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Parallele Universen

Stellen Sie sich vor, wir landen in verschiedenen Dimensionen: In einer Welt der Parteien, in einer der Verwaltung und in einer der real existierenden Menschen, unter denen viele Nazis sind. Was tun, was wird getan? Was überhaupt wird wahrgenommen? Ein Kommentar von Anetta Kahane.

Liebe Leserinnen und Leser,

bestimmt haben Sie mal Filme gesehen, in denen die Helden zwischen verschiedenen parallelen Universen unterwegs sind. In diesen Universen scheint eigentlich alles genau so zu sein wie in unserem. Doch die Normen und Realitäten unterscheiden sich sehr voneinander und natürlich auch von dem, was wir in unserer Dimension kennen. Obwohl sich die Handlung stets an den gleichen Orten und Zeiten abspielt und offenbar auch über eine innere Logik verfügt, erscheint sie dem Zuschauer bizarr. Denn etwas hat in der anderen Dimension die Oberhand gewonnen und bestimmt den Alltag - alles andere wird sanft ausgeblendet, brutal verdrängt oder sogar martialisch bekämpft. Stellen Sie sich also vor, wir landen in verschiedenen Dimensionen: In einer Welt der Parteien, in einer der Verwaltung und in einer der real existierenden Menschen, unter denen viele Nazis sind.

Obwohl sich die Handlung stets an den gleichen Orten und Zeiten abspielt und offenbar auch über eine innere Logik verfügt, erscheint sie dem Zuschauer bizarr. Denn etwas hat in der anderen Dimension die Oberhand gewonnen und bestimmt den Alltag - alles andere wird sanft ausgeblendet, brutal verdrängt oder sogar martialisch bekämpft. Stellen Sie sich also vor, wir landen in verschiedenen Dimensionen: In einer Welt der Parteien, in einer der Verwaltung und in einer der real existierenden Menschen, unter denen viele Nazis sind.

Fangen wir mit der an, die sich ausschließlich um Parteien dreht, also eine Welt, die nichts anderes kennt als den Kampf der politischen Parteien um ihre Geltung. Dazu brauchen sie ein Thema - nehmen wir ein ganz unwichtiges wie z.B. Rechtsextremismus. Die CDU kann sich nicht richtig entscheiden, ob sie nicht doch einige der Themen der Nazis von heute selber besetzen sollte, bleibt also ewig halbherzig. Die SPD macht in dem Punkt meist viel Theoretisches, denkt nach über große Schritte, aber schleicht am Ende mit winzigen Tippelschritten um das Thema herum. Die Linke brüllt ganz fürchterlich, macht aller Welt Vorwürfe, vor allem dem Kapitalismus und den anderen Politikern, kehrt jedoch mal verschämt, mal unverschämt die eigene Geschichte unter den Teppich. Die Grünen strengen sich sehr an, sind aber noch immer recht schwach bei diesem Thema. Und die FDP, die ,wirkliche' liberale Partei, sagt gar nichts dazu. Außer vielleicht, dass nur Vollbeschäftigung gegen Rechtsextremismus helfe. Alle diese Parteien sind mit sich selbst beschäftigt und mit den anderen Parteien. Das Thema Rechtsextremismus erscheint, wie Sie sehen, nur am Rande. Treten wir in deren Welt ein, in die Dimension ihres Alltags, dann gibt es keine Bedrohung durch Nazis, sondern nur Rivalitäten untereinander, Kämpfe, Wahlergebnisse, Strukturen und andere Wichtigkeiten.

In der anderen Realität dominiert die Verwaltung. Was sage ich, nicht eine sondern hunderte. Bund, Land, Kommunen - alle haben die ihre. Sie packen die Dinge in Umlaufmappen und Zuständigkeiten und wenn sie nicht hinein passen, dann werden sie so lange gefaltet und in ihrer Komplexität reduziert, bis sie passen. Wer da wo und wie zuschneidet, bleibt aber ein Geheimnis, meist auch für die Behörde gleich nebenan. Denn Zusammenarbeit ist schwierig. Die Mappen und Zuständigkeiten haben jeweils unterschiedliche Formate, die jedoch jeweils als Norm festgelegt sind. Rechtsextremismus gehört zu Jugend oder zu Arbeit oder auch zu Innerem (nach 18 Uhr, wenn die Jugendeinrichtungen nicht mehr zuständig sind) auf keinen Fall aber zu Wirtschaft, zu Schule oder Familienpolitik Deswegen macht man Bundesprogramme wie "Vielfalt tut gut" oder lokale Aktionspläne und redet nur über die Fragen ihrer vorschriftsmäßigen Umsetzung. Nicht über Nazis, nicht über zivilgesellschaftliche Initiativen, die es zwar richten sollen, dies aber nur in Kenntnis und in Abstimmung der verschiedenen Formate von Umlaufmappen und Zuständigkeiten. Ab und zu werden Projekte, oft sehr bewährte wie EXIT und ARUG, abgewickelt. Sie sollen es ordentlich machen, also muss man genau nachsehen, wer da wie aktiv ist. Und sie sollen, um Ärger zu vermeiden, doch bitte niemanden vor den Kopf stoßen bei der Beseitigung des "braunen Mülls".

Ja, nun kommen wir zum dritten Paralleluniversum, in dem die Nazis mehr oder weniger tun können, was sie wollen. Sie verprügeln "Ausländer" und "Zecken" und zwar so regelmäßig, dass es alle eher zu langweilen scheint außer die Opfer natürlich. Die Neonazis haben einen langen Atem, treten hartnäckig bei jeder Wahl an und freuen sich auch in ihrer Rolle als biedere Bürger, z.B. in Brandenburg, wo sie nun (mit nur einer Ausnahme) in allen Kommunalparlamenten sitzen. Sie verdienen Geld mit ,cooler' Mode und Musik, helfen sich gegenseitig und setzen darauf, dass Politik und Verwaltung in den anderen Welten gefangen sind und nicht merken, wie sie sich verankern, verwurzeln und überall breit machen. Und was machen die Initiativen vor Ort, die Müllmänner sozusagen? Sie versuchen zwischen den Welten hin und her zu hetzen, jeweils ihren Job zu machen und den Leuten in den ersten beiden Universen klar zu machen, dass die aus dem dritten eine echte Bedrohung sind für die Zukunft der Städte und des ländlichen Raums - nicht nur im Osten.

Sie kennen solche Filme? Sie kennen solche Paralleluniversen? Dann wissen Sie ja sicher auch, wie es ausgeht. Wir, die Bürgerinnen und Bürger, die zivile Gesellschaft also, beginnen zu handeln: über Konkurrenzen, Parteien und Aktendeckel hinweg, einfach so, als anständige Bürger eines Universums, in dem es alles gibt: Parteien, Behörden und Nazis - aber auch uns, die wir uns nicht verwalten und regieren lassen wollen ohne klar zu sagen, was wir wollen und was nicht. Wir wollen, dass Projekte bessere Bedingungen haben und nicht einfach eingestellt werden. Wir wollen eine deutlichere Demokratiepolitik, wir wollen mehr Engagement der Bürger dafür. Und: Wir wollen keine Nazis.

Die Autorin Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin.
Ihr Kommentar ist dem Oktober-Newsletter der Stiftung entnommen.


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de