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Multiaktivist und Reizfigur

Der bekannte rechtsextreme Rechtsanwalt Jürgen Rieger ist im Alter von 63 Jahren gestorben. Über Jahrzehnte war der umtriebige Neonazi Vorkämpfer für rassistische heidnisch-religiöse Belange. Lesen Sie dazu einen ausführlichen Artikel von Andrea Röpke für bnr.de

Zur NPD wahrte Rieger lange Distanz, näherte sich erst in den letzten Jahren an und stieg dort schnell in Spitzenpositionen auf. In der rechtsextremen Szene sorgt man sich jetzt um den Nachlass Riegers, insbesondere die NPD hatte er mit üppigen Finanzhilfen ausgestattet.

Jürgen Rieger ist am 29. Oktober verstorben. 30 Jahre lang prägte der Neonazi aus Hamburg die militante neonazistische Szene maßgeblich mit. Er war aktiv am Entstehen der Freien Kameradschaften beteiligt, seit 2006 Funktionär in der NPD, stand dem „Deutschen Rechtsbüro“ nahe, sorgte in der Vergangenheit dafür, dass die 1994 verbotene „Wiking-Jugend“ ihre Zeltlager und Wehrsportübungen auf seinem ehemaligen Gelände in der Lüneburger Heide durchführen konnte, referierte unter anderem auch bei der im März verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“, beriet diverse Gruppen und Initiativen und war Kopf zahlreicher eigener rassistischer Vereine sowie der heidnisch-religiösen „Artgemeinschaft-Germanische Glaubensgemeinschaft“.

Rieger war nicht unumstritten – innerhalb und außerhalb der Neonazi-Szene. Er galt als Mann mit Widersprüchen. Obwohl selbst zugelassener Anwalt beim Oberlandesgericht der Hansestadt, spezialisiert unter anderem auf Erbrecht, Verteidiger zahlloser rechter Straf- und Gewalttäter und ehemaliger juristischer Berater und stellvertretender Vorsitzender des 1898 gegründeten Blankeneser Grundeigentümer-Vereins drohte er Anfang der 90er Jahre vor laufender NDR-Kamera: „„Warten Sie es doch ab: Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie, es geht los. Reporter, Richter, Polizisten, Sie!“
 
„Wer Krieg haben will, soll ihn bekommen“

Rieger war eine Reizfigur. Von seiner Beliebtheit innerhalb der Szene war wenig zu spüren, wenn er zum Beispiel mit einem Beil auf Fotografen zu rannte oder Journalisten bedrohte. Rieger der Choleriker, der regelmäßig im Gerichtssaal oder bei NPD-Kundgebungen ausflippte und vor niemandem Halt machte. Als er 1981 das Schlussplädoyer für seinen Mandanten, den ehemaligen SS-Führer von Warschau Arpad Wigand hielt, der mehr als 100 Juden hinterrücks erschießen ließ, als sie versuchten, dem Hungertod im Warschauer Ghetto zu entfliehen, verteidigte Rieger die Tat kaltschnäuzig mit dem Argument, es sei „durchaus fraglich, ob auch nur ein Jude an Hunger im Ghetto gestorben wäre, wenn es mehr Solidarität unter den Juden gegeben hätte“.

Immer auch war Rieger Vorkämpfer für rassistisch-religiöse Belange. Er versuchte der heidnischen Bewegung eine Identität zu geben, zelebrierte inbrünstig Sonnenwenden und nordische Rituale mit seinen Anhängern. 1972 wurde er Vorsitzender des „Nordischen Ringes“ und der pseudo-wissenschaftlichen Hintergrundorganisation „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“. Er referierte, hielt Schulungen ab und feierte Verlobungen und Hochzeiten in seinen Kreisen. Seit Mitte der 70er Jahre betrieb er eine eigene Kanzlei als Anwalt. Zum Chef der in den 50er Jahren gegründeten Arier-Sekte „Artgemeinschaft“ avancierte Rieger 1989. Dieser Teil seiner politischen Arbeit fand oftmals in einer Art Parallelwelt statt.
 
