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Die Leipziger Forscher Elmar Brähler und Oliver Decker haben im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine aktuelle Studie zu Rechtsextremen Einstellungen in Deutschland veröffentlicht. Sie sprechen von einer „dramatischen Trendwende“.
Von Robert Fähmel
Dass ausländerfeindliche* Einstellungen beileibe keine Phänomen extremistischer Ränder mehr sind, sondern sich längst in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ wiederfinden, betonen zivilgesellschaftliche Initiativen immer wieder, wenn es um den Extremismusbegriff geht. Die nun veröffentlichte Studie „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ belegt dies mit einer repräsentativen Umfrage und versucht, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Laut der Studie von Elmar Brähler und Oliver Decker stimmt rund ein Viertel der Deutschen ausländerfeindlichen Aussagen zu. „Wir müssen 2010 einen Anstieg von dezidiert antidemokratischen und rassistischen Einstellungen feststellen“, fassen die Forschenden das Ergebnis zusammen.
Dramatische Trendwende
Vor zwei Jahren führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Umfrage das letzte Mal durch und konnten damals einen leichten Rückgang von Rassismus und antidemokratischen Tendenzen feststellen. Angesichts der jetzt veröffentlichen Ergebnisse betonen sie aber, dass damals eine stabile Wirtschaftslage herrschte. Seitdem haben sich die ökonomischen Verhältnisse mit der Wirtschaftskrise verschlechtert, was maßgeblich für den Anstieg der Ausländerfeindlichekeit sei. Die Forschenden konstatieren in diesem Zusammenhang eine „dramatische Trendwende“, einhergehend mit der Finanz- und Wirtschaftskrise. In ihrer Studie befragten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Teilnehmenden neben ihrer Haltung zu Ausländerfeindlichkeit und Demokratie auch zu ihrer eigenen Einschätzung ihrer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lage. Decker beschreibt die subjektive Erfahrung der eigenen schlechten Lage als „Ausgeschlossenheit aus den Zusammenhängen“, die sich auch im fehlenden Vertrauen in die Demokratie niederschlägt.
Dementsprechend besteht ein enger Zusammenhang zwischen einem Gefühl der politischen Wirkungslosigkeit und der zeitgleichen Befürwortung einer Diktatur. 8,8 Prozent der Befragten stimmen der These zu „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform“. Decker stellt in seinen Untersuchungen fest, dass Wirtschaft von vielen Bürgerinnen und Bürgern als „mächtiges Phänomen“ empfunden wird. Das „Schwächeln dieser Macht“ wiederum führt zum Wunsch nach „einer anderen starken Macht“, einer diktatorischen Staatsform. Mehr als ein Drittel der Befragten befürwortet die These „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.“ Einhergehend mit der Aufwertung der eigenen Identität ist aber zugleich die Abwertung des vermeintlich „Anderen“. So stimmen jeweils auch mehr als ein Drittel der Befragten den Thesen zu, dass Deutschland "überfremdet" sei, man "Ausländer" in ihre Heimat zurückschicken solle oder dass sie den Sozialstaat ausnutzen würden. Die Zustimmung zu den ausländerfeindlichen Thesen liegt im Vergleich zur letzten Umfrage 2,4 Prozent höher, während die Zustimmung zu den Thesen zum Antisemitismus annähernd gleich blieb.
Gesellschaftliche Probleme und wirtschaftliche Lage
In einer Podiumsdiskussion zur Präsentation der Studie zeigt Wissenschaftler Elmar Brähler die Zusammenhänge auf: „Gesellschaftliche Probleme und eine wirtschaftliche Lage wurden schon immer an Bevölkerungsgruppen festgemacht. Vor den Türken waren es die Araber, früher waren es die Italiener, nach dem Zweiten Weltkrieg die Flüchtlinge.“ In der aktuellen Debatte sieht Brähler darin die „schwierige Aufgabe, zu vermitteln warum ‚Gastarbeiter’ eingestellt werden, während eine so hohe Arbeitslosigkeit herrscht.“ Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer zeigt sich angesichts der Zahlen erschüttert: „Wir haben eine Ausgrenzung von Migranten und eine Integration von Rechtsextremen. Wir müssen ein gesellschaftliches Bewusstsein schaffen. Die Lösung liegt darin, sich der Diskussion zu stellen und sich das Problem einzugestehen.“ Viele Leute fühlten sich jedoch aus der Politik ausgeschlossen. Gründe für die Verdrossenheit seien vor allem finanzielle Not, ungleiche Einkommensverteilung und Bildungsungerechtigkeit. „Viele Leute sagen mir, dass sie nicht wählen gehen, weil wir schon gar nicht mehr in einer Demokratie leben.“
Auch Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, sieht die Abwendung vieler Menschen von der Demokratie als größtes Problem. Daher müsse, um demokratische Beteiligung anzuregen, auch die Zivilgesellschaft gestärkt werden. Zugleich wirft Staeck jedoch ein: „Zivilgesellschaft findet an Orten, wo es an demokratischen Prozessen krankt, kaum bis gar nicht statt.“ Gerade in ländlichen Regionen seien etablierte Parteien teilweise nicht mehr vorhanden, „hier hat man die Wahl schon gewonnen, wenn man ‚Parteilos’ unter seinem Namen stehen hat.“ Staeck sieht jedoch gerade hier auch die Gefahr. Schon die Weimarer Republik habe gezeigt, welche Gefahr es berge, wenn sich Menschen von der etablierten Politik und den etablierten Parteien abwenden. Die etablierten Parteien seien daher in der Verantwortung, die Menschen in die Meinungsbildungsprozesse einzubinden und für Demokratische Prozesse zu begeistern.
Angesichts von zwei bis drei politisch rechts und rassistisch motivierten Gewalttaten täglich sieht Heike Kleffner vom Beirat der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt vor allem die Neukonzeption der Bundesprogramme gegen Extremismus kritisch. Hierdurch würden eben jene, die sich gegen Rassismus engagieren, unter Generalverdacht gestellt werden. Auch die Statistik politisch motivierter Gewalttaten habe Defizite, so würden viele Fälle zwar als rassistisch, aber nicht als rechtsextrem motiviert bewertet werden. Erst dann könne aber eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus-Problem geführt werden. „Die mobilen und die Opferberatungen sind allein gelassen.“
In ihrer Studie zeigen Brähler und Decker einen gefährlichen Trend zu Demokratieablehnung und Ausländerfeindlichkeit auf. Einhergehend mit der Zustimmung zu Chauvinismus und autoritären Systemen eröffnet sich ein immer größeres Spektrum, in dem neue rechtspopulistische Parteien aktiv zu werden versuchen. Die Krise der Wirtschaft hat zu einer beginnenden Krise der Demokratie geführt, die längst in der Mitte angekommen ist. Die Frage, wie es um die Demokratie bestellt ist, steht im Raum. Nun liegt es an Gesellschaft und Politik, dieser Frage zu begegnen.
* Anm. d. Red.: In der Studie ist "Ausländerfeindlichkeit" eine genutzte Kategorie. Das Wort suggeriert aber, dass Menschen, die nicht dem Bild des weißen Deutschen entsprechen Ausländer seien. Doch auch Schwarze Menschen oder People of Color besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und sind somit keine Ausländer. Der Begriff Rassismus würde die Problematik an einigen Stellen besser treffen.