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In Gera haben es Rechtsextreme geschafft, Nazikultur wieder zur Alltagskultur zu machen. Ungehindert konnten dort am 11. Juli rund 4000 Neonazis ein Festival abhalten - quasi mitten in der Stadt. Die Zivilgesellschaft blieb hilflos und in der Minderheit. Eine Fotoreportage.
Von Madeleine Warsitz, Gera
Der Spuk scheint kein Ende nehmen zu wollen. Aus allen Himmelsrichtungen strömen Rechtsextremen am Samstagmittag auf die Rasenfläche, die so unschuldig „Spielwiese“ genannt wird. Zum siebten Mal halten sie in diesem Jahr ihr Spektakel „Rock für Deutschland“ im ostthü-ringischen Gera ab, und dieses Mal verspricht, den Rahmen des Vorstellbaren zu sprengen. Hat die Geraer Stadtverwaltung zunächst noch mit 1000 Teilnehmern gerechnet, korrigiert sie ihre Prognose später um das Doppelte nach oben. Die Polizei zeigt sich am Ende von offiziell gezählten 3900 angereisten Rechtsextremen überrascht.
Der Grund: Michael Regener alias „Lunikoff“ hat sich angekündigt. Die Mythengestalt der Szene ließ die Besucherzahlen astronomisch nach oben schnellen. Die Gegendemonstration indes blieb Geraer Verhältnissen treu – gerade mal 700 Menschen protestierten gegen die rechte Veranstaltung.
Die Geraer Verhältnisse, sie scheinen den Rechten die liebsten zu sein. Nicht umsonst kommen sie seit Jahren mit dem von der NPD mitorganisierten „Rock für Deutschland“ in die Otto-Dix-Stadt. Die Abgeschiedenheit der „Spielwiese“, der meist mickrige Protest der Geraer Bürger, ein umtriebiger NPD-Kreisverband. Auch diesmal ist die Rechnung aufgegangen.
Unter dem Motto „Hier bleiben – anpacken!“ sitzen 3900 Rechtsextreme in aller Ruhe bei Rechtsrock und Bratwurst zusammen und lauschen mehr oder minder aufmerksam den politischen Reden des stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Frank Schwerdt, des Parteichefs Udo Voigt und der Thüringer NPD-Größe Patrick Wieschke. Allein die prominente Aufstellung zeigt: Das ist keine Gartenparty. Zwischen den Redebeiträgen dröhnt Rechtsrock von der Bühne. Szene-Promis wie „Sleipnir“, „Brain-wash“, „Blitzkrieg“ und vor allem „Die Lunikoff Verschwörung“ ziehen die Rechtsextremen scharenweise vor die Bühne, es ist rappelvoll.
Vor lauter Krach verhallt der über Megafon verstärkte Protest der Geraer Bürger ungehört. Der Protestzug mit gerade mal 700 Menschen, davon viele aus anderen Teilen Thüringens, zieht unter den Argusaugen der Polizei in einer Seitenstraße am Veranstaltungsort der Rechten vorbei. Der einzige kritische Punkt der Route, an dem es zu Zusammenstößen kommen könnte, ist hermetisch mit Blockaden abgesperrt. Beamte in Kampfausrüstung und mit Schutzschilden stehen bereit. Eine Straßenbahn ist vor dem Einlassbereich der Rechtsextremen zum Stehen gekommen und verdeckt die Sicht auf die Besucher.
„Wir sind vorbereitet, aber Gera ist nicht vorbereitet“
Initiiert vom Jenaer „Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“ entschließen sich rund 300 Gegendemonstranten zu einer spontanen Sitzblockade auf der Straße. „Schade, dass sich fast keine Geraer hingesetzt haben“, bedauert Norman Beberhold vom Aktionsnetzwerk. Das Bündnis hat sich in den letzten Jahren auf friedliche Sitzblockaden spezialisiert und bietet dazu immer wieder Trainings an.
