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Schuldfragen in Thüringen

„Kein Ort für Neonazis in Thüringen“ heißt ein neuer Projektfonds der Amadeu Antonio Stiftung in Thüringen. Dort wird 2009 viermal gewählt. Am 7. Mai sind Kommunal- und Europawahlen, am 30. August Landtags- und am 27. September Bundestagswahlen. Und die NPD will hier unbedingt punkten. Anetta Kahane kommentiert, warum Engagement gegen Neonazis gerade in Thüringen besonders wichtig ist.

Liebe MUT-Leserinnen und Leser,

meine Gedanken drehen sich heute um ein Bundesland, von dem mit wenigen Ausnahmen in den Medien sonst selten die Rede ist. Unsere Stiftung, die Amadeu Antonio Stiftung, beschäftigt es seit vielen Jahren, denn dort gibt es eine sehr aktive rechtsextreme Szene, die in vielen Regionen zur akzeptieren Normalität gehört und dieses Jahr gute Chancen hat, in Kommunal- und Landtagswahlen erfolgreich abzuschneiden. Und es gibt eine Landesregierung, die ebenso lange, begleitet von Pech und Pannen, dieses Problem verdrängt und weder Verantwortung übernimmt, noch Schuld verspürt, wenn Nazis Menschen oder jüdische Einrichtungen angreifen. Das Motto in diesem Land ist eher: „Vergessen, verdrängen, leugnen“. In einem Song des Kabarettisten Rainald Grebe heißt es: „Zwischen Dänemark und Prag liegt ein Land, das ich sehr mag; zwischen Belgien und Budapest - da liegt Thüringen… Grün vor Neid wegen seiner Bedeutungslosigkeit, grün vor Hoffnung, dass es lange so bleibt.“ Und recht hat er. Wie leicht wird Thüringen übersehen, und wie gut, dass es so ist, weil sich hier Dinge verbergen lassen, die anderswo zu einem Skandal ausarten würden.

In Thüringen regiert Dieter Althaus, obwohl er – trotz eines Urteils aus Österreich – nun auch in Deutschland wegen fahrlässiger Tötung als vorbestraft gilt. In einem Interview sagte er, dass er sich an den Skiunfall, bei dem eine junge Frau gestorben ist, nicht erinnern könne. Das Trauma der eigenen Verletzung habe die Erinnerung verdrängt und so träfe auf seinen Fall die Kategorie Schuld keineswegs zu, höchstens die der Verantwortung. Nun, das ist nicht nur juristisch eine Fehlinterpretation. Es liegt mir fern, an dieser Stelle zu kalauern, wie hier die Worte Erinnern, Verdrängen, Verantwortung und Schuld zusammenfinden angesichts eines Gerichtsverfahrens in Österreich, das an Schnelligkeit und Gefälligkeit seinesgleichen sucht. Und doch ist es schon deshalb bemerkenswert, da es sich um den Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten eines Landes handelt, in dem es nicht nur eine lange braune Tradition gibt, sondern eben auch eine Gegenwart, in der Rechtsextreme von heute sich ganz offensichtlich wohl fühlen. Sie stehen trotz aller internen Differenzen bereit, bei der kommenden Kommunal- und Landtagswahl im Freistaat in die Parlamente einzuziehen. Nicht nur, dass sie bereits No-Go-Areas geschaffen haben (davon können die Initiativen gegen Rechtsextremismus vor Ort ein Lied singen), sie tun dies auch relativ unbehelligt, denn Thüringen ist das einzige der neuen Bundesländer, das ein Landesprogramm für demokratische Kultur bisher für unnötig hielt.

Der ungewöhnliche Umstand des milden Schnellverfahrens gegen Althaus wurde bislang politisch wenig thematisiert. Vielleicht sollten wir auch Flüchtlinge, die sich in Thüringen wegen Verletzung der „Residenzpflicht“ (ein anderes Wort für „Wohnhaft“ und das es übrigens nur in Deutschland gibt!) schuldig gemacht haben und deshalb verwarnt, verurteilt und dann, weil vorbestraft, abgeschoben werden, für ihre Verfahren nach Österreich schicken, wenn dort doch sogar Fahrlässigkeit mit Todesfolge eine Bagatelle darstellt.

Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden

„Wer Schuld behauptet, muss diese auch nachweisen“, urteilte der Thüringer Landesbischof Christoph Kähler streng, als es um die Pfarrersfamilie Neuschäfer ging. Vielleicht erinnern Sie sich – die Neuschäfers sind aus Thüringen nach Nordrhein-Westfalen geflohen, weil sie sich der ständigen rassistischen Anfeindungen aufgrund der Herkunft von Frau Neuschäfer irgendwann einfach entziehen mussten. Ihr Fall hat in Thüringen große Empörung ausgelöst, doch nicht wegen der Anfeindungen, denen sie ausgesetzt waren, sondern weil die Geschichte der Pfarrersfamilie publik geworden war. Deswegen wurden sie als üble Nestbeschmutzer von Opfern zu Tätern gemacht. Sehen Sie, in diesem Fall ist Schuld eben doch eine Kategorie.

Leaflet kein Ort für Neonazis in Thüringen
Leaflet kein Ort für Neonazis in Thüringen

Wenn wir also nicht wollen, dass am Ende Opfer zu Tätern gemacht werden wie im Fall Neuschäfer, wenn wir nicht wollen, dass Rechtsextremismus und Rassismus das Klima im Land bestimmen, dann müssen wir eben selbst etwas dagegen tun. Nicht dass sich nachher alle wundern, sollte die NPD auch in Thüringen mit Wahlerfolgen glänzen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat deshalb etwas Naheliegendes vor: Mit einem Fonds unter dem Titel „Kein Ort für Neonazis in Thüringen“ wird sie Initiativen unterstützen, die bereit sind, sich im Freistaat gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Helfen Sie uns dabei, denn was in Thüringen geschieht, ist keineswegs Bedeutungslosigkeit. Die Hoffnung, dass wir das ein weiteres Mal übersehen, zwischen Dänemark und Prag, und dass dort alles so bleibt, könnte sich dieses Jahr vielleicht als unbegründet erweisen.

Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, deren April-Newsletter dieser Text entnommen ist.
Mehr über den neuen Projektfonds für Thüringen ab 16.4. hier.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk / Fotos: kulick