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Eine immer drängendere Frage: Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter mit der Projektförderung gegen Rassismus und Rechtsextremismus? Denn mit der Wirtschaftskrise geraten viele Projekte in Not. Es gibt kaum noch Spenden aus der Wirtschaft und Kofinaziers springen ab. Sparmaßnahmen überall. Bleibt die Hoffnung auf den Staat. Doch was die Parteien nach der Bundestagswahl auf diesem Feld planen, kristallisiert sich gerade erst heraus. Das 'Netz gegen Rassismus', ein Bündnis aus NGOs, lud Dienstagabend Vertreter aller Bundestagsparteien ein. Erfreuliches Ergebnis des Hearings: Die bestehenden Bundesprogramme haben parteiübergreifend Rückhalt. Aber dass es neben der Rechtsextremismusbekämpfung auch um gescheite Strategien gegen Rassismus gehen muss, wird übersehen. Und EU-Richtlinien nimmt niemand ernst.
Von Holger Kulick
Es waren drei große Tage für Initiativen. Am Sonntag begann der Erfolgs-Reigen im vollbesetzten Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Dort ehrten Bundesinnenminister Schäuble (CDU) und Justizministerin Zypries (SPD) als Dienstherren des "Bündnis für Demokratie und Toleranz" ganz im Stil Großer Koalitionäre fünf vorbildliche Projekte und Einzelpersonen, die sich der Arbeit für Demokratie und Toleranz verschrieben haben. (Hier mehr zu dieser Ehrung). Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, dass auch der hohen Politik die Auswahl gefiel, drehte sich diesmal nicht nur alles um Rechtsextremismusbekämpfung. Auch die DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier rutschte in die Auswahl.
Bei der Ehrung im Haus der Kulturen der Welt
Tags darauf zeichnete Staatssekretät Hermann Kues aus dem Jugend- und Familienministerium in Berlin 93 bundesdeutsche Kommunen als "Orte der Vielfalt" aus, eine symbolische Ehrung im Rahmen des Bundesprogramms "Vielfalt-tut-gut", über die sich vor allem aufgewachte Lokalpolitiker freuen können, deren Gemeinden sich vorgenommen haben, Neonazis Paroli zu bieten.
"Die Kommune zeigt damit, wie ernst sie die Problemlage nimmt" heißt es in der Ausschreibung und die Bewerber müssen sich verpflichten, "sich dauerhaft aktiv zu engagieren". Mit Ebbe in den Finanztöpfen ist das freilich nur in begrenztem Rahmen möglich, denn nur Ehrenamt alleine hilft langfristig natürlich nicht.
Bei der Auszeichnung der "Orte der Vielfalt"
Zwar gibt es bekanntlich in Nachfolge der Bundesprogramme 'civitas' und 'entimon' aus rotgrünen Zeiten auch schwarz-rote Fördertöpfe wie "Vielfalt tut gut", "Kompetent-für Demokratie" oder "Xenos", aber sie haben die Schwierigkeit langfristiger Existenzsicherheit für gute Beratungsprojekte und Initiativen nur bedingt geändert.
Den Montag und Dienstag über präsentierten sich im Rahmen einer Projektmesse zahlreiche Einzelprojekte und Lokale Aktionspläne in einer alten Postamtshalle nahe der U-Bahnstation Gleisdreieck in Berlin. Mehrheitlich plagen sie alle recht ähnliche Sorgen: Immer neue Einfälle zur Begründung ihrer Modellhaftigkeit sind notwenig für längerfristiges Überleben. Unerlässlich ist auch ein guter Draht zu jenen Rathäusern oder Verwaltungsstellen in Landkreisen, die Mittel im Rahmen der sogenannten 'Lokalen Aktionspläne' vergeben. Und obendrein müssen Kofinanziers gewonnen und bei der Stange gehalten werden - was zunehmend komplizierter wird.
