Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
In Nordafrika werden Diktatoren verjagt, in Deutschland will man aus der Atomenergie aussteigen und in Italien wird für ein neues Frauenbild gekämpft. Wieso man in Italien für Frauenrechte eintreten muss? Schon jetzt sei gesagt: Es ist bitter nötig!
Von Maike Seyfarth
In Italiens Medienwelt wird seit Jahrzehnten nur noch ein bestimmtes Frauenbild vermittelt. Demnach soll eine Frau eigentlich nur zwei Eigenschaften besitzen: Gut aussehen und nichts gegen Sexismus haben. Italiens Fernsehen prägt ein Schönheits- und Frauenideal mit viel Haut, vollen Busen, Lippen und langen Beinen. Junge Mädchen haben von morgens bis spätabends die Funktion die Sendungen „aufzuhübschen“ und müssen sich Erniedrigungen und herben Sexismus gefallen lassen – auch in öffentlich rechtlichen Programmen. Herren dürfen gerne zugeknöpft im Anzug daneben sitzen und die Damen vorführen. Dabei kennt die Niveaulosigkeit kaum noch Grenzen.
Während männliche Moderatoren die Frauen in den Fernsehsendungen gerne mit weißem, kurzen Kleidchen zum öffentlichen Duschen schicken, ist es für die Mädchen scheinbar auch selbstverständlich, sich selbst als lebendes Tischbein einzubringen oder für andere ebenso so anspruchsvolle Tätigkeiten in den Shows herzuhalten. Nahaufnahmen und Zooms auf weibliche Körperteile prägen das Programm. Selbst ältere Moderatorinnen glänzen meist nur mit faltenfreien Gesichtern und kurzen Kleidern.
Beeinflussung der Gesellschaft
Schritt für Schritt wird dieses Frauenbild von den Zuschauerinnen und Zuschauern und somit von der italienischen Gesellschaft übernommen. Schönheitsoperationen, Liftings und anderweitige Beautyprodukte haben in Italien Hochkonjunktur. Frauen, die den Jugend- und Schönheitswahn nicht mitmachen, werden in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Wissen, Scharfsinnigkeit und Meinungsäußerungen sind bei Frauen in Italien nicht gefragt. Karrieren in alltäglichen Berufen werden nur – wie im Fernsehen vorgemacht – durch das äußere Auftreten der italienischen Damen entschieden.
Mittlerweile tritt das Problem sogar als im doppelten Sinne zu Tage. Auf der einen Seite werden die zurechtgemachten Damen im Fernsehen auf sexistische und frauenfeindliche Weise ausgenutzt und vorgeführt, auf der anderen Seite haben Frauen, die sich nicht durch ein jugendliches, leichtes Auftreten definieren in der italienischen Gesellschaft keine Möglichkeit auf Anerkennung. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz und hinterläßt die Frage nach der Rolle der Frau in der italienischen Gesellschaft.
Ein politisches Konzept
Vorangetrieben wird das Fernsehkonzept und Gesellschaftsmodel von Italiens Ministerpräsident. Silvio Berlusconi hat als Mehrheitsaktionär der Verlagshäuser, direkten Zugriff auf die italienischen Massenmedien. Wie in einem Familienunternehmen entscheidet Berlusconi mit und hat seine Tochter als Chefin des einflussreichsten Zeitschriftenverlages an seiner Seite. Durch den Einfluss auf diverse Medien, sorgt er dafür dass die ewig jungen, aufgepumpten „TV-Hostessen“ zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Fernsehern der Familien tanzen können. Selbst bei seriösen, investigativen Nachrichtenmagazinen treten die tanzenden, jungen Frauen auf. Es scheint, als funktioniere Fernsehen in Italien mittlerweile nicht mehr anders. Hierbei wird ausgenutzt, dass das Gerät in Italien einen sehr hohen Stellenwert im familiären Ablauf genießt. Am Mittelmeer läuft das TV-Gerät ununterbrochen in mehreren Räumen der Wohnungen.
Dabei untergräbt das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinen eigentlichen Auftrag. Genau wie in Deutschland, ist der öffentliche TV-Sender zur Vermittlung von Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung verpflichtet. Ob dafür allerdings die Tänzerinnen gebraucht werden, ist umstritten.
Obwohl in anderen europäischen Ländern die Gleichstellung der Frau auch große Debatten auslöst, stellt sich die Dimension des italienischen Sexismus im europäischen Vergleich als gravierend dar. Frauen werden auch in Informations- und gängigen Unterhaltungssendungen nur als Lust- und Sexobjekt dargestellt.
Schwerwiegende Folgen für Italiens Gesellschaft
Ein Aufbegehren gegen diesen Sexismus ist dringend nötig. Frauen sehen in Italien keine Perspektive mehr und wandern in andere europäische Länder aus – und zeigen so ihre Art des Protests. Im Ausland erhoffen sie sich ausgeglichenere Bedingungen, Entfaltungsmöglichkeiten und eine offenere Form von Demokratie, die sich – nicht zuletzt – auch in den Medien abspielt.
Für die daheimgebliebene Gesellschaft bleibt eines zu konstatieren: Wenn ganze Generationen solche Werte und Normen vermittelt bekommen, sieht die Zukunft noch finsterer aus. Auf Dauer wird es für Frauen schwer werden, die Rolle des makellosen, gutaussehenden „Dummchens“ wieder loszuwerden und sich wieder in ein anderes Licht zu rücken, um nicht nur mit ihrem Aussehen glänzen zu müssen.
Profitieren können derweil nur die Männer, die sich weiterhin erhaben und übergeordnet viel erlauben dürfen. Die Konsequenz ist, dass Männer auf Dauer bessere Möglichkeiten in der Gesellschaft, an der Arbeit oder im Privaten genießen.
Die Revolution beginnt schon
Doch es regt sich Widerstand. Am diesjährigen Weltfrauentag gingen eine Million Italienerinnen und Italiener auf die Straße und protestierten. Sie fordern, dass ein demokratisches Land auch im Fernsehen verschiedene Frauenbilder anbieten sollte und stellten sich gleichzeitig gegen jegliche frauenfeindlichen Standards.
Gerade seit dem Dokumentarfilm „Corpo delle Donne“ (Frauenkörper) von Lorella Zanardo, der eine große Resonanz erfuhr, wird eine hitzige Debatte geführt, die nicht nur um das verzerrte Frauenbild, sondern auch das Staatssystem und die Demokratie Italiens in den Blickpunkt nimmt. Dank des Filmes, der den einseitigen Blick auf die Frau und seine Auswirkungen kritisch betrachtet, wird noch eine andere Form des Auflehnens innerhalb des Landes gefunden und der Protest trägt erste Früchte. Da politische Themen und Problemlagen wieder in die öffentliche Diskussion geraten, können Tabuthemen zur Zeit offener angesprochen werden als zuvor.
Dieser Wandel setzt sich jetzt auch schon bei wichtigen Wahlen durch. Die italienische Zivilgesellschaft macht von ihren Rechten gebrauch und vertritt auch offensiv bei Wahlen oder auf der Straße eine Meinung – zuletzt eine, die der des Ministerpräsidenten widerspricht. So besteht durch weitere öffentliche Diskussionen die Möglichkeit, das Bewusstsein zu schärfen und die Gesellschaft zu verändern. Also: Viva la Revolución.
Foto: von fiedler.andre via Flickr, cc