Von Julian Perdrigeat
Am 17. April 2008 wurde die Broschüre „Ich habe nichts gegen Juden, aber...“ in der Amadeu Antonio Stiftung vorgestellt. Prof. Albert Scherr von der Pädagogischen Hochschule Freiburg und Barbara Schäuble stellten gemeinsam die Ergebnisse ihrer Studie zum Thema Antisemitismus vor.
Die Präsentation begann mit einer ungewöhnlichen Erklärung: „Eine klare und eindeutige Unterscheidung zwischen antisemitischen und nicht-antisemitischen Jugendlichen ist nicht sinnvoll. Es ist vielmehr von unterschiedlichen in sich widersprüchlichen Orientierungen auszugehen“.
Denn auch Jugendliche, die sich gegen Antisemitismus aussprechen, sind nicht immer in der Lage, antisemitische Stereotype zu erkennen und zu kritisieren. Insbesondere im Kontext spezifischer Bezugsprobleme wie dem Nahostkonflikt oder der Ordnung der Welt, bzw. der Globalisierung.
Scherr und Schäuble haben mehr als zwanzig Gruppen von Jugendlichen in Deutschland aus verschiedenen Schulen zu Antisemitismus befragt. In der Forschungssprache heißt das: „Sozialstrukturell differenziert nach Ost/West, Stadt/Land, Bildungsstand, Geschlecht und Migrationshintergrund“. Sie wurden nicht einzeln befragt, denn gerade in der Gruppe entwickelt sich eine ganz besondere Dynamik.
Die Wissenschaftler fragten, was die Jugendliche über Juden und jüdisches Leben wissen. „Die Mehrzahl der befragten Jugendlichen argumentierte vor dem Hintergrund eines gegen Antisemitismus gerichteten moralischen Selbstverständnisses, das heißt jedoch nicht, dass die Jugendliche keine antisemitischen Sichtweisen verwenden“.
Als primäres Beispiel dafür gilt die Sprache – nicht nur die deutsche, sondern beispielsweise auch die französische. In beiden Sprachen kann der Ausdruck „Du Jude“ unter Schülern ein Schimpfwort sein. Auch wenn er unreflektiert von Kindern oder Jugendlichen ausgesprochen wird. Die Macht der Wörter und das „feindselige Klima“ so der französische Soziologe Didier Lapeyronnie, das sie schaffen, ohne „dass man sie wirklich meint, oder zumindest ohne dass man sich ihrer negativen Wirkung wirklich bewusst ist“ soll den Jugendlichen erklärt werden. Auch denen, die ein anti-antisemitisches Selbstverständnis haben.
„Aber ohne Logik des Verdachts“ erklären die zwei Forscher. „Denn genau dies kann zur Lernblockade führen. Für Jugendliche, die keine Antisemiten sein wollen und die im Rahmen des historisch-politischen Lernens eine Vorstellung von den Folgen des nationalsozialistischen Antisemitismus erworben haben, stellt der Verdacht oder Vorwurf, sie seien antisemitisch, eine Zuschreibung dar, die sie als Person diskreditiert“.
Diese Broschüre ist die erste Veröffentlichung einer Publikationsreihe, die sich an Pädagogen und Pädagoginnen richtet. Für Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, ist es wichtig, in der pädagogischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus, diesen auch dann zu erkennen, wenn er in seinen verschiedenen Formen auftritt. Es sei besonders wichtig, so Kahane, ihn selbst zu erkennen, wenn die Jugendlichen, die ihn äußern, sich selbst gar nicht als antisemitisch begreifen. Nur dann könnten die Mitarbeiter der Bildungsarbeit auf Antisemitismus bei Jugendlichen reagieren.
Aber wie? Es ist wichtig zu wissen wie sich Pädagogen selbst mit dem Thema Antisemitismus auskennen, bevor sie Ratschläge zu geben. Aus diesem Grund erarbeitet die Amadeu Antonio Stiftung eine neue Studie. Ebenfalls in enger Kommunikation mit Prof. Albert Scherr und Barbara Schäuble hat Heike Radvan Pädagogen und Pädagoginnen interviewt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung wird in Zusammenarbeit mit der Freudenberg Stiftung in einem weiteren Heft dieser Reihe veröffentlicht werden. „Ich habe nichts gegen Juden, aber...“ steht inzwischen hier zur Verfügung.