Berliner Projektmesse der vom Bund geförderten Initiativen
Angesichts der Wirtschaftskrise dampfen Unternehmen, unabhängige Stiftungen und auch Wohlfahrtsverbände ihre Mit-Fördermöglichkeiten zunehmend ein. Um so nervöser richten viele Projekte ihre Blicke auf das, was die Parteien in ihren Bundestagswahl-Programmen als Lehren und Zukunftskonzepte einfließen lassen, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auch in Zukunft zu bekämpfen. Eine erste Möglichkeit, um bei den Parteien im Bundestag diesbezüglich einmal nachzuhaken, bot sich am Dienstagabend (26.5.) in den Räumen des DGB in Berlin.
Am Dienstagabend im DGB
Das "Netz gegen Rassismus" hatte eingeladen, ein Verbund von rund 100 aktiven NGOs, vom Institut für Menschenrechte über das Diakonische Werk der EKD bis zu Pro Asyl. Erfreuliche Nachricht Nummer eins: Keine Partei gab einen Korb, auch die Union war vertreten, was in vorangegangenen Wahlkämpfen nicht zwangsläufig üblich war - dem Thema wurde lange Jahre nur bedingt Gewicht beigemessen und wer sich mit Rechtsextremismus befasste, galt für Konservative lange Zeit reflexartig als linksextrem.
Erfreuliche Nachricht Nummer 2: Auch nach der Bundestagswahl wird die Geschichte der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus weitergehen. "Das Thema wird ernst genommen", das bekundeten alle Parteivertreter, freilich in unterschiedlichen Nuancen. Vertreten waren die Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer (CSU), Nils Annen (SPD), Christian Ahrendt (FDP), Monika Lazar (Grüne) und Ulla Jelpke (LINKE).
Nils Annen lobte die LAPs als einen "großen Fortschritt", kündigte aber an, dass die SPD in ihrem Wahlprogramm weiterhin entschlossen für die Einrichtung einer Bundesstiftung eintreten werde, um eine dauerhafte Lösung für die Finanzierung von Beratungsprojekten zu schaffen. Woher die Mittel dazu kommen, diese Antwort blieb er jedoch schuldig. Schätzungsweise 150 Millionen Euro Einlage würden gebraucht, um nutzbare Zinsen daraus zu gewinnen, eine solche Summe aber, so räumte Annen ein, sei gegenwärtig eher zur Firmen- und Bankensanierung mobilisierbar, aber nicht für Antirassismusarbeit.
Der FDP-Parlamentarier Ahrendt kündigte an, dass seine Partei die bestehenden zivilgesellschaftlichen Programme "weiterführen und wo man kann, besser machen will". Seine Partei lege aber Wert darauf, Rechts- und Linksextremismus gleichermaßen zu bekämpfen. Man müsse auch auch darüber nachdenken, dass dort, wo NPD-Abgeordnete in Parlamente gewählt wurden, dies wiederum ja auch eine Entscheidung von Zivilgesellschaft gewesen sei.
Von l.n.r.: Stephan Mayer (CSU), Monika Lazar (Grüne), Nils Annen (SPD)
Stephan Mayer verwies darauf, dass das Wahlprogramm der Union erst am 29. Juni vorgestellt würde, daher könne er jetzt nicht sagen, "ob es dort eine Aussage zu Rechtsextremismus und Rassismus gibt", er werde sich jedoch dafür einsetzen. Das klang fast so, als sei das - wie vor vier Jahren - nicht vorgesehen. Damals im Wahlkampf hatte sich die Union in ihrem Programm nicht zu dem Thema geäußert. Er halte es aber "für notwendig, dass die Union sich diesmal klar artikuliert, weil wir ja auch mit Stolz darüber reden können, was in den letzten vier Jahren passiert ist", sagte Mayer.
