Ein NPD-Aussteiger aus Brandenburg warnt vor der Gefährlichkeit der Partei und ihrer Nähe zu gewaltbereiten Neonazis. Ein Gastbeitrag aus der Märkischen Allgemeinen Zeitung.
Von Frank Schauka
Es ist ja nicht so, dass er noch jung und unerfahren war. Horst war 40. Seine Frau hatte ihn gewarnt: „Das ist doch Humbug.“ Das war ihr Kommentar, nachdem sie die offiziellen Parteischriften gelesen hatte, die ihr Mann von Sitzungen mitgebracht hatte. Zu Hause gab es Streit, auch mit der 13-jährigen Tochter. Heute sagt Horst (der Name ist geändert): „Ich fange an zu verdrängen, dass ich einmal in der NPD war. Ich war schließlich keine 19 mehr.“ Dieser kurze Abschnitt in seinem Leben bleibt ihm peinlich – auch wenn er sich nun gegen Neonazis engagiert.
Vor dreieinhalb Jahren ging Horst trotz aller Bedenken seiner Familie zu den NPD-Extremen. Ende 2004 trat er in die Partei ein. Er machte schnell, wenn man das so nennen kann, Karriere. Schon Anfang 2005 wurde er Vorsitzender des NPD Kreisverbands Spreewald. Es lief alles wie geplant – so, wie NPD-Landeschef Klaus Beier es bestimmt hatte. „Man kommt in der NPD relativ schnell hoch, man muss dazu nur Schulungen besuchen“, weiß Horst.
Zu Anfang schien alles noch irgendwie erträglich. Horst wurde in die Partei aufgenommen. Der Rahmen war feierlich, sagt er. Höhere Parteikader waren anwesend. Jedem Neuen wurde ein Parteiprogramm überreicht. Der Unterpunkt „Ausländerrückführungen“ darin wurde jedoch schon bald zu einem Problem für Horst.
Bei einer der folgenden Kader-Schulungen ging es genau um diesen Punkt, erinnert er sich. Ein NPD-Dozent aus Bayern, ein gewisser Rüdiger Schrembs, habe ihn gefragt, was er – wenn die NPD die Macht im Staat übernommen habe – unter „Ausländerrückführung“ verstehe. Als Horst nicht die NPD-korrekte Antwort wusste, belehrte ihn Herr Schrembs: „Das heißt, dass jeder Ausländer Deutschland verlassen muss.“ Was ist mit Familien, wollte Horst daraufhin wissen, in denen ein Partner aus Deutschland und der andere aus dem Ausland stammt? „Dann müssen sich die deutschen Ehepartner entscheiden, wo sie leben wollen“, antwortete der Dozent. Das komme ihm doch bekannt vor, meinte Horst – nur habe es vor 75 Jahren nicht „Ausländer“ geheißen, sondern „Juden“. Die Bemerkung, die Horst darauf von Herrn Schrembs erhielt, ließ an Klarheit nichts vermissen: „So ist das auch gemeint.“
„Ich bin von dieser Schulung in der NPD-Parteizentrale in Berlin nach Hause zurückgekehrt und sagte mir: Jetzt ist Schluss“, erzählt Horst. „Von außen kann sich keiner vorstellen, wie gefährlich die NPD wirklich ist.“ Besonders stark seien rechtsextreme Einstellungen in den ländlichen Gebieten Brandenburgs, weiß Ex-Neonazi Horst, „und zwar vor allem bei Erwachsenen.“ Diese infizierten schließlich die Jugendlichen. „Die Meinungen werden zu Hause gemacht, ganz nach dem Motto: Wenn die Eltern so denken, dann kann es ja wohl so schlimm nicht sein.“
Seine Frau hatte ihn schon immer gewarnt. „Du musst wissen, was du willst“, hatte sie gesagt. Nun, nach seinem Erlebnis bei der Schulung, wusste Horst es.
Mit dem Austritt aus der NPD im Herbst 2006 begann die Zeit der anonymen Drohanrufe. „Pass auf, wenn du im Auto den Schlüssel drehst.“ Solche und andere Einschüchterungsversuche musste Horst mehrfach pro Woche über sich ergehen lassen. Als er eine Person aus der Spitze der Partei zur Rede stellte, wiegelte die nur ab: Mit solchen Drohungen habe die NPD nichts zu tun. Erst als Horst sich eine neue Handynummer zulegte, die bei den Ex-Kameraden nicht bekannt war, war es mit den Drohanrufen endgültig vorbei.
