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In Kiel hat am 18. April ein Rechtsextremer ein Mitglied einer Ballett-Kompagnie schwer am Kopf verwundet. In Jena verletzten Neonazis einen Punk ebenfalls so schwer am Kopf, dass er in ein Krankenhaus eingewiesen werden musste. Die Schärfe solcher Angriffe nimmt zu, im Osten und Westen. Aus Kiel berichtet der MUT-Gastautor Andreas Speit. Dazu kommt eine weitere Fallschilderung aus Jena.
Dieses Jahr haben sie zum "Kampfjahr" erklärt, die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt einmal mehr zur "Frontstadt": In Kiel richten NPD und "Autonome Nationale" nicht nur verstärkt Kurzmärsche in der Innenstadt aus und verteilen Flugblätter in Stadtteilen. Besonders die "Aktionsgruppe Kiel" um den Neonazi Peter B. sucht zunehmend auch die Auseinandersetzung auf der Straße.
Am vergangenen Samstag verletzte ein Rechtsextremer in Kiel ein Mitglied der Ballett-Kompanie schwer. Von "doppeltem Schädelbasisbruch" spricht die Polizei. In Lebensgefahr sei das Opfer nicht mehr, heißt es weiter, aber bleibende Schäden seien nicht auszuschließen.
Nachmittags gegen 14 Uhr kam es unweit des Kieler Rathauses zu dem Übergriff. In der Innenstadt hatte der "Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus" zu einem Straßenfest aufgerufen. Dorthin befanden sich mehr als 20 Rechtsextreme, teils bewaffnet mit Holzknüppeln, auf dem Anmarsch. Auf dem Weg wurde der Mann vom Ballett dann brutal niedergeschlagen.
Als die alarmierte Polizei mit Diensthunden und Schlagstöcken eintraf, berichtet eine Augenzeugin, hätten die Beamten zuerst der "Antifa" nachgestellt - man habe "die rechte Gruppe" isoliert, sagt dagegen der Polizeisprecher. Der rechte Schläger sei vernommen worden.
"Mit Sorge" beobachtet der Verfassungsschutz die Gefahrenlage in Kiel. Ohne Namen zu nennen, räumt die Behörde ein, dass B. eine gewaltbereite Szene um sich geschart habe. Seine Kameraden erklärten, künftig auch in "Werwolfeinheiten" agieren zu wollen. Da saß B. gerade selbst in Haft: Er hatte zwei Mitglieder der "Hells Angels" niedergestochen. Am 19. Februar sprach ihn das Gericht dann frei, weil alle Beteiligten geschwiegen hatten. Prozessbeobachter sorgen sich, dass dieses Urteil die rechte Szene zu weiterer Gewalt ermutigen könnte.
Zum Originalartikel von Andreas Speit in der taz vom 23.4.2009
Mehr zum Fall aus Kiel (KN 22.4.2009)
Zu einer ähnlich schweren Körperverletzung durch Neonazis kam es am Abend des 14.4. im thüringischen Jena, die Polizei ließ sich aber Zeit, den Fall zu bestätigen. Nach diesen Angaben schlugen Neonazis im Jenaer Paradiespark zwei junge Punks brutal zusammen. Dabei wurde offenbar ein Minderjähriger so schwer am Kopf verletzt, dass er sich seitdem in stationärer Behandlung befinde. Die Polizei schildert den Vorfall laut der Ostthüringer Zeitung OTZ so, dass die Punks mit einem Kasten Bier unterwegs waren. Die Rechten hätten sie gestellt und die Herausgabe des Bieres gefordert. Obwohl die in der Unterzahl befindlichen Linken das taten, wurden sie anschließend von den Rechten zusammengeschlagen. Die Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt Jena (JAPS) beschreibt den Fall in einer Presseerklärung so:
"Am späten Dienstagabend schlugen Neonazis im Jenaer Paradiespark zwei junge Punks brutal zusammen. Dabei wurde ein Minderjähriger so schwer am Kopf verletzt, dass er sich seit dem in stationärer Behandlung im Jenaer Klinikum befindet. Die Polizei, die den Vorfall noch am Abend am Tatort aufnahm, hüllt sich in Schweigen.
