Am 6.9. gedachten über 200 Bürger in Magdeburg dem nunmehr dritten Todesopfer rechter Gewalt in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts. In Dortmund demonstrierten zeitgleich etwa 3000 Menschen gegen Rechtsextreme, im bayerischen Memmingen 700.
Von Thomas Weber
Nur 200 oder immerhin 200? Drei Wochen nach der grausamen Tötung eines 20jährigen Kunststudenten gedachten am Samstag über 200 Bürger in der Magdeburger Innenstadt dem nunmehr dritten Todesopfer rechter Gewalt in der Landeshauptstadt. Zu der Kundgebung unter dem Motto „Augen auf gegen rechte Gewalt“ hatte das Bündnis gegen Rechts aufgerufen. Zu den Teilnehmern zählten u.a. der stellvertretender Bürgermeister Rüdiger Koch, die FDP-Landtagsabgeordnete Lydia Hüskens und der Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert.
Sören Herbst, als Stadtrat Mitglied im Bündnis gegen Rechts, brachte in seiner Rede die tiefe Trauer zum Ausdruck: „Ich weiß nicht, wie es geschehen ist und warum. Mich beherrscht ein ohnmächtiges Gefühl, wenn ich an Rick und seinen sinnlosen Tod denke.“ Unter Verweis auf die zwei früheren in Magdeburg durch Rechtsextreme zu Tode gekommenen jungen Männer, Torsten Lamprecht und Frank Böttcher, fordert Herbst ein deutliches gesellschaftliches Signal gegen Rechtsextremismus: „Wir Magdeburger müssen unsere Augen nicht öffnen, wir müssen sie aufreißen gegen rechte Gewalt! Es ist allerhöchste Zeit. Es muss ein Umdenken geben, bei jedermann.“
Zu der derzeitigen öffentlichen Debatte um die Bewertung des Tötungsdeliktes äußerte sich Heike Kleffner, Leiterin der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt, zu den Kundgebungsteilnehmern: „Es ist nicht zentral, ob die Tat die Kriterien der politisch motivierten Kriminalität erfüllt. Wir müssen uns vielmehr vor Augen führen, dass der Tod von Rick ein Ausdruck der menschenverachtenden und gewalttätigen Ideologie der Rechtsextremen ist.“
Zu der Demonstration aufgerufen hatt nicht nur das Magdeburger Bündnis gegen Rechts. Auch der Stadtrat hatte zwei Tage zuvor einstimmig eine Erklärung zum Mord an Rick L. abgegeben und eine Schweigeminute durchgeführt. In der Erklärung hieß es.
"...Die sinnlose und brutale Tötung des jungen Mannes zeigt uns auf tragische Weise eine der Folgen der menschenverachtenden Ideologie der Rechtsextremen. Die Tat erinnert uns auch daran, wie wichtig es ist, jeglichen Aktivitäten rechtsextremer Gruppierungen entschieden und mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates entgegenzutreten. Es ist unser Auftrag, als gewählte Vertreterinnen und Vertreter im Magdeburger Stadtrat, rechtsextremem Gedankengut und einem Weltbild, das sich auf den Hass gegen alles Anderssein oder Andersleben stützt, ständig entgegenzuwirken. Dieser Auftrag muss in Zukunft noch stärker ein Teil unserer politischen Arbeit werden....".Zum Hintergrund
In der Nacht zum 16. August 2008 wurde der 20-jährige Rick L. in der Nähe der Diskothek „Funpark“ in Magdeburg-Reform so schwer durch Schläge und Tritte verletzt, dass er an seinem eigenen Blut erstickte. Zwei Tage nach der Tat nahm die Polizei den wegen gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung und räuberischer Erpressung zu einer Haftstrafe verurteilten Rechtsextremen Bastian O. fest. Die Staatsanwaltschaft beschrieb den dringend tatverdächtigen Mann nach seiner Festnahme gegenüber den Medien als „eindeutig der rechten Szene zuzuordnen“. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, dass es zuvor in der Diskothek zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den zwei Männern kam, wobei das spätere Opfer Bastian O. als einen „Nazi“ tituliert haben solle. Die Staatsanwaltschaft hat diese Meldung bisher weder dementiert noch bestätigt. (Mehr unter
www.miteinadner.de.)
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident weist Vorwürfe zurück
Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Hövelmann (SPD), hat indessen Vorwürfe zurückgewiesen, in seinem Bundesland nehme die Zahl rechtsradikaler Straftaten zu. Die Statistik beweise, dass sich die Lage leicht bessere, auch wenn dies ein "langsamer, mühevoller Weg" sei, sagte Hövelmann im Gespräch mit dem Sender 'Deutschlandradio Kultur'.
Andere Bundesländer würden nach der neuen bundeseinheitlichen Statistik, die von 2008 an gelte, einen deutlichen Anstieg an rechtsradikal motivierten Vorfällen verzeichnen. "Das werden Sie bei Sachsen-Anhalt nicht mehr erleben, weil wir schon alles drin haben", sagte Hövelmann.
Der SPD-Politiker verteidigte die Öffentlichkeitsarbeit von Justiz und Polizei im Fall der beiden rechtsextrem motivierten Morde im August dieses Jahres. Hier sei keine Information von Seiten der federführenden Staatsanwaltschaft "bösartig zurückgehalten" worden. Die Behörden müssten auch weiterhin das Recht haben, fachlich selbst zu ermessen, welche Informationen nach dem jeweiligen Ermittlungsstand an die Öffentlichkeit gehörten und welche nicht.
