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Extremismus bekämpfen? Reale Freiheitsprogramme statt stumpfer Theorien

Ein Kommentar von Dierk Borstel vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld zu den Extremismusbekämpfungsplänen der Bundesregierung.

 
Dies ist der zweite Beitrag einer Diskussionsserie über die Zukunft der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, zu der bereits der Berliner Integrationsbeauftragte Piening beigetragen hat. Weitere Kommentare erscheinen in den kommenden Tagen.
 
Die gelb-schwarze Bundesregierung stellt die Programme zur Förderung der demokratischen Kultur nicht grundsätzlich in Frage. Das wäre vor vier oder acht Jahren vermutlich noch anders gewesen. Erinnert sei an die scharfe Kritik der Union in ihrer Oppositionszeit und die frühere Stimmlosigkeit der FDP zu diesem Thema. Damit ist es nun vorbei und das ist eine große Chance für die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich bisher besonders dem Kampf gegen den Rechtsextremismus verschrieben haben.
 
Als Wehrmutstropfen wird nun die Ausweitung der Programme auf alle Formen des politischen Extremismus gewertet. Ist das jedoch gerechtfertigt? Natürlich bedeutet die theoretische Ausweitung der Programmphilosophie oft die konkrete Kürzung der Mittel derjenigen, die bisher gefördert wurden. Klappern gehört zum Geschäft. Doch betrachten wir die Ausweitung einmal von ihrer Theorie her. Die Extremismustheorie, die den neuen Programmentwürfen zu Grunde liegen wird, ist recht einfach gestrickt. Bildlich gesprochen gibt es in der Mitte den „guten“ demokratischen Verfassungsstaat, der von außen stehenden „bösen“ Extremisten von links und rechts bekämpft wird. Die Rechtsextremisten wollen danach einen autoritären Führerstaat und die Linksextremisten die Überwindung des Staates zugunsten eines kommunistischen oder anarchistischen Organisationsmodells. Rechts- und Linksextremisten brauchen in dieser Theorie einander, ohne dass sie völlig gleichzusetzen wären.
 
Die Theorie ist somit recht einfach und unterscheidet „gut“ und „böse“ auf einfache Weise. Die Praxis ist da schon komplexer. Weder gibt es einen per se „guten“ Verfassungsstaat, noch lassen sich die „bösen“ Ideologien wie Rassismus, Autoritarismus oder Antisemitismus einfach am Rande des politischen Spektrums verorten. Nahezu alle Untersuchungen zeigen, dass diese Einstellungen in allen Teilen der Bevölkerung verbreitet sind, wenn auch mit Übergewichten bei den Alten und den Bildungsschwachen. Gut und Böse ist somit nicht immer so leicht zu erkennen und zu unterscheiden, wie es die Extremismustheoretiker weismachen wollen.
 
Deutlicher lassen sich jedoch politische Bestrebungen von rechts- und linksextremer wie auch von islamistischer Seite erkennen. Der rechtsextremen Seite gelangen in der Vergangenheit deutliche Fortschritte in der Umsetzung ihrer Strategie der kulturellen Subversion. In ganzen Landstrichen gewinnen rechtsextreme Akteure den Status des Normalen und schaffen dort Dominanzzonen, die die demokratische Kultur massiv beschädigen. Solche Erfolge kann die linksextreme Seite nicht vorweisen. Ihre Parteien wie die DKP oder PSG sind bei Wahlen im Gegensatz zur NPD chancenlos. Zu beachten sind hingegen einige Zonen z. B. in Berlin, in denen der autonomen Szene deutliche Geländegewinne gelangen. Ähnlich ist es auch mit den Islamisten. Besonders in vielen Großstädten gibt es derweil ein großes Netzwerk islamistischer Vereine und Vorfeldorganisationen. Ihre Gewalt und Einflüsse spüren zunächst vor allem Migranten. Alle drei Bestrebungen bekämpfen jedoch die Freiheit des Einzelnen und stellen den Grundsatz der ungeteilten humanitas in Frage.
 
Blickt man auf diese politischen Bestrebungen kann eine Ausweitung der Bundesprogramme auf alle Formen des Extremismus durchaus sinnvoll sein; nämlich dann, wenn es gelingt, ortsangemessene Strategien der Demokratieförderung zu entwickeln. Voraussetzung dafür wäre jedoch nicht die Umsetzung einer unterkomplexen Theorie, sondern die empirische Aufarbeitung der realen Gegebenheiten vor Ort. Nichts spricht dagegen, in Orten mit islamistischen Bestrebungen passende Antworten auf diese Herausforderung zu entwickeln und da, wo der Linksextremismus sich zeigt, andere Formen zu erproben. Dazu bräuchte es jedoch eine unabhängige, von der Extremismustheorie befreite Institution, die diese Lageanalysen mit wissenschaftlichen Instrumenten und transparenten Kriterien entwickelt. Im Gespräch war einst die Einrichtung einer unanhängigen Beobachtungsstelle für alle Facetten des Extremismus. Ihre Etablierung als Basis einer Neuausrichtung der bundespolitischen Maßnahmen wäre eine wahre Weiterentwicklung. Die Verteidigung der Demokratie wäre dann keine alleinige Aufgabe des Staates mehr, sondern würde unmittelbar und institutionalisiert in den Händen der Bürger liegen. Die Programme könnten so zu lokalen  Freiheitsprogrammen weiterentwickelt werden. Eine konkret erfahrbare Demokratie im Sinne von Freiheit, Minderheitenschutz und Empowerment des Einzelnen als Werk der Bürgergesellschaft: Wenig würde unserer demokratischen Kultur so gut tun und den Extremisten das Leben schwer machen.
  
Foto: mlcastle (Creative Commons)