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Eine neue Serie von Mut-gegen-rechte-Gewalt. Mehrere Experten reflektieren: Was war 2007 der größte Rückschritt - und Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus? Und was muss 2008 dringend angepackt werden? Hier die Sicht von Philipp Gliesing vom ABC-Pößneck: Die Ohnmacht gegen die jugendlichen „Nationalen“ ist gar nicht so groß.
Den größten Rückschritt bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007...
... sehe ich als Mitarbeiter einer Initiative gegen Rechtsextremismus, dass die strukturellen Entscheidungen in Sachen Förderung von demokratischen und antifaschistischen Projekten seitens der Bundesregierung zu einer Lähmung des zivilgesellschaftlichen Prozesses beigetragen haben. Die bürokratischen Mühlen arbeiteten zu langsam und der Inhalt rückte in den Hintergrund.
Das Aktionsbündnis Courage konnte nicht in das „LAP-Netzwerk“ eingebunden werden, obwohl die Initiative im Vorfeld (2006) maßgeblich zur Entwicklung dieses Netzes beigetragen hatte. Dem ABC blieb der Weg in den Begleitausschuss bisher verschlossen. Dieses Gremium ist die einzige Plattform einer ämter- und verbandsübergreifenden Zusammenarbeit, dort findet die Kommunikation statt.
Die eigentlichen Problemfelder, nämlich das Erstarken einer rechtsextremen Jugendkultur und die rassistischen Einstellungen in der „Mitte“, konnten kaum bearbeitet werden. Die Übergriffe auf Geschäfte von ausländischen Mitbürgern werden ignoriert und tot geschwiegen.
Dergrößte Fortschritt...
... liegt in einem verbesserten und verbreiterten gesellschaftlichen Bewusstein für demokratische Verhältnisse eintreten zu müssen. Die Allianz vieler gesellschaftlicher Verbände, Vereine und Institutionen – von der Antifa bis zum Unternehmer – hat sich stabilisiert. Teilerfolge auf der Straße und in den Köpfen machen Mut zu weiterem Engagement. Auch die Bereitschaft der politischen Parteien und der Justiz gegen die NPD vor zu gehen, ist gestiegen, abgesehen von einigen Ausnahmen.
Was muss aus Deiner Sicht 2008 angepackt werden?
Der Austausch zwischen den Gegner der Neonazis sollte weiter voran gebracht werden. Insbesondere das „Superwahljahr“ in Thüringen birgt große Herausforderungen im Jahr 2008. Es ist eine aktionsorientierte Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Menschen und Organisationen notwendig – eine landesweite Kampagne mit dem Motto „Keine Stimme den Nazis!“ wird es geben.
Die vielen Möglichkeiten präventiv vor zu gehen sollten besser genutzt werden. Bildungs- und Sozialeinrichtungen müssen sich mit den Inhalten der völkischen Nazipartei auseinandersetzen und brauchen dabei Unterstützung durch Mobile Beratungsteams.
Gleichzeitig ist es wichtig jungen Menschen (inter-)kulturelle Lebenswelten zu ermöglichen. Vielfältige Alternativen zur rechter Alltagskultur ist gefragt. Auf Jugendliche wirkt Musik und Mode von und für Neonazis extrem verlockend. Vor allem im ländlichen Raum werden oppositionelle Haltungen verbunden mit Zugehörigkeitsgefühlen und menschenverachtenden Motiven zu einem braunem Cocktail, der 2008 wieder zu Gewalt und Straftaten führen wird.
Mit qualitativer Öffentlichkeitsarbeit kann dem etwas entgegengesetzt werden. Durch Aufklärung über die Hintermänner und -frauen muss die Pseudomoral der NPD-Strukturen verdeutlicht werden.
Die Ohnmacht gegen die jugendlichen „Nationalen“ ist gar nicht so groß. In der Familie, der Schule und im Alltag müssen „Frühwarnsysteme“ besser funktionieren, oft gibt es Gründe für ein Abdriften nach Rechtsaußen, die ausdiskutiert werden können. Pädagogen sollten sich nicht scheuen eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Neonazismus anzustreben.
Doch jeder Einzelne ist letztlich gefragt, jeder muss sich entscheiden: Entweder zusehen, tolerieren und zulassen, was die NPD treibt oder aber kontinuierliches, konsequentes Einschreiten gegen Rassismus und Nationalismus in meinem persönlichen oder beruflichen Umfeld.
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Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Die Antworten sammelte Holger Kulick / Foto: Collage des ABC-Pößneck aufgenommen in Wunsiedel/hk