Sie sind hier

Wer trauert am Volkstrauertag um wen?


Man möchte meinen, es gehöre zum Allgemeinwissen, dass die Opfer des Zweiten Weltkriegs vor allem die von den Nationalsozialisten ermordeten Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma sind. Neonazis beantworten die Opferfrage allerdings ganz anders und betrauern ihre gefallenen Helden auch dieses Jahr wieder am Volktrauertag.

Von Mia Wolf

Am 13. November findet der alljährliche Volkstrauertag zum Gedenken an die Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaften statt. Wie in den letzten Jahren wird auch dieses Jahr mit dem Auflaufen von Neonazis bei öffentlichen Trauerveranstaltungen gerechnet. Außerdem planen sie eigene Veranstaltungen, die beispielsweise unter dem Motto „Heldengedenken“ an die Ehrungen der sich für die nationalsozialistische Sache aufopfernden Soldaten im Nationalsozialismus anknüpfen.

Heldenehrung

Die Grundidee dieser Veranstaltungen ist dabei zutiefst gegenläufig zum dem Sinn, den solch ein Trauertag eigentlich haben sollte. Historisch gesehen stehen sie in einer Traditionslinie zur Entstehung des Tages in der Weimarer Republik. Angeknüpft wird aber vor allem an die nationalsozialistische Version: den Heldengedenktag. 1919 vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angeregt, galt der Tag zunächst dem Gedenken an die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Bereits 1934 wurde er zum gesetzlich festgelegten Feiertag umgewandelt; der Fokus galt nun nicht mehr dem Gedenken der Gefallenen, sondern der Heldenehrung.

Geehrt wurden damals wie heute die sich für das Vaterland Aufopfernden – und somit in dieser Sichtweise zu Opfern werdenden – Soldaten. Anstelle der eigentlichen Opfer wird der Tod von SS-Soldaten oder beispielsweise von Soldaten des Genozids in der ehemaligen Kolonie Deutschsüdwestafrika beklagt, deren Täterschaft dabei keinerlei Erwähnung findet. Es entsteht ein Zerrbild der Geschichte, bei dem nicht die Opfer der Kriege betrauert, sondern die Täter geehrt werden.

Wer ist Opfer und wer Täter?

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Volkstrauertag wieder in seiner vorherigen Form aufgenommen und nun den Opfern der beiden Weltkriege sowie der Gewaltherrschaften aller Nationen gewidmet. Ein gewisser Fokus auf das Opferbild des gefallenen, deutschen Soldaten durchzieht allerdings immernoch die offiziellen Veranstaltungen zum Volkstrauertag. So liegt die Frage nahe, warum das Gedenken im Bundestag an die Kriegsopfer aller Nationen mit der deutschen Nationalhymne und dem Lied „Der gute Kamerad“ abgeschlossen wird. Letzteres beschreibt die Trauer eines Soldaten um seinen gefallenen Kameraden. Die Trauer um die gefallenen Soldaten rückt damit in den Vordergrund, gleichzeitig wird seine Aufopferung kritiklos gewürdigt: „Einen bessern findst du nit“. Die zivilen und nichtdeutschen Opfer werden damit zur weniger bedeutenden Randerscheinung, was angesichts der mehr als 40 Millionen zivilen Opfer, die der Zweite Weltkrieg weltweit forderte und deren Zahl die der gefallenen Soldaten deutlich übersteigt, doch ein wenig verwundert.

Anstelle einer Beleuchtung des komplexen Täter-Opfer-Gefüges, wie man es erwarten würde, ist hier ein einfaches Schubladendenken vorzufinden: In dem Moment, wo die gefallenen Soldaten als Opfer eingestuft werden, fällt ihr Tätersein unter den Tisch.

In dieser schwierigen Gemengelage finden Neonazis viel Platz für ihren Geschichtsrevisionismus. Auch dieses Jahr finden wieder Trauerveranstaltungen der Neonazis statt. Bisher ist der Redaktion eine vom Freien Netz Süd ausgerufene Veranstaltung der Neonazis in Wunsiedel bekannt. Auch im thüringischen Friedrichroda soll ein "nationales Heldengedenken" stattfinden, dazu hat u.a. das "Freie Netz Jena" aufgerufen. Voraussichtlich werden sich auch auf dem Berliner Garnisonsfriedhof wieder alte und neue Nazis an den Kriegsgräbern versammeln. Auch in vielen kleinen Orten ist mit Trauerversammlungen an Kriegsgräbern oder Denkmälern zu rechnen. Aber auch Gegenproteste sind in Planung. Mit einem Bürgerfest wird am 12. November in Halbe gegen den Missbrauch des Volkstrauertages durch Rechtsextreme demonstriert.

Weitere Hinweise zu Trauerveranstaltungen von Neonazis und Gegenprotesten nehmen wir gern entgegen: mut@amadeu-antonio-stiftung.de
 

Foto: Gedenktafel im Rathaus Spandau (Berlin) von Pemba.mpimaji via wikipedia, cc
 

Revisionismus

bildgedenktafelspandau.jpg

Gedenkstein Spandau