Monika Lazar (Grüne) kündigte drei wichtige Forderungen ihrer Partei an: 1.) Die Bedingungen bei Fördermaßnahmen, Kofinanzierungen auf die Beine zu stellen, müssten überarbeitet werden, angesichts der Wirtschaftskrise sei eine Reduzierung der selbst zu organisierenden Mittel unerlässlich. 2.) Eine Verstetigung der Maßnahmen müsse konsequentes Ziel sein 3.) Das direkte Antragsrecht qualifizierter Initiativen sei zu ermöglichen, ohne Umwege über Verbände oder zwischengeschaltete Verwaltungsstellen.
Ulla Jelpke (LINKE) lenkte den Blick in eine andere Richtung. Kommunales Wahlrecht für Zuwanderer, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt gefunden hätten, sei überfällig und das Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr hinnehmbar. Flüchtlinge müssten in Deutschland endlich gleichbehandelt werden, Familienzusammenführung dürfe nicht erschwert und Bewegungsfreiheit müsse gewährleistet werden. Auch damit müsse sich die Politik endlich beschäftigen.
Ulla Jelpke (Linke), Christian Ahrendt (FDP)
Jelpke war damit eine Ausnahme. Denn für Betrübnis unter den NGO-Vertretern sorgte die Erkenntnis, dass sich die Sensibilität in Politik und Gesellschaft maßgeblich nur für den Bereich Rechtsextremismus entwickelt habe, also das, was sich mehr an den 'extremen' Rändern der Gesellschaft abspielt, nicht aber für das viel weitere Feld Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und seine Auswirkungen auf Zugewanderte. Dies war auch der eigentliche Anlass des "Netz gegen Rassimus", diese Wahl-Befragung durchzuführen. Denn mittlerweile gibt es auf der Ebene der UN und der EU längst Richtlinien, sich sehr viel intensiver damit zu befassen, Rassismus einerseits klar zu benennen und nachhaltig zu bekämpfen - und zwar auf vielerlei Ebenen.
So empfiehlt die Europäische Kommission gegen Rassismus (ECRI) die Aufnahme rassistischer Beweggründe für Straftaten als strafverschärfendes Merkmal in das Strafgesetzbuch zu übernehmen. Und überfällig ist die Einrichtung einer unabhängigen Fachinstitution gegen Rassismsus auf nationaler Ebene in Form einer 'Nationalen Kommission gegen Rassismus' nach dem Vorbild von ECRI.
Aber ein mittlerweile vom Innenministerium vorgelegter Arbeitsentwurf für einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus (NAP) ist laut NGOs nur halbherzig geblieben und setzt nur wenig davon um. Das Forum Menschenrechte kommentiert:
"Der Arbeitsentwurf enthält weder ein Konzept, noch wirksame neue Maßnahmen zur Bekämpfung rassistischer Einstellungen, rassistischer Gewalt und struktureller Diskriminierung. Für die Menschen, die in der Bundesrepublik tagtäglich Opfer rassistischer Gewalt werden, sendet er das falsche Signal. Den Tätern vermittelt er das Gefühl, sie hätten keine neuen Gegenstrategien zu erwarten. Denn in dem Entwurf wird der Eindruck vermittelt, dass es keinen Handlungsbedarf gäbe".
Rassismus also nicht auf dem Schirm? Überraschende Selbstkritik übten die beiden Parteivertreter aus Union und FDP. Der CSU-Abgeordnete Mayer meinte, er "gestehe zu", sich bislang "zu stereotyp mit Rechtsextremismus beschäftigt zu haben", also mit zu verengtem Blick nur auf die NPD am Rande der Gesellschaft. Ähnlich kritisierte sich der FDP-Abgeordnete Ahrendt, mit daran beteiligt zu sein, eine "Eisbergdiskussion" zu führen - also nur über das zu reden, was als Spitze des Eisbergs wahrzunehmen sei, beispielsweise NPD und Naziaufmärsche, aber nicht die Masse des Eisbergs Rassismus unter der Oberfläche zu erkennen: "Wir reden bislang nur über das, was wir sehen".
Zum Thema: EU-Empfehlungen für Deutschland, Rassismus zu bekämpfen
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: Kulick (6), Vielfalt tut gut (1)