Wirklich überraschend kamen die Repressalien für Horst nicht. Wie verbohrt NPD-Mitglieder sein konnten, hatte er schon als Kreisvorsitzender erlebt: Ein junger Mann hatte seine Lehre in Westdeutschland abgebrochen, weil er nicht mit türkischen Kollegen zusammenarbeiten wollte.
Und dass die NPD eine Nähe zur gewaltbereiten Kameradschaftsszene pflegt – auch wenn die Partei dies gern kaschiert – war Horst auch schnell klargeworden. „Ich hatte mich geweigert, Kameradschaftsleute in den Kreisverband aufzunehmen“, berichtet er. „Daraufhin wurde ich nach Birkenwerder beordert und zur Rede gestellt.“ Der Landesvorstand hielt ihm vor: „Es hat Beschwerden gegeben. Wir brauchen diese Leute.“ Doch Horst blieb stur. Er konnte sein Erlebnis mit Kameradschafts-Neonazis bei einer Demonstration in Eisenhüttenstadt nicht verdrängen. „Die waren von Kopf bis Fuß tätowiert. Ich habe daraufhin Detlef Appel, dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD, klargemacht, dass man mit solchen Leuten keine Politik machen kann. Der sagte mir aber nur, das ist nicht so schlimm.“
„Die NPD“, weiß Horst als ehemaliger Insider, „tritt zwar nicht martialisch auf, aber in Wahrheit ist sie nicht gewaltfrei.“ Doch dies – und das ist besonders gefährlich – sieht man erst so klar mit einigem Abstand. „Wenn man dabei ist, verliert man den Blick für die Realität. Der kommt erst nach dem Austritt langsam wieder zurück. Aber ich ertappe mich heute noch“, sagt Horst, „dass ich im Fernsehen Nachrichten sehe und denke, das ist doch gelogen. Ohne fremde Hilfe schafft man nicht den Ausstieg.“
Zur Lage in Brandenburg: Die NPD öffnet sich verstärkt der gewaltbereiten Neonazi-Szene
Der Verfassungsschutz in Brandenburg bewertet das Beispiel des NPD-Aussteigers Horst als Indiz, dass „der Typ des halbwegs bürgerlich verankerten Rechtsextremen in der Partei keine Heimat mehr hat".
Als neuer Entwicklungstrend ist zu beobachten, dass Personen, die aus der gewaltbereiten Neonazi-Szene stammen, jetzt zugleich Mitglieder der NPD werden. Die NPD versucht weiterhin, sich bürgerlich darzustellen. Dieser Versuch wird nach Auffassung des Verfassungsschutzes jedoch immer verkrampfter.
Eine zunehmende Gewalttätigkeit der NPD bis hin zur Nazifizierung ist deshalb zu beobachten, berichtet Brandenburgs Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber.
Die NPD in Brandenburg hat derzeit etwa 250 Mitglieder, das ist der höchste Stand seit der Wende.
Die rechtsextreme DVU, die seit 1999 im Landtag vertreten ist, verliert dagegen seit Jahren Mitglieder.
Inzwischen ist sie bei 250 angelangt, damit ist sie nicht mehr stärker als die NPD.
Der gewaltbereiten rechtsextremen Szene werden zur Zeit etwa 500 Personen zugerechnet. Seit der Wende schwankt die Zahl zwischen 500 und 600 Personen. Da mit höherem Lebensalter regelmäßig Personen aus dieser Szene aussteigen, ist das Potential der jüngeren Nachfolger seit Jahren in etwa konstant geblieben.
Gemeinsam mit den Neonazis, die keiner Partei angehören - und das sind derzeit 240 -, sind in Brandenburg etwa 1250 Rechtsextremisten bekannt. 93 Gewaltstraftaten, die auf eine rechtsextreme Gesinnung zurückzuführen sind, wurden allein im Jahr 2007 registriert.
Das Innenministerium hat seit 1995 insgesamt fünf rechtsextreme Vereine verboten. Unter dem Eindruck dieses Verfolgungsdrucks haben sich mehrere Neonazi-Vereine freiwillig aufgelöst, manche jedoch nur zum Schein, um insgeheim ungestört agieren zu können.
(Zusammenstellung: Frank Schauka. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors).Zum Original-Artikel in der Märkischen Allgemeinen vom 3.6.2008
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