Eine neue Serie von Mut-gegen-rechte-Gewalt. Mehrere Experten reflektieren: Was war 2007 der größte Rückschritt - und Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus? Und was muss 2008 dringend angepackt werden? Heute: die Sicht von Mario Peucker vom Europäischen Forum für Migrationsstudien (efms) in Bamberg, der u.a. für 2008 fordert: "Der Opferschutz muss dringend verbessert werden"
1.) Was war für Sie ein Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?
Eine wachsende Zahl von Landespolitikern scheint zunehmend ein gewisses Bewusstsein für den Menschen verachtenden Charakter und die verheerenden sozialen Auswirkungen des Rechtsextremismus zu entwickeln. Das ist erfreulich! Noch erfreulicher ist es, dass dieses wachsende Bewusstsein öfter als früher auch zu konkreten Maßnahmen führt, die sich nicht im Ruf nach einer wachsamen Zivilgesellschaft erschöpfen. Was ich dabei mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt habe, ist die gemeinsame Bundesratsinitiative der drei Länder Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zur Einführung des Konzepts von Hasskriminalität ins deutsche Strafrecht. Eine solche Gesetzesänderung wäre natürlich nicht das Allheilmittel gegen Rechtsextremismus, doch wäre sie weit mehr als ein symbolisches Bekenntnis gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und ähnliche Formen der Intoleranz. Eine Straftat, die aus Hass gegenüber einer bestimmten Bevölkerungsgruppe begangen wird, stellt ein besonders schwerwiegendes Verbrechen dar, das sich zugleich auch gegen alle anderen Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe richtet; dies rechtfertigt auch eine besondere Bewertung durch die Gerichte. Auch wenn diese Bundesratsinitiative leider keine allzu großen Aussichten auf bundesweite Unterstützung hat – allein die Tatsache, dass sich drei Landesparlamente auf einen solchen Vorstoß verständigen konnten, ist ein Erfolg.
Parallel zu diesen landespolitischen Entwicklungen scheinen immer mehr Bürger den Rechtsextremismus satt zu haben. Den vielen lokalen, zivilgesellschaftlichen Bündnissen, ohne die der Kampf gegen den Rechtsextremismus in vielen Städten und Regionen wohl schon längst verloren wäre, ist gar nicht genug zu danken. Zusätzlich habe ich 2007 den Eindruck gewonnen, dass auch Tausende von Bürgern, die sich nicht dauerhaft und aktiv gegen rechts engagieren, dem Treiben der rechtsextremen Szene nicht länger gleichgültig zuschauen wollen. Rund 170.000 haben sich bei der bundesweiten Unterschriftenaktion für einen erneuten Vorstoß beim NPD-Verbotsverfahren ausgesprochen – das ist ein ermutigendes Zeichen, egal wie man aus strategischen Gründen zu einem solchen Verbotsverfahren steht. In Sachsen haben sich rund 35.000 Bürger in einem (leider an den hohen politischen Hürden gescheiterten) Volksantrag dafür ausgesprochen, den Kampf gegen Rechts in die Landesverfassung aufzunehmen; und in Mecklenburg-Vorpommern haben in einer ähnlichen Volksinitiative über 17.000 Bürger unterschrieben – jetzt beschäftigt sich der Landtag mit den Vorschlägen.Das waren für mich ermutigende Ereignisse im Jahr 2007.
2.) Was war für Sie ein Rückschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?
Der größte Rückschritt ist, dass es nicht genügend Fortschritte gab!
Aus der Bundespolitik ist das Thema Rechtsextremismus nahezu vollständig verschwunden – einmal abgesehen von der Debatte zu einem möglichen NPD-Verbot, bei der es sich primär um verfahrensrechtliche Fragen drehte. Nach dem Start der neuen Bundesförderprogramme gegen Rechts war kaum noch etwas zu hören, zumindest nichts, das über die üblichen, inzwischen etwas müde klingenden Politik-Floskeln hinausgeht. Als man im Frühjahr unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft den Durchbruch beim EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erreichte, hatte ich kurzzeitig die Hoffnung, dieser europapolitische Durchbruch könnte bei der deutschen Öffentlichkeit eine Reaktion hervorrufen. Nichts passierte, als wäre diese Thematik für Deutschland nur von untergeordneter Relevanz. Und auch bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2006 wurde trotz der erschreckend hohen Zahlen rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher Straf- und Gewalttaten einmal mehr der islamistische Terrorismus als Sicherheitsrisiko Nummer eins präsentiert. Noch schockierender als das mangelnde Problembewusstsein in weiten Kreisen der Bundespolitik klingen die Vorwürfe gegenüber der Polizei in Sachsen-Anhalt beim Umgang mit rechten Straftaten. Doch dazu möchte ich erst die Ergebnisse des Untersuchungsausschuss abwarten.
3.) Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf 2008?
Einen besonders dringenden Handlungsbedarf zu identifizieren, halte ich für schwierig, da der Kampf gegen den Rechtsextremismus bekanntlich auf allen Ebenen geführt werden muss –von Politik und Sicherheitsbehörden, der Justiz und der Zivilgesellschaft, lokal, bundesweit und über die Grenzen hinweg, kontinuierlich und dauerhaft, repressiv und präventiv. Ich beschränke mich bei meinen „Wünschen“ für 2008 daher auf eine kleine Auswahl. Erstens, der Opferschutz muss dringend verbessert werden. Dies beginnt bei der besseren Opferbetreuung durch die Polizei und reicht bis zur dauerhaften, möglicherweise institutionellen, finanzielle Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, die Hilfe für Opfer rechter Gewalt anbieten. Außerdem muss das Thema Bleiberecht für Opfer fremdenfeindlicher Gewalt wieder auf die Tagesordnung, und zwar auf bundespolitischer Ebene!
Zweitens, Präventionsarbeit muss früher beginnen. Schon im Kindergarten sollen Kinder systematisch – mit angemessenen pädagogischen Methoden und angeleitet von entsprechend geschulten Erzieher(inne)n – Toleranz und den Umgang mit Konflikten einüben. Der Erwerb solcher sozialer Kompetenzen muss in den Erziehungsalltag der Kindertagesstätten und später ins Schulleben integriert werden. Kurzfristig angelegte Projekte reichen dazu nicht aus, vielmehr müssen die Lehrpläne, am besten auch die Lehrerausbildung, entsprechend überarbeitet werden. Hier sind die Kultusminister gefördert.
Drittens, die Bundespolitik muss sich – auch auf höchster Ebene – eindeutiger, konkreter und öffentlichkeitswirksamer gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit positionieren. Ein reflexartiges Verurteilen immer dann, wenn es wieder ein rechter Übergriff in die Medien geschafft hat, reicht nicht aus – politisches Handeln ist notwendig! Im Bereich der Gesetzgebung plädiere ich für die Einführung des Konzepts der Hasskriminalität ins deutsche Strafrecht, wodurch sich fremdenfeindliche, antisemitische oder ähnliche Motive der Intoleranz bei der Urteilsfestlegung strafverschärfend auswirken würden. Eine solche legislative Initiative könnte mit einer bundesweiten Anti-Rechts-Kampagne der Bundesregierung begleitet werden. Das würde helfen, dem politischen und zivilgesellschaftlichen Kampf gegen Rechtsextremismus die nötige Aufmerksamkeit verschaffen.
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"Opferberatungsstellen werden auch im Westen gebraucht", Simone Rafael, MUT-Portal >klick
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