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Dresdener Ge(h)denken: Biedenkopf schert aus

Überraschend hat der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf seine Unterstützung für "GehDenken" zurückgezogen - eine überparteiliche Aktion, die Mitte Februar in Dresden plant, Europas größten Neonaziaufzug friedlich und einfallsreich zu verhindern. Biedenkopfs Motiv gibt Rätsel auf. Denn selbst sein alter Weggefährte Kanzleramtschef Thomas de Maiziere wirbt inzwischen für Bürgerprotest und "intelligentes Vorgehen" gegen die Akzeptanz von Rechtsextremismus.

Von Holger Kulick

Der organisierten Neonaziszene in Deutschland sind nicht viele Orte geblieben, an denen sie sich, ihre Hass auf diesen Staat, ihre Geschichtsklitterung und ihre völkische Ideologie ungestört präsentieren kann. Ob in Wunsiedel, Dortmund, Hannover, Nürnberg, Frankfurt/Main, Köln, Lübeck, Wernigerode, Jena - allerorten sind parteiübergreifend zivilgesellschaftliche Allianzen entstanden, die es Neonazis fast unmöglich machen, größere Propaganda-Märsche duchzuführen. Nicht so in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden.

Dort haben vor wenigen Tagen mehrere Bündnispartner alle Bürger dazu aufgerufen, am 13. und 14.2. am "GehDenken!" teilzunehmen, einer kreativen und friedlichen Protestaktion zahlreicher Partner gegen einen in jedem Februar dort stattfindenden Neonaziaufmarsch. In der Regel nehmen dann mehrere tausend Rechtsextreme aus ganz Europa an einem abendlichen Fackelmarsch und tagsüber angesetzten Demonstrationszug teil um die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs zu ehren.  Andere zählen für sie nicht. Gegenproteste gab es in den vergangenen Jahren eher mit dürftiger Beteiligung. Aufgrund dieser Positiverlebnisse verehren Neonazis in ihren Foren Dresden mittlerweile als ihre Hauptstadt der braunen Bewegung.

GehDenken am 14. Februar

2009 wollen dies eine ganze Reihe Organisationen und Initiativen nicht länger hinnehmen und haben einen gemeinsamen Aufruf verfasst, am 14.2. eine gemeinsame Gegenveranstaltung unter dem Titel "GehDenken!" durchzuführen. Ergänzend wird voraussichtlich ein größeres Konzert bzw. Nachdenkevent organisiert. Dem Vorbereitungskreis gehören aktuell SPD, Grüne, Linkspartei, DGB, das Kulturbüro Sachsen, die Kampagne „Laut gegen Nazis“ aus der Dresdener Partnerstadt Hamburg und die Amadeu Antonio Stiftung an. Ihren Aufruf stellten sie am 23. Oktober vor, in dem es u.a. heißt:

„Gerade weil wir als Demokrat/innen das Recht auf freie Meinungsäußerung als hohes Gut schätzen, müssen wir uns denen entgegenstellen, die die unveräußerlichen Menschenrechte mit Füßen treten und die Demokratie beseitigen wollen. Wir rufen daher am 14. Februar 2009 zu Demonstrationen und Kundgebungen auf, um dieser Entwicklung aktiv zu begegnen.

Rechtsextreme Großveranstaltungen wie in Dresden fördern bei den Teilnehmenden den Einstieg in demokratiefeindliche Szenen, zelebrieren Zusammenhalt im Sinne einer nationalsozialistischen Identität und dienen der Vernetzung der Rechtsextremisten in ganz Europa. Durch solche revisionistischen Gedenkveranstaltungen werden Traditionslinien zum historischen Nationalsozialismus gestärkt. Die Gleichsetzung der Opfer der Luftangriffe auf Dresden mit den Ermordeten in den Konzentrations- und Vernichtungslager soll den Holocaust verharmlosen.

