünftig verboten werden können, wenn sie beispielsweise an einem Ort von „historisch herausragender Bedeutung stattfindet, der an Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder der kommunistischen Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren, erinnert“. Nostalgisch in der DDR-Erinnerung zu schwelgen und Betroffene von willkürlicher Haft und Freiheitseinschränkungen zu verhöhnen, entbehrt jeglichem historischen Urteilsvermögen. Jedoch haben die Deutschen während des Nationalsozialismus einen Vernichtungskrieg und einen systematischen Massenmord an Jüdinnen und Juden organisiert. Das ist ein Unterschied, den die Gesetzgeberinnen und -geber verkennen.
Für lebendige Debatten und zivilen Ungehorsam
Gegen Nazis sind eigentlich alle. Das hindert aber noch niemanden daran, rassistisch, antisemitisch, nationalistisch oder sexistisch zu sein. „Wir plädieren hingegen für eine lebendige Demokratie, für zivilen Ungehorsam und Zivilcourage gegen Neonazis anstelle von Einschnitten in Grundrechte“, fordert die Pressesprecherin des Bündnisses zum 17. Oktober in Leipzig, Juliane Nagel. Nur mit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung lässt sich gegen nazistische Ideologie vorgehen. Verbieten kann man Dummheit nicht.
Foto: Netz gegen Nazis; Text: Nora Winter