Die Blockade wird nach kurzer Zeit wieder friedlich aufgelöst. „Wir sind vorbereitet, aber Gera ist nicht vorbereitet“, sagt Beberhold. „Wenn die das Stichwort ‚ziviler Ungehorsam’ hören, denken sie, wir wollen Steine schmeißen.“ Seine Einschätzung: „Der übliche Geraer ist zufrieden, wenn er in Ruhe gelassen wird.“ Das kann auch der stellvertretende Bürgermeister, Norbert Hein, nicht ganz von der Hand weisen. „Die Geraer sind schwer zu mobilisieren“, gibt er zu. Allerdings betont er, Gera sei keine Ausnahme als Anlaufpunkt der Rech-ten. „NPD-Veranstaltungen gibt es auch in anderen Städten.“ Hein vermutet, dass den Rechtsex-tremen die Abgelegenheit der „Spielwiese“ besonders gut gefällt. „Dort geht die Veranstaltung weitgehend an der Öffentlichkeit vorbei.“
In der Tat. Mitten in der schmucken Geraer Innenstadt ist von dem gespenstischen Treffen der Rechten nichts zu spüren. Das Leben geht weiter wie eh und je. Junge Mütter schieben ihre Kinderwagen übers Kopfsteinpflaster, Rentner holen beim Bäcker Brötchen für ein spätes Samstagsfrühstück. Die Bäckersfrau echauffiert sich an der Kasse dann doch über die Neonazis: „Die wissen doch gar nicht, was Hitler ist. Die haben ja keine Ahnung, wie das wirklich war.“ Dass Gera seit Jahren die rechte Szene anzieht, erklärt sie sich mit der Größe der Stadt. „Gera ist klein. Wis-sen Sie, in Hamburg oder Berlin verläuft sich so was. Aber hier… Also bloß schnell nach Hause!“ Die Frage, ob das wohl der richtige Weg ist – sich zuhause verstecken – kann sie nicht mehr beantworten. Die nächste Kundin wartet.
„Wir sind selbst dafür verantwortlich, was aus dieser Stadt wird“, sagt Norbert Hein bei der Kundgebung. Gera sei eine demokratische Stadt. Trotz dieser Beschwörungen lässt sich das Vorpreschen der Rechtsextremen nicht leugnen. Zwei Sitze hat die NPD bei der Kommunalwahl Anfang Juni abgeräumt und mischt jetzt nach langer Zeit wieder im Stadtrat mit. Wie weit der Einfluss reicht, bleibt abzuwarten. Fest steht aber, dass das eine eher fragwürdige Entwicklung ist. Überhaupt hat Gera es seit der Wende nicht leicht gehabt. Von einem blühenden Industriezentrum mit 135.000 Einwohnern zu DDR-Zeiten hat es sich nach 1990 in ein Paradebeispiel einer schrumpfenden Stadt verwandelt.
Wegen des Geburtenrückgangs und der wegfallenden Arbeitsplätze hat Gera binnen 15 Jahren mehr als 30.000 Einwohner verloren. Im Juni 2009 lag die Arbeitslosenquote der Stadt bei 11,9 Prozent. Zum Vergleich: Deutschlandweit liegt der Wert bei 8,1 Prozent. Gera hat keine studentische Kultur wie etwa Jena, Erfurt oder Weimar, wo es immer wieder größere Protestaktionen gegen Rechtsextremismus gibt. Die Bürger Geras kämpfen mit den Problemen des Alltags; für Engagement in der Zivilgesellschaft bleibt keine Zeit. Norbert Hein mag das jedoch nicht nur mit dem Problem der schrumpfenden Stadt begründen: „Ich bin seit 1990 hier und damals war abends auf den Straßen auch schon nichts los.“
Vielleicht ist der Kern der Sache also ein Geraer Mentalitätsproblem, gepaart mit den Belastungen des Bevölkerungsrückgangs. Den Rechtsextremen spielt die Geraer Mentalität in die Hände. Am Samstag fühlen sie sich pudelwohl auf ihrer Wiese, lassen sich die Sonne auf die Nase scheinen und treffen alte Bekannte. Wer noch ein neues Outfit braucht, kann sich an den Merchandise-Ständen umsehen – „Thor Steinar“- und „Landser“-Aufdrucke gibt es in rauen Mengen.
