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Es klingt nach Heuchelei. Zwei Schalke-Fans haben sich dafür entschuldigt, im hessischen Stadtallendorf auf eine Moschee geschossen und Brandsätze geworfen zu haben. Eine Woche nach der Tat liegt ein Geständnis der beiden Fußballfans vor - die auch Schusswaffen zu Hause horteten. Angeblich habe Fremdenfeinlichkeit keine Rolle gespielt, beschwichtigen inzwischen auch die Behörden. Die beiden Täter hätten sich aus Fußball-Frust abreagiert, warum sie aber deshalb nachts zielgerichtet die Moschee heimsuchten, bleibt nebulös.
Von Holger Kulick
Nach intensiven Ermittlungen der Kriminalpolizei Marburg wurden schon am Freitag zwei Männer aus dem hessischen Ostkreis verhaftet. Sie legten umgehend ein Geständnis ab und sagten aus, ein verlorenes Fußballspiel ihres Lieblingsclubs Schalke 04 habe sie angeblich zu der Tat getrieben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Marburg hatten die beiden 29 und 32 Jahre alten Männer am Sonntag vor einer Woche das Spiel von Schalke 04 gegen den Hamburger SV (1:2) im Fernsehen verfolgt. Nach der Niederlage ihres Lieblingsvereins hätten sie zunächst ihren Fernseher zerstört. Danach seien sie, stark alkoholisiert, in Richtung Moschee gezogen.
Während der jüngere der beiden Männer einen Schuss auf die Moschee abgab, der eine Fensterscheibe durchschlug, versuchte der 32-Jährige erfolglos einen Benzinkanister zu entzünden und verletzte sich dabei selbst schwer.
Passantin half, Schlimmeres zu verhüten
Ahmet Turgut, Vorsitzender der muslimischen Gemeinde konnte den brennenden Benzinkanister und ein mit Benzin getränkten Lappen löschen, um Schlimmeres zu verhüten. Eine couragierte Passantin, die den Brand entdeckte, hatte ihn gegen 23 Uhr informiert. Zu dieser Zeit war die Moschee menschenleer.
Bei der Untersuchung des Tatorts fanden Brandexperten der Polizei zwei Bierflaschen, die mit Benzin gefüllt waren, neben der Moschee. Die Flaschen sollten offenbar gegen die Scheiben geworfen werden, die beiden Täter kamen jedoch aufgrund ihres Missgeschicks mit dem Benzinkanister nicht mehr dazu und mussten eine Klinik aufsuchen.
Die beiden Männer befinden sich mittlerweile wieder auf freiem Fuß und wollen sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft bei der Türkischen Gemeinde entschuldigen. Zunächst taten sie das beim offenkundig um das Ansehen Stadtallendorfs besorgten Bürgermeister der Stadt. "Wir möchten uns bei Ihnen für die widerwärtige Tat in aller Form entschuldigen, schrieben sie ihm, "wir können uns nicht erklären, wie wir so etwas Idiotisches tun konnten". Das Schreiben klingt recht diktiert, aber reicht der Gemeinde offenbar aus. "Dass die Täter sich zu dem Brief durchgerungen haben, ist ein erster positiver Schritt, über die Tat nachzudenken", reagierte Bürgermeister Manfred Vollmer (CDU) am Dienstag.
Spontantat?
Die Marburger Staatsanwaltschaft stuft den Anschlag nunmehr als eine "Spontantat" ein. Es stehe "keine rechtsextremistische Organisation dahinter", betonte Staatsanwältin Annemarie Wied. Die Täter befänden sich wieder auf freiem Fuß; Haftgründe lägen nicht mehr vor. Zu den Schusswaffenfunden bei den Tätern wurde sich nicht mehr geäußert.
Von Fremdenfeinlichkeit ging jetzt auch die Polizei nicht mehr aus. "Die beiden eigenen Angaben zufolge zur Tatzeit erheblich alkoholisierten und wegen eines verloren gegangenen Fußballspiels ihres Vereins verärgerten und aggressiven Männer ließen ihren Frust an der Stadtallendorfer Moschee aus", resümierte die Polizei. Die Tat sei "den bisherigen Erkenntnissen nach nicht fremdenfeindlich motiviert" gewesen sei, so wurde Polizeisprecher Martin Ahlich am Freitag auf Nachfrage der Oberhessischen Presse zitiert.
