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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Wie wirkt sich Rechtsextremismus im Kleinen, auf der Straße einer normalen deutschen Kleinstadt aus? Ein MUT-Workshop in Weimar.
Von Madeleine Warsitz
Unterschiedlichste Charaktere kamen am ersten Novemberwochenende im Weimarer KunstTurm zusammen, um über Rechtsextremismus zu diskutieren. Da war ein Schüler, der über Monate hinweg von rechtsgesinnten Mitschülern über den Pausenhof gejagt wurde. Da war ein Homosexueller, dem fürs Händchenhalten mit seinem Freund von einem Passanten der direkte Weg nach Buchenwald gewiesen wurde. Und weitere Erfahrungsberichte wurden ausgetauscht. Geprägt von ihren eigenen Erlebnissen schrieben die Teilnehmer am Ende des Seminars ganz individuelle Rezepte auf, wie Rechtsextremismus bekämpft werden sollte. Hier kommen sie selbst zu Wort:
"Ich ging fünf Jahre in eine Realschule in Jena. Wir waren alle seit der fünften Klasse gut miteinander befreundet, doch leider änderte sich dies im Laufe der Zeit. Bis zur siebten Klasse ging alles gut, doch dann schlossen sich 'gute Freunde' der rechten Seite an. Es wurde schwer... Nach der Schule saßen Rechtsextreme am Gashäuschen und beschimpften uns permanent. Das Traurige daran war, dass die meisten von ihnen 'gute alte Freunde' waren. Es wurde schlimmer, sie fingen an, unsere Gruppe von drei Mann zu verfolgen, uns in die Fersen zu treten und weiteres. Sie waren zu zehnt. Wir versuchten wegzuhören, sie links liegen zu lassen, doch es wurde schlimmer. Gewalt erzeugt Gegengewalt, und bald erledigte sich das Ganze. Wenn ich einem dieser zehn Mann heute allein begegne, zieht er den Kopf ein und grüßt. Schade, dass Freundschaften zerbrechen, weil man einen auf Mitläufer macht ! Geht Rechtsextremen besser aus dem Weg !"
Marcel Kraus
"Konkret 'erlebt' habe ich Nazis bisher nur einmal. Allerdings habe ich erst hinterher erfahren, dass es sich um Nazis handelte. Mein Einstieg ins Weimarer 'Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus' kam eher aus dem Gefühl des Respekts gegenüber meinen Großeltern heraus, die von 1933 bis 1945 aktiv gegen die Nazis gekämpft haben und dafür auch im Gefängnis saßen. Mittlerweile ist neben diesen Aspekt auch der Wille getreten, mal etwas aktiv gegen das Erstarken der neuen Nazis zu unternehmen. Leider müssen wir, muss ich, aber erleben, dass wir bisher ein Zunehmen rechtsextremer Umtriebe nicht verhindern konnten. Unser Engagement beschränkt sich oft auf das Re-Agieren gegen angemeldete Nazi-Demos. Eigentlich wissen wir aber, dass es damit allein nicht getan ist. Man fühlt sich deshalb auch oft hilflos, entmutigt. Aufgeben kommt aber nicht in Frage ! Ich bin der Überzeugung, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus auf vielen Ebenen geführt werden muss. Ob im Alltag in der Diskussion mit Kollegen, wenn es um das Bekämpfen von Vorurteilen geht, z.B. gegenüber Migranten. Ob es in Bürgerbündnissen, in Schulen, im Elternhaus ist. Aber auch der Staat ist nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Er muss die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um es Ewiggestrigen so weit es geht unmöglich zu machen, ihre braune Gesinnung unter 'das Volk' zu bringen. Letzten Endes zählt aber vor allem eines: Jeder ist gefragt, wenn es gilt, den Nazis die Stirn zu zeigen!"