Die Kritik des Vorsitzenden des Vereins "Gesicht zeigen", Uwe-Karsten Heye, an Sachsen-Anhalts Polizei und Politik wies Hövelmann erneut scharf zurück. "Die gigantische Gabe, per Ferndiagnose sofort alles besser zu wissen" ärgere ihn, so der SPD-Politiker aus Magdeburg. Heyes Kritik sei auch nicht fair gegenüber allen, die sich in Vereinen, bei der Polizei und in der Politik gegen Neo-Nazis engagierten. Er hoffe, dass die vielen Aktivitäten in Sachsen-Anhalt endlich wahrgenommen würden. Ein Land, das den Stempel des Rechtsextremismus trage, müsse zehn Mal mehr als andere leisten, um eine öffentlich positive Wirkung zu erzielen, bedauerte Hövelmann. (Quelle: dr-kultur). Initiativvertreter empfanden Hövelmanns Stellungnahme gerade zu diesem Zeitpunkt als wenig glücklich. Es sei "skandalös", dass der Innenminister Hövelmann am Tag der Beerdigung von Rick L. auf eine sinkende Kriminalitätsstatistik verweise, so als gehe es um Verkehrsunfälle.
Zeitgleich zur Kundgebung in Magdeburg versammelten sich rund 3000 Bürger aus Protest gegen Rechtsextremismus am Samstag in der Dortmunder Innenstadt. Nach Angaben der Polizei verliefen die Demonstrationen und der Aufmarsch der Rechtsextremen weitgehend friedlich. Allerdings kam es entlang des mehr als vier Kilometer langen Demonstrationszuges der Neonazis zu einzelnen Zwischenfällen. Mehrere Strafverfahren wegen Körperverletzung, Verdachts des Landfriedensbruchs und Verstößen gegen das Sprengstoff- und Versammlungsgesetz wurden eingeleitet.
Die Proteste gegen das Neonazi-Treffen hatten bereits am Samstagvormittag begonnen. So zogen nach Polizeiangaben rund 800 Menschen in einem Protestzug vom Hauptbahnhof in die Innenstadt. Am Mittag fand auf dem Theatervorplatz eine weitere Kundgebung unter dem Motto "Bunt statt braun" statt, zu der sich nach Polizeiangaben rund 1500 Bürger einfanden. Zudem gab es eine spontane Versammlung am Südbahnhof, an der sich rund 700 Personen beteiligten.
Am Nachmittag startete dann in der östlichen Innenstadt ein Aufmarsch von Rechtsextremen, zu dem sich laut Polizei rund 1100 Teilnehmer einfanden. Wegen des starken "Aggressionspotenzials" der Gegendemonstranten mussten die Absperrungen am Marschweg verstärkt werden, zudem wurde auf eine Abschlusskundgebung der Rechtsextremen verzichtet. Die Neonazidemonstration fand anlässlich eines "Nationalen Antikriegstags" statt und stand unter dem Motto "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege". Zu Zwischenfällen kam es aber auch innerhalb dieses Neonazi-Umzuges, der immer wieder ins Stocken geriet. Auch hier zeigten viele Teilnehmer nach Polizeieinschätzung ein hohes Gewalt- und Aggressionspotenzial. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei während und zum Ende des Marsches wurden wiederholt Feuerwerkskörper gezündet und Flaschen geworfen. 16 Polizeibeamte wurden dabei leicht verletzt. Auch bei der Abreise der Neonazis kam es erneut zu vereinzelten Auseinandersetzungen mit der Polizei. (Quellen: ddp und Ruhrnachrichten)
700 Demonstranten in Memmingen
Auch im bayerischen Memmingen zogen am Samstag rund 700 Menschen aus Protest gegen einen genehmigten Aufmarsch der rechtsextremen NPD auf die Straße. Dabei wurden vier Anhänger der rechten Szene sowie 14 Autonome festgenommen, wie die Polizei mitteilte. Die Vorwürfe lauten auf Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Beschädigung von Wahlplakaten, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Bereits bei den Anfahrtskontrollen wurden zudem in drei Fällen Waffen und verbotene Gegenstände gefunden. Die Polizei sprach von einem ''nahezu störungsfreien Ablauf der Veranstaltungen''.
250 Demonstranten in Velten
Etwa 250 Menschen haben nach Veranstalterangaben am Sonnabend auch in der brandenburgischen Kleinstadt Velten gegen Rechtsextremismus demonstriert. Unter den Teilnehmern waren der Präsident des brandenburgischen Landtags, Gunter Fritsch (SPD), und der stellvertretende Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg, Mohamed Hamdali. "Ich freue mich, dass immer mehr Bürger für ein tolerantes Brandenburg eintreten, und wünsche mir, dass wir bald überall im Land eine Zivilgesellschaft haben, wie wir sie heute in Velten erleben können", sagte Fritsch. Zu der Veranstaltung unter dem Motto "Bunte Vielfalt statt brauner Einfalt - für Demokratie und Weltoffenheit" hatte eine "Initiativgruppe gegen Gewalt und Rassismus Velten" aufgerufen. Offenbar etwas erfolgreicher, als in der Großstadt Magdeburg... (Quelle: taz)
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