Während Leningrad, Rotterdam oder Coventry Ziele des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges waren, wurde Dresden im Zuge der Beendigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bombardiert. Um der rechtsextremen Propaganda entgegenzutreten, darf dieser Unterschied nicht verwischt werden….“

Zurückhaltende CDU in Dresden


Mit Rückendeckung von rund 100 Erstunterzeichnern wurde der Aufruf am 23. Oktober in Dresden vorgestellt. Dazu zählen Künstler wie Smudo oder der Akademiepräsident Klaus Staeck, Repräsentanten der großen Religionsgemeinschaften in Deutschland, Wissenschaftler, Initiativvertreter, Gewerkschafter und Politiker, darunter auch Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, SPD-Chef Müntefering, Grünen-Chefin Claudia Roth, die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, Gregor Gysi von der Linkspartei und die sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange.

Ende Oktober hatte sich auch der Ministerpräsident a.D. des Freistaats Sachsen, Kurt Biedenkopf, dem Aufruf „GehDenken“ angeschlossen, ist seitdem aber offensichtlich unter Druck der örtlichen CDU geraten. Der örtliche CDU-Chef Lars Rohwer, ein Landtagsabgeordneter,  richtete zahlreiche Schreiben an eine Reihe der Erstzunterzeichner  um sie von ihrer Unterschrift wieder abzubringen. Einer der Hintergründe: Dresdens CDU lehnt bislang eine "Einmischung von außen" in das "stille Gedenken" von Dresden kategorisch ab und etikettiert nach alten Klischees ein demonstratives Engagement gegen Rechtsextreme als prinzipiell linksextrem. Die Christdemokraten subsummieren also alle Nazigegner als "linke Chaoten" - zum Wohlgefallen der sächsischen NPD. Einige der Angeschriebenen gaben allerdings contra - darunter die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Dresdens CDU müsse sich entscheiden - für oder gegen den Naziungeist in Dresden. Kurt Biedenkopf dagegen gab klein bei.

neonazis in dresden 2006 mit Banner Großvater wir danken dir...
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Neonazis in Dresden im Februar 200 / Foto: AZ

Merkwüdiger Rückzieher von Kurt Biedenkopf


In einem Schreiben an die Mitinitiatorin von "GehDenken", Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung, zog Biedenkopf mit Datum vom 6.12. seine Unterschrift zurück. Die vage Begründung: Er habe erfahren, dass es beim "GehDenken" weniger um den Schutz des Dresdner Gedenkens vor Missbrauch durch die NPD als um"wahlkämpferische" Ziele gehe. Vom DGB ins Auge gefasste Auftritte von „Herrn Gysi und wohl auch von Herrn Lafontaine als Redner“ würden das für ihn belegen.

Bei den Organisationen löste Biedenkopfs Schutzbehauptung große Verblüffung aus, denn mit der Linkspartei gebe es beispielsweise eine bindende Absprache, dass Oskar Lafontaine nicht reden wird, teilte Anetta Kahane dem ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten postwendend mit und bat ihn seine Entscheidung „noch einmal zu überdenken“. Wahlkampfzwecke verfolge „bisher nur die NPD" für den 13./14. Februar 2009. Dem gegenüber solle aber ein „Bündnis der Demokraten“ stehen, „zu dem meiner Meinung nach die CDU gehört und weiterhin herzlich willkommen ist, sich daran zu beteiligen“, schrieb Frau Kahane an Biedenkopf. „Gemeinsam, nicht gegeneinander“ müsse alles daran gesetzt werden, den Missbrauch des Dresdener Gedenkens durch Neonazis zu verhindern.

In einer gemeinsamen Presserklärung der "GehDenken"-Initiatoren wird diese Hoffnung noch einmal unterstrichen und betont, dass auch für die CDU ein Stuhl im Vorbereitungskreis freigehalten wird:

„Die Veranstalter können die Sorge von Herrn Biedenkopf verstehen und werden selbstverständlich darauf achten, dass gemeinsam über die Redebeiträge gesprochen wird. Für die Amadeu Antonio Stiftung und alle anderen beteiligten nicht-Regierungsorganisationen ist es ausgeschlossen, dass dieser Protest als Wahlkampfbühne einzelner Parteien oder Akteure missbraucht wird. Mit dem Aufruf „‚GehDenken’ – ein klares ‚STOPP’ zum Rechtsextremismus“ soll ein gemeinsames Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt werden, welches dem stillen Gedenken der Bombenopfer nicht im Wege steht und die Dresdnerinnen und Dresdner mit dem Neonaziaufmarsch nicht alleine lassen soll. Zu diesem Anliegen haben sich mehr als 200 prominente Unterstützer erklärt.