Kleidung und Musik sind nach wie vor die identitätsstiftenden Mittel der Szene. Zunehmend stellen sich die Hersteller auch auf Mädchen ein. Auf der „Spielwiese“ tragen junge Frauen Girlie-Shirts mit Aufdrucken wie „Mein Freund ist Deutscher“ oder „Düütsche Deerns“. Das neue Label „Ansgar Aryans“ wird in Kisten herangekarrt und nach akribischer Untersuchung durch die Poli-zei unters Volk gebracht. Doch das ist nicht die einzige Einnahmequelle der Szene. Wer auf den Platz will, zahlt am Eingang 15 Euro – ein Unkostenbeitrag, wie die Veranstalter sagen.
Irgendwann trudelt Michael Regener alias „Lunikoff“ in einem schwarzen Van ein und schlendert später gutgelaunt über den Platz. Mit seinen hasserfüllten, eindeutigen Texten ist er vor Jahren ins Fahndungsfeld der Polizei gerückt und konnte deshalb so gut wie nie öffentlich auftreten – er wäre auf der Stelle verhaftet worden. Über diesem Katz-und-Maus-Spiel ist ein Mythos um den Mann entstanden, der sich der Anonymität halber nur „Lunikoff“ nannte. Sein wirklicher Name wurde erst bekannt, als seine damalige Band „Landser“ als kriminelle Vereinigung eingestuft und ihre Mitglieder vor Gericht gestellt wurden.
Regener verbüßte eine dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe – auch weil er sich weigerte, mit dem Gericht zu kooperieren. Das hat sein Image als unbeugsamer Szene-Held noch verstärkt. Seit letztem Jahr ist er wieder auf freiem Fuß und betritt mit der „Lunikoff Verschwörung“ gelegentlich die Bühne. Nach Einschätzung von MOBIT-Mitarbeiter Stefan Heerdegen sind seine Texte nicht mehr so unverblümt wie früher. „Das müssen sie aber auch nicht sein, denn jeder versteht die Anspielungen.“
Und auf die warten die Rechtsextremen in Gera bis zum frühen Abend. „Lunikoff“ ist der Star des Tages, er hat die Neonazis zu Tausenden in die Otto-Dix-Stadt geholt. Die Polizei kontrolliert indessen eher hilflos Kisten mit Lieferware frischer Neonaziklamotten - solch ein Festival ist in der Regel für Nazimodebranche ein besonders dickes Geschäft. Um 19 Uhr wird das Konzert beendet, eine Stunde zuvor bereits die Gegendemonstration.
Für den NPD-Kreisverband ist es ein Riesenerfolg – der Widerstand der Geraer bleibt aus, dafür ist der Zulauf aus den eigenen Reihen umso größer. Die Veranstaltung signalisiert den Rechten: Hier können wir uns breit machen. Den Geraer Bürgern aber zeigt dieser Tag aufs Neue: Wer sich zuhause versteckt, wird die Rechtsextremen erst recht nicht los.
Wohin das aus deren Sicht führen soll, zeigen zurückbleibende Spuren.
Links:
Ingo Siebert, Der lokale Aktionsplan Potsdam als Beispiel.
"Das Tor zur Szene" - Mehr über Rechtsrock
Der Geraer Aufruf des Aktionsbündnis Kabelbruch
Wie die Naziszene das Konzert feiert
Eine Woche zuvor: Luftiger Protest gegen Nazikonzert in Franken
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk / Copyright Fotos: Madeleine Warsitz