Kontinuierlich untersucht der Bielefelder Universitätsprofessors Wilhelm Heitmeyer das Ausmaß „Gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit“. Doch wie kann ihr entgegengewirkt werden?Von Jörg Fischer-Aharon
Dabei findet auch in dieser Diskussion oftmals eine Verengung auf die Symptombekämpfung und eine Fixierung rein auf rechtsextremistische Menschenfeindlichkeit statt. Die Frage nach der Prävention bleibt mitunter auf der Strecke – und auch die wesentlich fundamentalere Frage: Welches Menschenbild immunisiert nicht nur gegen Rassismus und Antisemitismus, sondern gegen jede Form der individuellen und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Die gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit richtet sich in der Regel gegen vermeintlich schwächere Gruppen, denen meist auch unterstellt wird, sich nicht oder nur zurückhaltend wehren zu können – etwa Homosexuelle, Behinderte, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Migrantinnen und Migranten. Allerdings darf man hier dann nicht dem Fehler verfallen, davon auszugehen, das Gruppen, die selber Betroffene von gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit sind, immun gegen eben diese wären.
Zu den Tatsachen, gegen deren Wahrnehmung sich so manche hartnäckig sträuben, gehört etwa, das gerade bei MigrantInnen islamistischer Prägung die gruppenspezifische Menscheinfeindlichkeit in einem Ausmaß verbreitet und verankert ist, wie man es sonst eher in rechtsextremen Kreisen feststellt. Hier wird dann die gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit vor allem gegen Homosexuelle, vor allem gegen schwule Männer, und gegen Jüdinnen und Juden gerichtet.
In Berlin etwa gehen, laut den aktuellen Statistiken von Opferberatungsstellen, über 50 Prozent aller Gewaltdelikte gegen schwule Männer von Personen mit einem Migrationshintergrund aus – die überwältigende Mehrheit der Täter mit einem Migrationshintergrund sind dem islamistischen Milieu zuzuorden. Ähnlich sieht es bei antisemitischen Straftaten durch Täter mit einem Migrationshintergrund aus – auch hier bilden Personen aus dem islamistischen Milieu die Hauptgruppe der Taverdächgtigen.
Dieses Phänomen führt dann u.a. zu so zunächst skurril erscheinenden Berührungen von Personen mit einem Migrationshintergrund aus dem islamistischen Milieu mit deutschen Rechtsextremisten – obwohl sich die gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit deutscher Neonazis aufgrund ihres rassistischen Welt- und Menschenbildes auch gegen Personen mit einem Migrationshintergrund aus dem islamistischen Milieu richtet. Allerdings verbindet beide wiederum ein ausgeprä Antisemitismus und Antiamerikanismus, eine haßerfüllte Ablehnung der Fundamente unserer westlich-demokratischen Wertegemeinschaft wie Individualismus, Pluralismus und Liberalität. Diesen Werten setzen sowohl radikale Islamisten, wie auch Rechtsextremisten, aber auch Teile der extremistischen Linken ein totalitäres, kollektivistisches Menschenbild entgegen, das in seiner Inhumanität nicht nur das einzelne Individuum und seine Rechte einem alles dominierenden „Kollektiv“ („Rasse“, „Klasse“, „Umma“, also die kollektive „Gemeinschaft“ der Gläubigen“) unterordnen will und auch innerhalb der imaginären Kollektive keine Abweichung von der vorgegebenen Norm duldet). Zu den Grundlagen der gruppenspezifischen Menschenfeindlichkeit gehört es, dem demokratisch-humanistischen Grundsatz der absoluten Gleichwertigkeit aller Menschen, die Ideologie der Ungleichheit entgegenzusetzen.
