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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Engagement gegen rechts bei älteren Menschen fördern, geht das überhaupt? Hierüber diskutierte man am 1. Juli bei der Veranstaltung „SeniorInnen gegen ‚rechts’?“.
„Senioren! Was heißt das überhaupt? Ab wann ist man denn Senior?“, ist die energische Nachfrage einer Teilnehmerin des Workshops in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) „Wie kann man mehr ältere Menschen zu bürgerschaftlichem Engagement gegen rechts bewegen?“ auf das Inputreferat von Dr. Peter-Georg Albrecht. Dieser hatte Ergebnisse seiner Studie „’Von früher lernen heißt…’ Zivilgesellschaftliches Engagement älterer Menschen gegen Rechtsextremismus“, die von der Amadeu Antonio Stiftung im Mai veröffentlich wurde, vorgestellt und versucht, eine Typologie couragierter ‚SeniorInnen’ herzustellen. Die Nachfrage entfacht eine kurze aber heftige Diskussion an deren Ende sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer (übrigens alle über 55 Jahren) einig sind: Sie möchten als ‚ältere Menschen’ nicht als ‚SeniorInnen’ bezeichnet werden.
Angst und Unsicherheit
Nachdem diese grundlegende Frage geklärt ist, geht es an den Kern des Workshops: Wieso sind ältere Menschen im Engagementbereich gegen rechts überhaupt so wenig vertreten? Viel zu diskutieren gibt es hier nicht, alle haben selbst schon Erfahrungen mit Neonazis gemacht, sei es im Sportverein, unter Kollegen oder auf der Straße. Wirklich etwas dagegen unternommen oder zumindest Missfallen gezeigt, hat dagegen niemand. „Wir haben Angst!“, erklärt eine Rentnerin. „Auch im Verein ist es unangenehm, wenn ein Bekannter eine rassistische Bemerkung macht, ich weiß nicht, wie ich da reagieren soll“, beschreibt ein anderer Teilnehmer das Problem. Das Thema der Angst spielt eine große Rolle, wie im weiteren Verlauf der Redebeiträge klar wird. Viele wissen nicht, wie sie sich in brenzlichen Situationen verhalten können. Die Angst lähmt das Engagement gegen rechts.
„Woran erkennt man Nazis“
Neben dem Hauptproblem der Angst, wissen viele ältere Menschen im Workshop nicht, wann eine Bemerkung oder Tat als eine rassistische einzuordnen ist. Wer tatsächlich neonazistische Einstellungen vertritt ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, antwortet Timo Reinfrank auf die aufgeregte Frage einer älteren Dame: „Woran erkenne ich denn einen Nazi?“. Ob eine Person rassistisch oder antisemitisch eingestellt sei, wird erst durch ihre Bemerkungen, Handlungen und Taten sichtbar, so Reinfrank. Zudem geht es nicht nur um extreme Situationen, sondern vielmehr um alltägliche Dinge, denn Stereotype, Muster und Vorurteile sind noch immer überall verbreitet wird durch Dr. Peter-Georg Albrecht ergänzt.
Projekte und Maßnahmen
Was also tun? Um mit der Angst umgehen zu können muss Sicherheit geschaffen werden. Hierbei denken die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an qualifiziertes Training speziell für ältere Menschen. So soll gelernt werden, in der jeweiligen Situation mit der eigenen Angst umgehen zu können und trotzdem eine Reaktion auf rassistische Bemerkungen zeigen zu können. „Lernen, wie man Haltung zeigt, das ist wichtig“, erklärt Dr. Peter-Georg Albrecht:„Auf einen diskriminierenden Spruch im Sportverein nicht zu reagieren, ist auch schon eine Reaktion“. Zudem muss geübt werden über Neonazis und ihre Ideologie zu sprechen; dies kann am besten im eigenen Umfeld und Freundeskreis geschehen. Wenn man lernt, mit Freundinnen und Freunden über dieses sensible Thema zu sprechen und es damit schafft, sich ein paar ‚Verbündete’ zu schaffen, so sinkt auch die Hürde, sich gegen rechts zu engagieren. „Außerdem bringt Engagement im Alter Spaß und Freude“, motiviert Susanne Stollreiter, Moderatorin und Mitarbeiterin der FES.
Auf der anderen Seite
Einen anderen wichtigen Punkt hatte Prof. Dr. Andreas Zick vor dem Workshop in der Vorstellung der Ergebnisse seiner aktuellen Studie: „Die Abwertung der Anderen – Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung“ vorgestellt. Es zeigt sich, dass Engagement gegen rechts bei älteren Menschen nicht nur geringer ist, sondern, dass rassistische Einstellungen auch mit dem Alter zunehmen. Vor Allem können extreme Meinungen bei Rassismus und Antisemitismus verzeichnet werden. „Gleichzeitig ist das politische Interesse genau dieser Menschen besonders hoch!“, stellt Prof. Dr. Andreas Zick fest. Eine Erklärung für diese Ergebnisse lieferte im Anschluss der ehemalige Parteivorsitzende der SPD, Franz Müntefering: „Es gibt so viele, die denken die Demokratie sei sicher, aber nichts ist sicher. Man muss immer etwas dafür tun“. Auch wurde in der Nachkriegszeit nicht über Demokratie, Neonazis und Antisemitismus gesprochen, geschweige denn dafür sensibilisiert. Die Aufarbeitung der deutschen Geschichte muss auch beim heutigen Engagement älterer Menschen gegen rechts Thema sein.
Im Projekt „Generation 50+ – aktiv im Netz gegen Nazis“ schult die Amadeu Antonio Stiftung beispielsweise schon ältere Menschen im Umgang mit Neonazis im Internet. Für die weitere Arbeit im Bereich der politischen Bildung bedeuten die Erkenntnisse dieses interessanten Tages vor allem, dass ältere Menschen mehr in den Fokus der Förderung und Projektarbeit gehören. Nicht nur Jugendliche sollten Zielgruppe politischer Bildung sein. Außerdem müssen andere Methoden und Zugänge zum Engagement entwickelt werden.
Foto: baranek via flickr, cc