Ein Rückzieher vom Rückzieher?


Doch ob das zu reicht, Biedenkopf zu einem Rückzieher vom Rückzieher zu bewegen? Dessen Handeln macht Mutmaßungen unvermeidbar, es könnte noch einen anderen Hintergrund geben - einen,  der noch viel mehr mit Wahlkampf zu tun hat. Denn die Union scheint sich in Vorbereitung auf die Bundestagswahl darauf verständigt zu haben, Bündnisse mit der Linkspartei kategorisch gegen die SPD zu instrumentalisieren. Deshalb soll bloß kein CDU-Spitzenmann mehr Bilder liefern, die ihm ausgelegt werden könnten, als könnten CDU und Linke auch gemeinsam konstruktive  Politik machen. Das belegt auch der plötzliche Meinungswandel der CDU-Bundestagsfraktion Anfang der Woche, die Linke von der Formulierung einer gemeinsamen Bundestagserklärung gegen Antisemitismus auszugrenzen, obwohl diese Erklärung fast ein Jahr lang  gemeinsam geplant und vereinbart worden war.

Ein Jammer, dass diese kategorische Ausgrenzungspolitik  ausgerechnet beim Thema Bekämpfung des Rechtsextremismus exerziert wird. Denn wie nötig hier ein Handeln aller ist, hat gerade erst Kanzleramtschef Thomas de Maiziere hervorgehoben -  just an dem Tag, als der Aufruf zum "GehDenken" in Dresden publiziert wurde. De Maiziere, der übrigens 1999 unter Kurt Biedenkopf als Leiter der sächsischen Staatskanzlei und später auch als Minister Politkarriere machte,  hielt am 23.10.2008 eine Rede zum Thema "Freie Wohlfahrtspflege gegen pädagogische und soziale Bestrebungen rechtsextremer Organisationen“ in Berlin. Sie wurde jetzt auf www.bundesregierung.de gelauncht und ist bislang einer der ausführlichsten Texte aus dem Kanzleramt zu diesem Thema -  und ausgesprochen nachlesenswert.

Darin fallen auch solche Sätze: "Ich selbst spreche, wie Sie sicherlich wissen, auch vor einem sächsischen Hintergrund. Dazu gehört noch die Feststellung, dass die Akzeptanz für Rechtsextremismus in die bürgerliche bzw. kleinbürgerliche Mitte "hochkriecht".  Auch deswegen ist die Entwicklung intelligenter Rezepte dagegen geboten."

Ausführlich geht de Maiziere dann auf eine Reihe sinnvoller Rezepte gegen Rechtsextremismus ein, von der Polizeiarbeit bis zum Sich-Kümmern um einzelne Menschen, die es gilt aus dieser Szene herauszuholen oder gar nicht erst hinein zu lassen.

Explizit lobt de Maiziere  das mittlerweile so gewachsene zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextreme:  "Mein Eindruck ist, dass wir in unserer Gesellschaft – klugerweise – eine Vielzahl von Aktionen entwickeln, die den Tenor haben: "Stoppt die Neonazis! Die Straße gehört nicht denen! Die haben hier keinen Platz!". Ein dickes Lob für Protestaktionen.

Nichts anderes ist das Anliegen der Aufrufer zum "GehDenken" am 13. und 14.2.2009 in Dresden. Aber Kurt Biedenkopf sieht das offensichtlich anders und hat durch sein Handeln bereits neue Freunde gewonnen. Er erhielt am Dienstag explizit Lob aus der sächsischen NPD.

Zum Aufruf und der aktuellen Unterstützerliste: http://www.geh-denken.de/
Aktuell: NPD-Funktionäre prügeln sich in Dresdens Landtag (standard.at, 12.11.2008)


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Franziska Schwarzmann

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Transparentträger Geh denken