Die unzweifelhaft faschistische Idee von der „Ungleichheit“ geht davon aus, das Menschen unterschiedlichen „Status“ haben – so werden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Neigung sowie aufgrund ihrer sozialen Stellung ein „niedrigerer Status“ zugeschrieben – im „besten Fall“ wird dann auf „Distanz“ zu den vermeintlich „Niedrigeren“ bestanden, tatsächlich aber läuft es darauf hinaus, die vermeintlich „Niedrigeren“ nicht nur in ihren Rechten zu beschneiden, sondern sie zwangsläufig zu eliminieren. Der Einzelnen, der anderen einen „niedrigeren Status“ zuschreiben möchte und sowohl gruppenspezifischer, als auch individueller Menschenfeindlichkeit anhängt, hat oftmals nicht nur selber massive Minderwertigkeitskomplexe und ein nachhaltig gestörtes Sozialverhalten, ist im realen Leben bislang gescheitert – und sucht daher einen Weg, sein eigenes „Looser“-Image zu kompensieren, nicht etwa durch den mühewolleren Weg seine eigene Situation zu verbessern und seine sozialen und psychischen Defizite zu überwinden, sondern in der Herabwürdigung und Herabsetzung anderer.
Eine Frage des Menschenbilds
Die Frage nach dem Selbstbild, die Frage nach dem Selbstwertgefühl und die Frage, wie ich andere Menschen sehe ist eine Frage des Menschenbildes und ist eine sittliche und ethische Frage. Auch wenn die nunmehr verstärkt erarbeiteten psychologischen und soziologischen Konzepte zur Eindämmung und Zurückdrängung von gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit wichtig und zumeist richtig sind, so muß doch auch verstärkt berücksichtigt werden, wie gerade junge Menschen gegen Menschenfeindlichkeit immunisiert werden können, welches Menschenbild – und damit auch welches Selbstbild – ihnen vermittelt werden kann, um sie nicht nur gegen Menschenfeindlichkeit zu immunisieren, sondern auch die Grundlagen für ein ethisches Leben zu vermitteln.
Die Frage ist – eigentlich – relativ einfach: Wie kann ein Mensch – und auch Jugendliche und Schüler sind Menschen – mit einem ethischen Menschenbild den anderen abwerten und sich selber abwerten? Ethisches Menschenbild heißt, in dem anderen, dem Gegenüber, seinesgleichen zu sehen, einen anderen Menschen, aber doch einen gleichen, sprich gleichwertigen Menschen, der einzigartige, individuelle Fähigkeiten hat und als Bereicherung gesehen und erkannt wird, ebenso wie man um seine eigenen einzigartigen, individuellen Fähigkeiten und seiner eigenen Fähigkeit zur Bereicherung der anderen weiß. Diesem ethischen Menschenbild steht natürlich der fast schon menschenverachtende Satz „Jeder ist ersetzbar“ oder „Jeder ist austauschbar“ entgegen, der eben die einmaligen Fähigkeiten und die Wertigkeit des Einzelnen leugnet und den Menschen zu einem austauschbaren Produkt degradiert.
Den Mitmensch als "Du" anerkennen
In seinem 1923 erschienenen philospophischen Hauptwerk „Du und Ich“ betont der jüdische Philosoph Martin Buber 1878 – 1965), daß die Haltung eines Menschen zu seinem Mitmenschen davon bestimmt wird, ob er den anderen als ein „Es“ oder als ein „Du“ ansieht. Sieht er in dem anderen lediglich ein „Es“, so ist der Mitmensch nur als Werkzeug wahrzunehmen, dessen Existenzberechtigung von seiner „Verwertbarkeit“ abgeleitet wird – oder der Mitmensch wird als „störend“, „bedrohend“, „minderwertig“ verächtlich angesehen. Wird der Mitmensch aber als „Du“ erkannt, dann stehen beide, dann stehen alle Menschen auf der gleichen Ebene, haben den gleichen „Status“. Dann zollen sich die Menschen gegenseitig Anerkennung und Respekt, treten in einen gleichberechtigten Dialog und können sich so gegenseitig ergänzen und befruchten. Der Mitmensch mit seinen individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten wird dann auch nicht als „Bedrohung“ empfunden, sondern als Bereicherung erkannt.