Zeugen berichten, dass etwa 10 bis 15 Neonazis auf die Jugendlichen einschlugen. Der Grund dafür, dass einer von ihnen heute noch schwerverletzt im Krankenhaus liegt, ist, dass sein Äußeres nicht in das einfältige Weltbild der Rechten passt. Wie bereits bei einem Überfall am Karfreitag wurde die Polizei zu der Auseinandersetzung im 'Paradies' gerufen. Etwa 40 Rechte hatten da gegen 21:30 Uhr eine Gruppe alternativer Jugendlicher angegriffen und drei von ihnen verletzt. Die Polizei verschweigt, dass mindestens einer von ihnen mit einem Messer durch die Nazis am Bein verletzt wurde.
In ihren Stellungnahmen vom Mittwoch zu den Auseinandersetzungen am Ostermontag auf dem Holzmarkt, bei denen eine linke Spontandemonstration, die sich gegen rechte Gewalt richtete, auf eine Gruppe Nazis traf und in Folge der ausgebrochenen Auseinandersetzung auch der Außenbereich des "Eiscafè Riva" in Mitleidenschaft gezogen wurde, unterschlägt die Polizei, dass es am Dienstagabend zu einem weit schlimmeren Vorfall mit einem Schwerverletzten gekommen war.
Dieser ereignete sich nicht unter den Augen zahlreicher Passanten und Passantinnen und betroffen war damit offenbar auch nicht, wie beim Scharmützel am Montag, der gute Ruf Jenas. Augenscheinlich sieht die Polizei, die sich ohnehin schwer tut die Ursache der Ereignisse in der nicht enden wollenden Gewalt von rechts zu sehen, keinen Grund auf das brutale Vorgehen der Neonazis aufmerksam zu machen, kommentiert Franka Heßler, Sprecherin der JAPS Jena. In den letzten Wochen kam es vermehrt zu gewaltätigen Aktionen der extremen rechten Szene, wie etwa die Angriffe gegen das "Grüne Haus" Und die "Junge Gemeinde".
Die JAPS beobachtet, dass sich Jenas Nazis von der biederen NPD lösen und sich zunehmend der Kameradschaftsszene und deren meist subversiven und militanten Aktionen zuwenden.
Durch die Gleichsetzung von Linken und Nazis als "Chaoten" fühlen sich Opfer von Nazigewalt nicht ernstgenommen. Neu ist das nicht: In den letzten Wochen informierten mehrere Jugendliche die JAPS und JG über rechte Gewalttaten. Anzeige bei der Polizei wollen sie nicht erstatten. Dort werde man oftmals nicht ernst genommen oder sogar wie die eigentlichen Schuldigen behandelt und Ermittlungen würden eingestellt, berichten die Betroffenen.
Die JAPS chronologisiert die Übergriffe: So wurde vor etwa 2 Monaten ein Minderjähriger an der Griesbrücke von Rechten verprügelt, vor 14 Tagen wurde im Paradiespark ein Jugendlicher mit Rasta-Frisur von Neonazis angegriffen. Am 7. April warfen etwa 10 Rechtsradikale am Westbahnhof mit Flaschen nach linken Jugendlichen. In der Nacht des 11. April wurde ein 15jähriger Jugendlicher von einem etwa 30 bis 35jährigem, der eine Jacke der rechten Marke Thor Steinar trug, in einer Straßenbahn Richtung Zwätzen mehrfach ins Gesicht und gegen den Hinterkopf geschlagen. "Der öffentliche Umgang mit rechter Gewalt und neonazistischem Gedankengut ist in Jena leider nicht von der Weltoffenheit und Zivilcourage geprägt, die die Stadt gern vermitteln möchte. Es wird im Alltag zu viel weggeschaut. Dies schließt auch die Polizei nicht aus, die rechte Gewalttaten verschweigt oder verharmlost.", kritisiert die JAPS."
Zur Originalmeldung des JAPS
Zum Thema: Politische Kriminalität auf neuem Höchstwert (MUT, 22.4.20009)
Und: Rechte gewalt in MVP extrem gestiegen (Ostseezeitung, 23.4.)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk