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Von Stefan Lauer
In Berlin wurde am Wochenende wieder gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie demonstriert. Erneut lieferte die Polizei kein gutes Bild ab. Zum Repertoire der „Querdenker“ gehört immer öfter körperliche Gewalt und Einschüchterungen.
Am 23.10. wurden zum ersten Mal während der zweiten Welle der Covid19-Pandemie Patienten aus den Niederlanden in ein deutsches Krankenhaus transportiert. Das Gesundheitssystem des Landes steht kurz vor der Auslastung. Ähnliche Berichte gibt es aus Belgien und Tschechien. Währenddessen protestieren in Berlin Tausende gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Virus, Gruppen von aggressiven Maskengegner*innen ziehen durch Einkaufszentren und Bahnhöfe und schüchtern die Umstehenden ein. Polizist*innen werden angegriffen, Menschen angespuckt. Die Polizei setzt die Maskenpflicht nicht durch, schon wieder scheinen die Berliner Behörden komplett überfordert zu sein, trotz Unterstützung der Bundespolizei.
Laut Polizeiangaben zogen am Sonntag 2000 Menschen durch Berlin, um gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Pandemie zu demonstrieren. Vom Alexanderplatz in Mitte liefen die Teilnehmer*innen zum „Kosmos“, einem ehemaligen Kino in Friedrichshain, in dem der Weltgesundheitsgipfel stattgefunden hätte, wäre er nicht durch die Pandemie ins Internet verlegt worden. Offenbar war die Situation von Anfang an chaotisch. Nachdem die Demonstration zunächst wegen der nicht eingehaltenen Maskenpflicht nicht loslaufen durfte, brach ein Teil der Teilnehmenden aus der Menge aus und setzte sich auf eigene Faust und trotzdem ohne Masken in Richtung Friedrichshain in Bewegung.
Die Demo war für 2.500 Personen angemeldet worden, die Polizei war nach Schätzung des Tagesspiegels zunächst mit viel zu wenigen Einsatzkräften vor Ort. Dabei kam es immer wieder zum Versuch, Polizist*innen zu bedrängen, bzw. „die Bullen zu umzingeln“, wie in diesem Video des Tagesspiegel-Reporters zu hören ist.
Auch ein Rettungswagen und ein Fahrzeug der Feuerwehr wurde von Demonstrierenden an der Weiterfahrt gehindert, wie der Journalist Enno Lenze per Twitter berichtet.
Schon bei den vergangenen „Coronademos“ in Berlin schien die Polizei die Kontrolle zu verlieren. Immer wieder waren viel zu wenige Beamt*innen vor Ort, die Auflagen wurden nicht durchgesetzt, Mindestabstände oder Masken gab es keine. Ausgerechnet an diesem Wochenende hatte die Berliner Polizei aber eigentlich Unterstützung. Im Rahmen der Kontrollen der in Berlin neueingeführten Maskenpflicht auf belebten Straßen und anderer Anti-Covid19-Maßnahmen, waren zusätzlich 500 Bundespolizist*innen vor Ort. Einen Tag zuvor berichtete der Twitteraccount der Behörde noch öffentlichkeitswirksam und skandalheischend über eine aufgelöste „Fetisch-Party“, ohne zu erwähnen, dass es sich um eine angemeldete und erlaubte Veranstaltung gehandelt hatte. Auch am Samstag war Polizei an anderen Stellen der Stadt im Einsatz, wie die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne) auf Twitter berichtet.
Vereinzelt griffen Beamt*innen auf der Verschwörungsdemo ein. Die große Mehrheit der Teilnehmenden konnte allerdings masken- und abstandsfrei durch die Stadt laufen, ohne dass die Versammlung durch die Polizei aufgelöst wurde. Dem Spiegel sagte die Einsatzleitung: „Natürlich hätten wir sie aufhalten können. Aber wir wollen diese Bilder nicht.“ In einem Video ist zu sehen, wie ein einzelner Gegendemonstrant von mehreren Polizist*innen kontrolliert wird, die Demoteilnehmenden, die ohne Maske auf ihn einreden, ignorieren die Beamt*innen völlig.
Schon am Samstag kam es in der Stadt an verschiedenen Stellen zu Übergriffen und Einschüchterungsversuchen durch Corona-Leugner*innen. Größere Gruppen waren in einem Einkaufszentrum und im öffentlichen Nahverkehr unterwegs und versuchten Umstehende und Passant*innen einzuschüchtern. In einem Livestream aus einer S-Bahn hält die Kamera eines rechtsalternativen YouTubers auf eine kleine Gruppe im gleichen Wagen, von denen alle Mundschutz tragen. Darunter sind auch Kinder und Jugendliche, die offensichtlich nicht gefilmt werden wollen. Die Umstehenden grölen ununterbrochen „Maske runter“.
Die Linke-Politikerin Anne Helm berichtet am Samstag auf Twitter ebenfalls über einen Angriff in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus wurde im Bus von einer Maskenverweigerin bespuckt.
Gewalt scheint immer mehr Teil der diffusen Szene rund um die Querdenker-Demonstrationen zu werden. Im nordrheinwestfälischen Minden wird Medien öffentlich mit dem Galgen gedroht. In der Nacht zum Samstag wurde eine Puppe, um deren Hals ein Schild mit der Aufschrift „Covid Presse“ hing, von einer Brücke gehängt. In der gleichen Nacht wurde ein Brandanschlag auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts in Berlin verübt. Die Täter sind flüchtig, der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Ob es auch bei dieser Tat eine Verbindung in die Querdenken-Szene gibt, bleibt abzuwarten.
Was genau die Szene mit diesen Aktionen abgesehen von Machtdemonstrationen bezwecken will, bleibt fraglich. Neue Mitglieder oder größere Unterstützung in der Bevölkerung werden die teilweise völlig enthemmten Protagonist*innen nicht generieren können. Jugendliche in öffentlichen Verkehrsmitteln zu belästigen oder Fahrgäste zu bespucken, dürfte wenig Rückhalt haben. Die Szene ist auf dem Weg, sich weiter zu radikalisieren. Bei der Gewalt von diesem Wochenende wird es wahrscheinlich nicht bleiben.