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Neue Stufe von Neonazigewalt in Berlin. Drei Festnahmen wegen Brandanschlägen auf Türken und Bosnier

Ein 16- und zwei 18-Jährige sind wegen Mordverdachts festgenommen worden und sitzen nun in Haft. Sie sollen versucht haben, die Wohnhäuser einer bosnischen und einer türkischen Familie anzuzünden. Ein Gastbeitrag aus dem Berliner Tagesspiegel.Von Jörn Hasselmann


Die beiden Häuser in Rudow liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt, in beiden wohnen Einwandererfamilien – und beide Häuser wurden im März und April dieses Jahres zum Ziel von Brandanschlägen. Beide Fälle hätten in Tragödien enden können – einmal erlosch der Brandsatz von selbst, im zweiten Fall hatte ein Taxifahrer Feuer gesehen und den Hauseigentümer rechtzeitig geweckt. Jetzt hat die Polizei drei junge Neonazis aus der Nachbarschaft als Verdächtige festgenommen. Der Vorwurf lautet: versuchter Mord. Die 16 und 18 Jahre alten Männer sollen die Molotowcocktails (mit Benzin gefüllte Bierflaschen) auf die Häuser geworfen haben, in denen bosnische und türkischstämmige Familien leben. Im zweiten Fall war ein Partyzelt und die Jalousien in Flammen aufgegangen.

Ein Richter erließ gegen den 16-jährigen Markus P. und den 18-jährigen Robert H. Haftbefehle, sie sitzen jetzt in Untersuchungshaft. Beide gehören nach Angaben der Polizei zur rechten Szene, sind jedoch nicht vorbestraft. Einer hat die Taten mittlerweile gestanden. Am 5.6. wurde ein dritter Verdächtiger 18-jähriger festgenommen, der in der rechtsextremen Szene bereits polizeibekannt war. Julian B. soll an der Vorbereitung der Taten beteiligt gewesen sein, möglicherweise als Anstifter.

Robert H. gilt als wichtige Nachwuchskraft der Rudower Neonaziszene, die sich nach Informationen der Neuköllner Antifa jüngst zur „Division Rudow“ zusammengeschlossen hat. H. wohnt in Rudow genau zwischen den beiden Tatorten Fenchelweg und Orchideenweg, die nur wenige hundert Meter auseinanderliegen. Dass die Täter in Kauf nahmen, Menschenleben zu gefährden, diese Kaltblütigkeit ist für die Ermittler neu. Die Zahl der fremdenfeindlichen rechtsextremistischen Gewalttaten ist zuletzt von 45 auf 33 im Jahr 2007 zurückgegangen.

Vom ersten Anschlag im März hatte die Öffentlichkeit nichts erfahren: Die Pressestelle des Polizeipräsidiums hatte den Brandanschlag am Fenchelweg nicht gemeldet – obwohl es einen Monat zuvor den Großbrand in Ludwigshafen gegeben hatte. Dort waren neun türkischstämmige Bewohner eines Hauses im Feuer gestorben – zunächst war ein fremdenfeindlicher Hintergrund vermutet worden. Es sei ein „Fehler“ gewesen, nicht über den ersten Fall in Rudow zu informieren, sagte ein Polizeisprecher gestern. Da die Polizei nicht von einem fremdenfeindlichen Angriff ausgegangen ist, ermittelte ein Brandkommissariat. Davon wiederum erfuhr die Pressestelle nichts. Zudem sei die Fassade des Hauses nur wenig verrußt gewesen, hieß es zur Entschuldigung im Präsidium. Unklar blieb, ob die Brandermittler wussten, dass in dem Haus eine bosnische Familie wohnte.

Das Opfer des zweiten Anschlags, der türkische Unternehmer Bayram Yildirim, war bereits am Tag der Tat – dem 20. April, dem Geburtstag von Adolf Hitler – von einem Neonaziangriff ausgegangen. Yildirim sollte recht behalten. Er hatte damals berichtet, dass in der Nachbarschaft mehrere bekannte Rechtsextremisten wohnen, bei denen sich häufig junge Aktivisten treffen. „Die trinken Bier, machen Radau, hören rassistische Musik und belästigen alle Anwohner, ob Deutsche oder Ausländer“, sagte Yildirim. Mehrmals hätten in der Vergangenheit Aufkleber der NPD am Briefkasten geklebt, berichtete der Inhaber einer Metallbaufirma im April. Und Yildirim war sich auch sicher, dass die Täter Ortskenntnisse gehabt haben müssen – sie waren an der einzigen Stelle auf sein Grundstück eingedrungen, die nicht durch Bewegungsmelder gesichert wird. Die bosnische Familie, die im März Ziel des Anschlages war, hatte sich kurz nach dem zweiten Anschlag bei Yildirim gemeldet. Und erst der 46-Jährige informierte den Staatsschutz über die erste Tat. Die Polizei klebte anschließend Fahndungsplakate und setzte eine Belohnung aus, schnell kamen Hinweise auf H.

Rudow hat eine der aktivsten Neonaziszenen in Berlin. Nachdem die NPD in die Bezirksverordnetenversammlung eingezogen ist, sei es viel schlimmer geworden, hat Yildirim beobachtet. Früher hätten die NPD-Kleber nur Rudow verschandelt, „jetzt sind die bis zur Grenzallee aktiv“. Mittlerweile hat der türkischstämmige Berliner Kameras installiert und einen Wachhund angeschafft.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Zum Originalbeitrag im Tagesspiegel vom 5.6.2008 und dem Folgebeitrag am 6.8. und dem Folgebeitrag am 7.6., demzufolge die Täter nun auch unter dem Verdacht stehen, einen Imbiss angezündet zu haben.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Rudower Neonazis bei einem Aufmarsch im Dezember 2006. Aufnahme: Kulick


 

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Rudower neonazis bei einem aufmarsch im Dezember 2006. Foto: Kulick