Mit einer langstieligen Axt über den Zeltplatz gefegt

Nicht nur sein politisches Handeln, auch seine finanziellen Transaktionen gaben immer wieder Rätsel auf. Immobilienkäufe wurden zu seiner Obsession. Bis 1998 betrieb er mit Hetendorf Nr. 13 das größte deutsche Schulungszentrum in der Nähe von Celle. Anwohner, Kirchenvertreter und politische Gegner hatten schon damals immer wieder seine Zornausbrüche zu spüren bekommen. Manche erhielten Post vom Rechtsanwalt aus Blankenese persönlich: „Wer Krieg haben will, soll ihn bekommen. Wir haben uns genau gemerkt, wer im Dorf uns verleumdet, gegen uns gehetzt und sich gegen uns gestellt hat.“

Rieger, der aus einer angesehenen Ärztefamilie stammt, betrieb bis etwa Anfang der 90er Jahre gemeinsam mit seinem Vater, einem Gynäkologen, einen Campingplatz im schleswig-holsteinischen Kollmar, einem kleinen Dorf zwischen Elmshorn und Glückstadt. Die Familie kaufte ein angrenzendes Mehrfamilienhaus hinzu. Zum Ärger der Anwohner gelang es Rieger auch dort, den Campingplatz zum Treffpunkt für Neonazis auszubauen. Als der Pächter ihm nach dem Tod des Vaters kündigte, rastete Rieger aus. Nachbarn beobachteten, wie er mit einer langstieligen Axt über den Zeltplatz fegte und Mobiliar zer-trümmerte, „alles was ihm gehörte“. Er habe solange weitergemacht, „bis jeder Strom-verteilerkasten zerschlagen“ war. Das Haus blieb in Riegers Besitz, es kamen ein Fachwerkhaus für Kameradentreffen an der Schlei sowie ein Bauernhof in Ockholm hinzu.

Zur Anhängerschar Riegers zählten vor allem ältere Menschen aus der gehobenen Mittelschicht, unter ihnen Ärzte, Pädagogen und Wissenschaftler. Ihre Treffen fanden im Verborgenen statt.
 
Der enge Weggefährte Thomas Wulff

Privat hatte der Arztsohn und Militärfreak Rieger, der seinen Vater schon mal als „U-Boot-Kommandanten“ anpries, in Blankenese an der Elbchaussee eingeheiratet. Seine inzwischen verstorbene Ehefrau war engen Weggefährten wohl bekannt, hielt sich aber politisch zurück. Auch die beiden älteren Kinder folgten dem Vater nicht. Seine Lebens-gefährtin, eine Heilpraktikerin klagte gegen eine Namensnennung in der Öffentlichkeit, auch sie wollte nicht mit Rieger genannt werden. Sie stattete ihm jetzt am Montag gemeinsam mit den beiden jüngeren Kindern und dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt einen letzten Besuch ab, da lag Jürgen Rieger bereits im Koma.

Immer an Riegers Seite war Thomas Wulff. Der ehemalige Hamburger war Fahrer, Schützer und Freund. Er galt als enger Vertrauter. In den letzten Jahrzehnten kümmerte sich vor allem Wulff um den Wehrmachts-Fuhrpark des Anwalts. Er boxte Rieger gegen alle Widerstände in den Parteivorstand der NPD hoch. Trat als Vermittler zwischen verbittert konkurrierenden Gruppen auf. Rieger mag einer der mächtigsten Multifunktionäre der Neonazis gewesen sein – mit offenen Armen hatte die NPD ihn nicht empfangen. Riegers „obsessiver Rassismus“ und sein Faible für das Dritte Reich kamen nicht überall gut an. Gemäßigte Nationaldemokraten verschreckte dessen Radikalität. Medien zitieren interne Kritiker, die sich beklagten, sie würden ihre „kostbare Zeit“ nicht mit „skurrilen Gestalten wie Samenbank-Rieger“ verschwenden wollen. In der Tat stieß Riegers Engagement in Vereinen wie der „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ oder in der „Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Ltd.“ nicht überall auf Verständnis. In einem NDR-Hörfunkinterview hatte Rieger Hitler gelobt, der das „deutsche Reich geschaffen“ habe. Rieger betonte: „dass wir sechs Jahre durchgehalten haben gegen die ganze Welt, ist eine enorme Leistung, die letztendlich ohne die charismatische Persönlichkeit Hitlers nicht möglich gewesen wäre“.

