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Hessens Ministerpräsident Roland Koch hat mit dem Thema Jugendkriminalität zweifelsohne provoziert und ein Wahlkampfthema ‚gesetzt’. Mit welchem Erfolg, wird er am Sonntag sehen. Da diese Problematik aber auch sachliches Wissen erfordert, lud die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 21. Januar zu einem Symposium – jenseits der großen Schlagzeilen…
Von Franziska Schwarzmann
„Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität“, gab der Bundestagsabgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl während seiner Begrüßung im Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion im Bundestagsgebäude zu bedenken, rund 200 Unionsabgeordnete bzw. Mitarbeiter nahmen daran teil. Ziel des Symposiums über Jugendgewalt sei vor allem die Enttabuisierung des Themas wie auch die sachliche Analyse, betonte Uhl, schließlich habe man eine Fürsorgepflicht den jungen Menschen gegenüber.
Die teilweise sehr sachliche Diskussion räumte anfangs mit Fakten – vorgetragen von Prof. Dr. Jens Weidner viele Gerüchte aus dem Weg: So ist es nicht die Jugendkriminalität, die steigt. Es ist der kontinuierliche Anstieg der Jugendgewaltkriminalität. Ein typisches Täter-Profil lasse sich aufzeigen – ein Hinweis auf auffallende Gemeinsamkeiten unter allen jugendlichen Tätern:
Typische Täter-Profile
Die meist männlichen Täter entwickeln eine Kultur der Verachtung des Schwächeren; und das, weil sie meist selbst die Rolle des Schwächeren erfahren mussten, durch ein gewalttätiges Elternhaus beispielsweise. Sie alle zeigen ein „aggressives Persönlichkeitsprofil“ auf welches Pädagogen mit opferorientierten Leitsätzen reagieren müssen. Vor allem ihren Mangel an Opferempathie, die Unfähigkeit des Täters das Leid ihres Opfers nachzuempfinden, müssen sie beheben.
Vier Stunden freundlicher Diskussionsatmosphäre machten vor allem zwei Aspekte klar:
Zum einen ist die Prävention genauso wichtig wie die Repression. Natürlich erscheint es wichtiger zu verhindern, dass Jugendliche kriminelle Tendenzen überhaupt entwickeln; dennoch kann man diejenigen, die schon straffällig geworden sind, nicht einfach gewähren lassen, wenn präventive Maßnahmen bei ihnen fehlgeschlagen sind.
Zweitens kann man das Gewaltpotenzial Jugendlicher nicht auf ihre Herkunft zurückführen. Im Gegenteil, es ist nicht förderlich für die Diskussion zwischen Deutschen mit Migrationshintergrund und Deutschen ohne Migrationshintergrund zu unterscheiden, warnt Gilles Duhem, Experte aus Berlin. Sein wichtigster Appel an diesem Vormittag betraf die Wahrnehmung von so genannten Querschnittsaufgaben, für die bisher keiner zuständig sei: das seiner Meinung nach obsolete System der öffentlichen Hand verlange Vernetzung, da viele Ursachen der Jugendgewalt zwar bereits analysiert wurden, aber daraus nicht die nötigen Konsequenzen folgten. Zusammenarbeit zwischen all den Lebensbereichen, in denen ein Jugendlicher sich bewegt – Elternhaus, Kindergarten, Grundschule, Gesamtschule, Jugendamt, Polizei – könne unnötige finanzielle Ausgaben stoppen und die Effizienz der Arbeit deutlich erhöhen.
Viele Vorschläge für die zukünftige politische Herangehensweise gemacht. Ein doch sehr dekadentes Lächeln erntete Thomas Decken, Direktionsleiter der Kreispolizeibehörde Mettmann, als er erklärte, dass sein Projekt in Hilden - welches die Gewalttaten jugendlicher Krimineller innerhalb eines Jahres von 50 auf drei Fälle reduzieren konnte – ohne ehrenamtliches Engagement nicht funktioniert hätte. Jugendrichterin Kirsten Heisig aus Neukölln schloss sich ihrem Vorredner an, indem sie monierte, dass auch die Bereitschaft des bürgerlichen Engagements an mancher Stelle zu wünschen übrig lasse, sich vor allem um Jugendliche zu kümmern.
Trotz für politische Verhältnisse freundlicher Atmosphäre und sachkundigen Experten fehlte es an diesem Symposium an Antworten aus der Politik: Querschnittsaufgaben können nur wahrgenommen werden, wenn Polizei, Jugendamt und Schule die Möglichkeit erhalten zusammenzuarbeiten; jedoch ist das bei der derzeitigen gesetzlichen Regelung zum Umgang mit sozialen Daten nicht möglich. So bleibt nur die Hoffnung, dass fünf Experten und konstruktive Wortbeiträge der Zuhörer die politischen Vorschläge beeinflussen werden und diese Veranstaltung nicht nur als ein in der Öffentlichkeit wirksames Instrument in Sachen Wahlkampfunterstützung für Sonntag gedacht war.
Lesenswertes zur aktuellen Debatte überJugendgewalt:
- FU-Hearing über Jugendgewalt (Berliner Zeitung vom 19.1.)
- Literatur: Prävention gegen Gewalt bei Jugendlichen (Universum Verlag)
- Bericht über einen Berliner Anti-Aggressionstrainer (Spiegel-online vom 06.April 2006)
- Wie man lernt, mit den Tätern umzugehen (Deutsches Institut für konfrontative Pädagogik)
- Zur Hamburger Initiative zur Bekämpfung von Jugendgewalt (Stadt Hamburg vom 7.12.2007)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / fs / Foto: WDR