Uwe Adler, Mitglied des Sprecherrates des Weimarer "Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus"
"Ein Erlebnis, welches ich bis heute nicht vergessen habe und immer wieder aktualisiert wird durch ähnliche Wiederholungen. Ich bin schwul und ging mit meinem damaligen Freund durch die Geschäftsmeile Weimars, die Schillerstraße. Wir liebten uns sehr und machten aus unserer Liebe keinen Hehl. Dann kam plötzlich, aus heiterem Himmel, ein älterer Mann um die 65 Jahre auf uns - händchenhaltendes Liebespaar - zu, drängte seinen Kopf etwa fünf Zentimeter vor meinen und sagte:'Solche wie euch, die ham wa früher dort hoch geschafft!' Dabei zeigte er auf Buchenwald, ein Konzentrationslager der Nazis. Ich war in diesem Moment so perplex und erschrocken, ich konnte gar nix darauf sagen. Was wollte dieser Mann von uns ? Wir sind doch nur zwei Jungs, die sich lieben... Wir tun doch niemandem etwas zuleide und wir haben uns unsere 'Neigung' nicht ausgesucht. Wir fühlten uns sehr angegriffen und verletzt. Es schmerzte uns zuweilen. Warum gibt es im Jahr 2000 immer noch solch engstirnige Menschen ? Damals entschloss ich mich, nicht zurückzustecken, eher das Gegenteil war der Fall. Das Problem dieses Herrn liegt wohl in seinem Kopf und leider auch in den Köpfen vieler anderer, auch junger Menschen. Indem ich weiterhin der bin, der ich bin, und das auch diesen Menschen vorlebe, entgegne ich diesem Vorurteil und nehme den Leuten die unbekannte Unsicherheit. Ich bekenne mich, ich oute mich, ich lebe. Vielleicht ist das ein Weg, wie wir auch gegen den Rechtsextremismus vorgehen können. Humanität gleich Menschlichkeit, und Inhumanität gleich Unmenschlichkeit, wie zum Beispiel Gewalt gleich Schwäche, egal ob physisch oder psychisch."
Mario Popp
"Ich bin dagegen, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. In privaten Situationen mit Nachbarn oder auf der Straße sollte man sich der Auseinandersetzung stellen. Bei ausländerfeindlichen Äußerungen würde ich mit Gegenargumenten arbeiten. Auf jeden Fall sollte man konsequent sein, zum Beispiel Anzeigen landen oder die Öffentlichkeit informieren. Ganz wichtig für den einzelnen ist die aktive Beteiligung an Initiativen."
Petra Klinkhardt
"Wenn ich mit Worten provoziert werde, halte ich persönlich meinen Mund und ignoriere das. Wenn sie Schläge austeilen, stecke ich die ein oder wehre mich - es sei denn, ich habe ein Handy zur Hand. Dann würde ich die Polizei rufen. Wenn ich sehe, wie Rechte einen zusammenschlagen, greife ich gleich zum Telefon und rufe die Polizei. Danach gehe ich dazwischen. Ignoranz ist die beste Möglichkeit, einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Wenn ich weiß, dass die Rechten sich immer an einem bestimmten Ort treffen, gehe ich einen Umweg, wenn es sein muss. Also ich gehe ihnen aus dem Weg - meiner Meinung nach eine der besten Möglichkeiten."
Felix Brunow
"Schön wär's, wenn es das ultimative Patentrezept gegen rechtes Gedankengut gäbe. Schön wär's, wenn alle Rechten einsame Jugendliche mit sozialen Problemen wären, die sich in Gruppen treffen, tun und denken, was man ihnen dort sagt. Wenn die NPD eine Partei ohne System und die Kameradschaften ein unorganisierter Haufen wären. Aber Nazis sind nicht dumm. Sie haben innerhalb der letzten 60 Jahre eine Pyramide gebaut, Stein für Stein, und ohne dabei größeres Aufsehen zu erregen. Dort finden sich alle Gesellschaftsschichten wieder. Je nach 'Stand' werden Jugendliche, Familien und gestandene Altnazis weiter oben oder weiter unten in die Hierarchie der Pyramide eingebaut. Bis so ein System von selbst in sich zusammenfällt, können wir lange warten. Was also tun, wenn man nicht auf Wind und Wetter warten will ? Ganz einfach: schneller sein. Die Steine abtragen: aufklären an Schulen, aber auch an anderen Institutionen, um so den 'Nachschub' zu verhindern. Kein Patentrezept, aber eine Möglichkeit. Schön wär's, wenn es funktioniert."
Trembi
Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de 7.11.2007. Foto: Waritz ( Ausstellungsstück in der KunstTurmgalerie)
Eine Schüler- Umfrage aus Bingen: >klick
Zum Programm der Weimarer Toleranzwochen in der KunstTurmgalerie: >klick