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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Am 27. Januar ist internationaler Holocaustgedenktag. 65 Jahre ist es her, dass das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde. Viele Gedenkveranstaltungen finden statt. Schon 1959 sagte Theodor W. Adorno: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären“.
„Man will von der Vergangenheit loskommen: mit Recht, weil unter ihrem Schatten gar nicht sich leben lässt“, schreibt Theodor W. Adorno 1959 in dem Aufsatz „Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit“. Adorno war Direktor am Frankfurter Institut für Sozialforschung und lehrte bis zu seinem Tod 1969 in den Fächern Soziologie und Philosophie; er war Musiktheoretiker und -kritiker sowie Komponist. Am 27. Januar jährt sich zum 65ten mal die Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee. Auschwitz wurde Synonym für die Barbarei des Dritten Reiches – dabei aber leider auch oft Instrument politischer Rechtfertigung, die seinen unsagbaren Schrecken damit zu greifen und benutzen suchte. Doch ihn dadurch nur verharmlost.
„Was so monströs war“
Seit 1996 ist der 27. Januar auf Betreiben des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ein nationaler Gedenktag in Deutschland. Der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ wird seitdem begangen. 2005 wurde der Tag von den Vereinten Nationen offiziell zum „internationalen Holocaustgedenktag“ erklärt. Denn auch wenn die „Schatten der Vergangenheit“ unerträglich sind, ist die Vergangenheit nicht tot, sondern höchst lebendig. „Der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß als Gespenst dessen, was so monströs war, daß es am eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zum Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern“, schreibt Adorno weiter.
Aufarbeitung der Vergangenheit
Von Jahr zu Jahr schwindet die Zahl der überlebenden Zeitzeuginnen und -zeugen, die noch aus erster Hand über die Zustände berichten können. Das Gedenken auch für die nächsten Generationen wach zu halten, ist zentrales Anliegen dieses Gedenktags. In der Demokratie versteht der Mensch sich selbst als Subjekt des politischen Prozesses; sie ist Ausdruck seiner Mündigkeit. Das Heilsversprechen vom unendlichen Glück kann die Demokratie aber nicht einlösen. Sie ist das, was Menschen aus ihr machen. Eine demokratische Gesellschaft benötigt das Bewusstsein ihrer eigenen Vergangenheit. Auch wenn sie unerträglich ist. Unerträglich vor allem aufgrund ihrer Gräuel aber auch unerträglich aufgrund der persönlichen Verstrickung der Täterinnen und Täter in diese Gräuel. „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären“, so Adorno. Sind sie das heute? Angesichts des immer wieder aufbrechenden Antisemitismus, gespeist aus einem Ressentiment gegen das „(Volks-)Fremde“ muss man diese Frage wohl negativ beantworten.
Veranstaltungen am 27. Januar 2010
In diesem Jahr finden zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, von denen hier einige ausgewählte vorgestellt werden. In Zossen, wo sich die Ereignisse überschlugen, nachdem in der Nacht von Freitag auf Samstag das „Haus der Demokratie“ abbrannte, finden zeitgleich verschiedene Veranstaltungen statt. Unter dem Titel „Schwieriges Erinnern – Antisemitismus in der DDR“ gibt es im Bürgerhaus (Am Bürgerhaus 1) um 18 Uhr eine Podiumsdiskussion. Konstanze Ameer von der Amadeu Antonio Stiftung diskutiert hier u.a. mit Thomas Haury, Verfasser des Buches „Antisemitismus von links“. Ebenfalls in Zossen um 18 Uhr auf dem Marktplatz findet eine Gedenkveranstaltung der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ statt. Neonazis sollen nach Informationen der Redaktion angekündigt haben, dieses Gedenken zu stören.
In Leipzig gibt es ab 17.30 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz eine Veranstaltung unter dem Titel „Deportation - Mit der Reichsbahn in den Tod“. In zahlreichen Schulen in Thüringen wird es Zeitzeugengespräche geben. Auch die lokalen jüdischen Gemeinden bieten viele Veranstaltungen an. Die Jüdische Gemeinde Münster beispielsweise lädt um 16.30 Uhr zur Kranzniederlegung am Münsteraner Gedenkstein Zwinger. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Recklinghausen zeigt um 20 Uhr den Film „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Im Schloss Hartenfels in Torgau kann man die Ausstellung „Vor aller Augen“ täglich von 10 bis 18 Uhr besichtigen. Im Jüdischen Museum in München spricht 19 Uhr Beate Green-Siegel unter dem Titel „Ich war ein Münchner Kind“ über die Rettung mit dem Kindertransport von München nach England. Der Dokumentarfilm "Die Unwertigen" wird 19.30 Uhr im Kino CineMotion in Berlin gezeigt. Im Jüdischen Museum Berlin gibt es ab 18 Uhr ein Symposium unter dem Titel „Der Holocaust in der visuellen Kultur“.
Familiäre Verstrickungen
Die Vergangenheit besteht fort. Ein Gedenktag ist eine Gelegenheit, um zu Erinnern und zu Mahnen. Der Schatten und die Gefahr der barbarischen Vernichtung sind damit aber noch nicht gebannt. Gerade die Verstrickungen der eigenen Familie in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts gilt es zu erforschen. Diese Aufarbeitung kann keine einzelne Veranstaltung ersetzen – sie findet persönlich statt.
Von Nora Winter
Foto: „Auschwitz“, von European Citizen via flickr, cc.