Auch Rieger wahrte lange Distanz zur NPD. Erst mit der Öffnung für die militanteren „Freien Kameradschaften“ 2004 gewann sie auch für ihn an Überzeugung. Zwei Jahre später trat er dem Hamburger Landesverband der NPD an führender Stelle bei. Er sei wegen der „sozialen“ Programmatik Mitglied geworden, zitiert ihn das Parteiorgan „Deutsche Stimme“ gern. Beobachter der Szene sprechen eher von Riegers gewachsenen Machtansprüchen.
 
„Ein gutes Händchen für Immobilien“

So wollte der millionenschwere Immobilienbesitzer − der als Angeklagter vor Gericht schon mal jammerte, er lebe zur Zeit „von der Substanz“, da er sich wegen „aufwändiger Investitionen mit Bankkrediten „erheblich im Minus“ befände − nicht nur als Darlehensgeber und Retter in der Not wie bei diversen Wahlkämpfen zur Verfügung stehen, sondern Parteipolitik maßgeblich mitgestalten. Seine Kandidatur zum stellvertretenden Parteivorsitz führte zu internen Grabenkämpfen, doch der Sponsor und einflussreiche Anwalt Rieger setzte sich durch, auch dank enger Weggefährten wie Wulff.

Gerade in Zeiten finanzieller Not und Superwahljahr konnte und wollte die NPD-Führung nicht auf Finanzspritzen und Darlehen des Hamburgers verzichten. Auf seiner Homepage rechnet Rieger vor, dass er für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2006 eine Rückzahlung von Finanzhilfen von 295 000 Euro nicht einforderte, einen Kredit von 150 000 Euro verlängerte und zusätzlich 75 000 Euro zuschoss. Rieger betont diese Großzügigkeit wohl auch, weil er damit seinem Erzrivalen, dem NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag Udo Pastörs, die Abhängigkeit vorführen kann.

Noch vor seinem Einstieg in die Parteipolitik hatte Rieger dem Hamburger Landesverband vor der Wahl 2004 ein Darlehen von 120 000 Euro gewährt. In Niedersachsen will er drei Jahre später mit 50 000 Euro ausgeholfen haben. Auch im Bundestagswahlkampf 2009 wird die Partei nicht auf ihren Geldgeber aus der Hansestadt verzichtet haben können.
 
Finanzspritzen und Darlehen an die NPD

Rieger war ein Neonazi, der eigene Fronten aufbaute. Keine Provokation schien ihm zuwider, keinen Streit ließ er aus. Manchmal wirkte er zerfahren oder durcheinander, auch wenn er sich in eigener Sache vor Gericht verantworten musste.

Für bundesweite negative Furore sorgte Rieger allerdings mit seiner Obsession für Immobilien. Er erzählte, dass er nicht in die Krankenversicherung einzahle, das Geld stattdessen in Immobilien investiere. Im Wesentlichen stamme sein Reichtum nicht aus der „Anwalterei“, wie Rieger es nannte, sondern weil er „ein gutes Händchen für Immobilien habe“ und Menschen ihm ihr Geld anvertrauen würden.

Rund ein gutes Dutzend großer Häuserkäufe sind bekannt. So besitzt er nicht nur die Häuser in Schleswig-Holstein, sondern auch ein Schloss ähnliches Anwesen in Schweden, ein ehemaliges Bundeswehrgelände, mehrere Häuser und einen Kinokomplex in Niedersachsen, ein ehemaliges Hotel in Thüringen und ein Mehrfamilienhaus in Hamburg-Harburg. Zudem vermachten ihm Altnazis wie Gertrud Herr aus Blankenese oder der Bremer Lehrer Wilhelm Tietjen Millionen. Vor einigen Jahren schenkte ihm eine Unternehmerin eines ihrer Häuser in Rodenberg bei Hannover. Riegers Besitz schürte nicht selten Neid in der Szene.