Dazu gehört natürlich, das man sich selber auch annimt und ein normales Selbstwertgefühl hat – beides, die Achtung sich selbst gegenüber die Achtung gegenüber dem Mitmenschen, haben elementar mit einander zu tun. Nicht von Ungefähr heißt es bereits in der Thora, also in den 5 Büchern Mose: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dicher selbst.“ Dabei fällt auf, wie bereits erwähnt, das Menschen mit einem gestörten Selbstwertgefühl, mit Minderwertigkeitskomplexen mit dem – begründeten oder unbegründeten – Gefühl, im Leben gescheitert zu sein, nicht nur zu Verhaltensstörungen und der Unfähigkeit zur sozialen Kompetenz neigen, sondern oftmals versuchen, ihr vermeintliches oder tatsächliches Scheitern zu kompensieren, indem sie andere zu „Minderwertigen“ oder im „niederen Status“ befindlich verächtlich machen und herabwürdigen zu versuchen.
Herausforderung an die Pädagogik: Immunisierung durch Wertevermittlung
Es wäre falsch, den Schulden und vorschulischen Einrichtungen sowie anderen sozialpädagogischen Einrichtung die alleinige Verantwortung für die Verwirklichung des Zieles, gerade Jugendliche gegen die Ideologien der Menschenfeindlichkeit zu immunisieren. Die Gesellschaft, Verbände, Medien, die Politik, aber auch das Elternhaus sind ebenso gefordert. Gleichwohl kommt aber der Schule von Beginn an eine besondere Aufgabe zu. Schulen sind Bildungsstätten – und Bildung ist mehr als die Wissensvermittlung etwa über mathematische Formeln, physikalische Abläufe oder geographische Kenntnisse, so wichtig dies alles einzeln für sich genommen und in seiner Gesamtheit zweifelsfrei sind. Bildung bedeutet auch, die Stärkung der persönlichen Entwicklung zu sträken, vor allem durch das erlernen und entwickeln sozialer Kompetenzen und orientierendes Wissen.
Bestand der Werteerziehung muß die Auseinandersetzung und Identifikation mit den Werten und Normen sein, und die Vermittlung, das diese ethisch-sittlichen Werte universell gültig und ein Menschheitsgut sind. Nicht umsonst heißt es, wie der frühere Bundespräsident Johannes Rau betonte, im Grundgesetz nicht: „Die Würde des Deutschen ist unantastbar.“, sondern: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Jugendlichen muß vermittelt werden, das dieser Grundsatz für sie selber, aber auch für jeden einzelnen Mitmenschen gilt. Und das die fundamentalen Grund- und Menschenrechte nicht nur in Deutschland oder Europa Gültigkeit haben, sondern das sie universell gültig sind und jeder Mensch auf sie uneingeschränkten Anspruch hat. Daraus folgt nicht nur ein Verantwortungsbewußtsein sich selber und dem unmittelbaren Mitmenschen gegenüber, sondern auch Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Opfern des Völkermords in Darfur oder den vom iranischen Gewaltregime drangsalierten Menschen.
Daraus resultiert dann auch, die Bereitschaft gerade auch junger Menschen, die Grundwerte von Freiheit und Gleichheit nicht als etwas selbstverständliches anzusehen, sondern als ein Gut, welches gegenüber den Feinden der Freiheit, den Vertretern der Ideologie der Ungleichheit, den Apologeten des Kollektivismus, verteidigt werden müssen und das Bewußtsein, Menschen beizustehen, die selber nicht in der Lage sind ihre Menschenrechte durchzusetzen und zu verteidigen. Allerdings sehen wir uns gerade in Deutschland gewissen Schwierigkeiten bei der glaubwürdigen Umsetzung dieses Erziehungs- bzw. Bildungszieles gegenüber.
Gerade das Drei-Gliedrige-Schulsystem mit seinem zu Konkurrenzverhalten verleitenden Notensystem wirkt hier kontraproduktiv. Nicht umsonst haben verschiedene EU-Institutionen bereits mehrfach das Schulsystem der Bundesrepublik scharf gerügt, das es der Förderung der Chancengleichheit zuwider läuft und Schüler etwa aus „sozial schwachen“ Familien oder mit Migrationshintergrund systematisch benachteiligt. Entscheidend ist hier: Die Jugendlichen müssen die Werte, die ihnen vermittelt werden, auch erleben können. Genauso wie sie Demokratie auch in ihrem schulischen Alltag erleben und mitgestalten müssen, um Demokratie zu erlernen, zu erleben und sich mit dieser zu identifizieren.
Die Vorstellung des neuen Heitmeyer-Berichts: >klick
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