Neue Einsichten der Landesregierung und neues bürgerschaftliches Selbstbewußtsein im Umgang mit NPD-Funktionären registriert der Leiter des neuen Regionalzentrums für demokratische Kultur in Westmecklenburg, Karl-Georg Ohse: "Wir sind auf dem Weg von einer Unkultur des Wegsehens zu einer Kultur der öffentlichen Wahrnehmung und Auseinandersetzung." In seinem Ausblick auf 2008 warnt er jedoch vor einem Hemmschuh der neuen staatlichen Förderprogramme gegen Rechtsextremismus: "Überbürokratisierung". Und er sieht ein weiteres Manko: mit kurzatmigem Aktionismus kann keine nachhaltige Arbeit gegen Rechtsextremismus gelingen. Hier Ohses Antworten auf die MUT-Umfrage-Serie "Drei Fragen an....":
1.) Was war für Sie ein Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?
Aus meiner Sicht als Leiter des neuen Regionalzentrums für demokratische Kultur in Westmecklenburg sehe ich Fortschritte auf unterschiedlichen Ebenen.
a) Auf der sog. zivilgesellschaftlichen Ebene spüren meine Kolleginnen und ich ein neues Selbstbewußtsein von BürgerInnen sich mit den Neonazis und ihren Organisationen auseinanderzusetzen. Viele engagierte Menschen, dass sie sich wehren können, weil sie erleben, dass die "Möchtegerngoebbels" auch nur mit Wasser kochen und außer eintrainierten Phrasen nur wenig Substanzielles zu sagen haben. In vielen Gemeinden unserer Region schließen sich Menschen zusammen und entwickeln phantasievolle Formen des Widerstands. Ein Beispiel war eine eine öffentliche Diskussionsrunde in der Kirche von Boizenburg, auf der ganz "normale" Menschen Herrn Pastörs sehr deutlich zu verstehen gaben, was sie von ihm und seiner Ideologie halten und ihn als besserwisserischen Phrasendrescher demaskiert haben.
b) Auf der kommunalen Ebene erleben wir, dass dieses neue bürgerschaftliche Selbstbewußtsein auch zu einem Umdenken der KomunalpolitikerInnen und der Verwaltung führen kann. BürgermeisterInnen und MitarbeiterInnen der Ämter solidarisieren sich mit Bürgerinitiativen und unterstützen Aktivitäten für einen demokratischen Klimawandel. Wir sind auf dem Weg von einer Unkultur des Wegsehens zu einer Kultur der öffentlichen Wahrnehmung und Auseinandersetzung. Wenn, wie in Boizenburg, Warsow oder Lübtheen, sich BürgermeisterInnen öffentlich gegen Rechtsextremismus oder Fremdenfeindlichkeit positionieren, hat das eine Vorbildwirkung, die auf das Leben in den Gemeinden ausstrahlt.
c) Dieses Engagement hat auch die Landespolitik zur Kenntnis genommen.
Als das Damoklesschwert der "Abwicklung" der mobilen Beratungsteams im letzten Frühjahr über der basisnahen Beratungsarbeit schwebte, haben sich viele Menschen mit uns solidarisiert und Bund und Land aufgefordert, dieses Angebot weiter zu finanzieren. Das Land hat finanzielle und politische Verantwortung übernommen und unterstützt die von den mbt's entwickelten Regionalzentren in Mecklenburg-Vorpommern.
2. Was war für Sie ein Rückschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?
Ein Manko in der Arbeit gegen Rechtsextremismus ist für mich nach wie vor, dass Rechtsextremismus nicht als gesamtgesellschaftliche langfristige Herausforderung begriffen wird und die vom Bund initiierten Programme nicht auf Nachhaltigkeit und Strukturveränderung ausgerichtet sind. Der Umgang mit der Evaluation des CIVITAS-Programms und damit auch mit den Menschen die in diesen Projekten gearbeitet haben, ist Spiegelbild dieser politischen Ignoranz.
Es wird kaum zur Kenntnis genommen und gewürdigt, was die KollegInnen in der mobilen Beratung, der Opferberatung und Netzwerkarbeit geleistet und aufgebaut haben. Die neuen Programme haben aus meiner Sicht das nicht auffangen können und leider zu einer Überbürokratisierung von bürgerschaftlichem und kommunalem Engagement geführt.
Ein weiteres Problem sehe ich im "Projekthopping", das durch die neuen Bundesprogramme gefördert wird. Viele Träger sind gezwungen, mit mehr oder weniger sinnvollen Angeboten dahin zu gehen, wo Geld zu erwarten ist. Wir sind leider wieder dabei, dadurch mit kurzatmigem Aktionismus nachhaltige Arbeit zu gefährden.
3.) Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf 2008?
Für 2008 wünsche ich mir, dass wir weiterhin unabhängig und möglichst unbürokratisch unsere Arbeit leisten können. Ich erwarte zwar nicht, dass es eine Kurskorrektur der Bundesprogramme geben wird, hoffe aber, dass der bürokratische und bevormundende Antragswust zurückgestutzt wird. Großen Handlungsbedarf sehe ich in einer politischen und juristischen Auseinandersetzung mit dem organisierten Rechtsextremismus. Hier wünsche ich mir mehr Kreativität, die über das Fordern eines NPD-Verbots hinaus geht.
Weitere Antworten:
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"Jedem ist klar, dass ein Verbot der NPD allein nicht reicht" - Endstation Rechts Schwerin >klick"Wir brauchen vor allem Kontinuität in der Arbeit", Zivilcourage Pirna >klick
"Die Bundesregierung hat keine klare Strategie", Patrick Gensing, npd-blog.info >klick
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"Die Ohnmacht gegen die jugendlichen „Nationalen“ ist gar nicht so groß'' , Philipp Gliesing, ABC-Pößneck >klick
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