Kaum ein Rechtsextremist sorgte in den letzten Jahren für so viele Schlagzeilen wie Rieger. „Strippenzieher auf Einkaufstour“ titelte die „Frankfurter Rundschau“ im Hinblick auf die vielen Orte, in denen er mit einem mehr oder weniger ehrlichem Kaufinteresse vorstellig wurde. Die „Financial Times Deutschland“ schrieb: „Tatort Bruchbude. Wenn Rechtsradikale sich für Immobilien interessieren, geraten Kommunen unter Druck.“ In anderen Medien war die Rede vom „braunen Pokerspieler“, der mit Hausbesitzern „Hand in Hand“ arbeite. Ob in Delmenhorst, Melle, Faßberg oder Warmensteinach – Riegers Name reichte aus, um für Aufruhr zu sorgen. Oft war dabei von einem Deal die Rede. Nachweisen konnte ihm niemand etwas.

Seine Immobilien dienten der Neonazi-Szene als geheime Treffpunkte. Regelmäßig versammelte sich die „Artgemeinschaft“ mit der gesamten „Sippe“ auf dem „Heisenhof“ in Dörverden zu so genannten „Arbeitseinsätzen“. In dem ehemaligen Hotel in Pößneck fand im Herbst 2009 das „Fest der Völker“ mit rund 600 europäischen Neonazis statt. In Hameln würde kürzlich eine politische Schulung der NPD-Oberweser auf dem Rieger-Gelände durchgeführt.

Jetzt wo Rieger tot ist, sorgt sich die Szene insbesondere um seinen Nachlass. Was wird aus den Kaufvorhaben in Faßberg? Was geschieht mit der Abrissverfügung für das ehemalige Bundeswehrgelände in Dörverden? Dürfen weiterhin nationale Mieter in den Häusern in Pößneck, Kakenstorf oder Hameln wohnen?
 
„Das Vermögen des Vorkämpfers in der Bewegung halten“

Wenn der umtriebige Neonazi keine testamentarischen Vorkehrungen getroffen hat, dann könnte auch die NPD die finanziellen Folgen zu spüren bekommen. Auch Weggefährte Thorsten de Vries fragt bereits kurz nach dem Schlaganfall Riegers in einem Neonazi-Forum, es müsse abgewartet werden, welche persönlichen „Anweisungen“ der Kamerad „für den Fall seines Ablebens“ getroffen habe. Leise klingen Zweifel durch, ob der Choleriker und hyperaktive Neonazi überhaupt daran gedacht haben mag. „Wer Jürgen kennt, der weiß auch, dass er sich für sein Volk und im politischen Kampf nie selber geschont hat“, so de Vries. Der Hamburger NPD-Chef habe ein Tempo vorgelegt, bei dem „ein 20-jähriger Bursche Schwierigkeiten hätte“ mit ihm Schritt zu halten. So sei er erst am letzten Samstag aus Schweden zurückgekehrt, dann der Vorstandstermin in Berlin und für den 2. November stand bereits die Verteidigung eines der Bandmitglieder von „Kommando Freisler“ wegen Volksverhetzung vor dem Amtsgericht in Herzberg im Harz an. Rieger hatte zweifellos einen übervollen Terminkalender.

Fragen, die auch die NPD-Spitzen als Darlehensnehmer umtreiben werden. Immerhin besteht die vage Hoffnung, dass durch ein besonnenes Verhalten der Familie Riegers dessen menschenverachtenden Planungen wie die Schaffung eines „Kraft durch Freude“-Museums in Wolfsburg nicht mehr in die Tat umgesetzt werden können.

Riegers ältester Sohn gab jedenfalls gegenüber der Nachrichtenagentur dpa an, dass die Familie nicht möchte, dass das Grab „zu einer Pilgerstätte der rechten Szene“ wird. Aus diesem Grund werde über eine Feuer- oder Seebestattung im engsten Familienkreis nachgedacht.

 
 

Foto: Marek Peters, veröffentlicht bei Wikipedia (GNU Free Documentation License (GFDL)); Text: Andrea Röpke, zuerst veröffentlicht bei bnr

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Jürgen Rieger