Doch eine Tat nachts um 23 Uhr mit Feuerlegen und scharfen Schüssen ist keine spontane Tat mehr, sondern wohlüberlegt - auch wenn Fußballfrust tagsüber ein Auslöser gewesen sein mag. Und zielgerichtet wurde die Moschee als Sündenbock gesucht, offenbar weil sie einem tief verwurzeltem Feindbild der Täter entsprach. Anders ist auch eine solche "Spontantat" kaum zu erklären.
Aufmerksame MUT-Leser
Die erste Meldung, die MUT zu dem Vorfall vorlag, kam am vergangenen Montagabend von einem Leser. "Hallo, in der Nacht zum Montag ist die Fatih-Camii Moschee in Stadtallendorf mit Brandsätzen beworfen und beschossen worden. Der Anschlag kam nicht in die überregionalen Nachrichten, weil niemand getötet wurde. Stadtallendorf ist 8 km von hier, die einzige Industriestadt in der Umgebung. Dorthin sind viele Leute aus Anatolien geschafft worden, damit sie malochen. Das haben die auch getan; die Gemeinde Stadtallendorf gilt als reich, die dort lebenden Türken sind es aber nicht. Ich habe manchmal mit denen zu tun. Sie sind unterdurchschnittlich aggressiv. In eine Prügelei haben die mich noch nicht gezogen. Für die andere Seite gilt das aber nicht. Nicht nur die gewöhnlichen Dorf-Neonazis hetzen gegen die Türken, auch und besonders Leute, die auf staatlichen Posten sitzen. Bekannt ist der Polizeibeamte und Republikaner-Fürst Manfred T...".
Zwei Tage dauerte es, dann befassten sich außer den Lokal- auch die Regionalnachrichten mit dem Thema. Am 24.3. meldete der Hessische Rundfunk, Kriminalpolizei und Staatsschutz würden "in alle Richtungen ermitteln". Am Freitag kam dann die Erfolgsmeldung der Polizei, den vermeintlichen Tätern auf die Spur gekommen zu sein.
Zuvor nie fremdenfeindliche Aktionen
Die Mitglieder der türkisch-islamischen Gemeinde in Stadtallendorf zeigten sich nach dem Anschlag verunsichert und fassungslos. "Natürlich sind wir sehr traurig", erklärte der zweite Vorsitzende Ahmet Hamurcu dem hr. Seit ihrem Bau 2004 habe es bislang keine fremdenfeindliche Aktion oder Proteste gegen die Moschee gegeben. Aber das Klima zwischen Türken und Deutschen in Stadtallendorf sei nicht ohne Spannung: Im Stadtparlament sind zum Beispiel die rechtsgerichteten Republikaner vertreten.
Als erstes reagierte der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Stadtallendorf. Thomas Peters kündigte an, einen Solidaritätsbrief an die türkisch-islamische Gemeinde zu richten. Damit wolle die Gemeinde ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen. Anderntags zeigte sich auch Stadtallendorfs Bürgermeister Manfred Vollmer (CDU) bestürzt. Und unmittelbar nachdem die Tat endlich in den Medien gemeldet wurde, reiste der hessische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Omid Nouripur, direkt aus Berlin an, um sich zu informieren. „Es ist eine schlimme Sache passiert. Jetzt ist es wichtig, der Gemeinde zu zeigen, dass sie nicht allein ist und die Unterstützung der gesamten Gesellschaft hat“, sagte Nouripur der Oberhessischen Presse.
Täter wollen sich entschuldigen
Die türkisch-islamische Gemeinde nahm die Nachricht über die Festnahmen der zwei Tatverdächtigen mit großer Erleichterung auf. „Wir sind froh, dass die Polizei die Tat so schnell aufklären konnte“, sagte Ahmet Turgut im Gespräch mit der Oberhessischen Presse. Laut seinen Angaben wollen sich die Täter persönlich bei der Gemeinde für ihre Tat entschuldigen. „Darüber würden wir uns sehr freuen und ihnen ihre Tat verzeihen“, betonte Turgut.
Mehr aus Hessen: "Freie Kräfte Schwalm-Eder" - Neonazischläger Kevin S. trotz neuer Anklage wieder frei (FR, 24.3.2009)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk / Fotos: Wikipedia/Oberhessische Presse