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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Für die Todesstrafe demonstrierte die Kameradschaftsszene zusammen mit der NPD im Oktober in Joachimsthal und Neustrelitz. Ihre Forderung war "Geborgenheit statt Angst". Kindesmisbrauch ist ein Thema das nicht vernachlässigt, aber auch nicht von Neonazis vereinnahmt werden darf.
Sie werden nicht müde martialische Strafen zu fordern. Für „effektiven Opferschutz“ und die Todesstrafe demonstrierte die rechtsextreme Szene mit der NPD Ende Oktober gleichzeitig in Joachimsthal/Brandenburg und Neustrelitz/Mecklenburg-Vorpommern. Bereits zuvor gab es Demonstrationen in Ferdinandshof/Vorpommern und Schwerin. Doch um die Betroffenen von sexueller Gewalt geht es der NPD nicht. Die demokratische Gegenkundgebung in Joachimsthal wurde von der Evangelischen Kirchengemeinde, der Amadeu Antonio Stiftung, dem Jugendbündnis F.E.T.E. und ehemaligen Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste unterstützt, deren Redebeitrag die Mut-Redaktion hier in Auszügen dokumentiert:
„Liebe Joachimsthalerinnen und Joachimsthaler! Liebe Anwesende dieses Herbstfestes! Als ehemalige Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste sind wir heute aus Berlin nach Joachimsthal gekommen. Uns ist es wichtig, mit Euch ein Zeichen gegen das menschenverachtende Auftreten der NPD zu setzen. Die Antwort einer Demokratie auf rechtsextreme Einstellungen, nationalistische und fremdenfeindliche Strukturen ist das Grundgesetz. Dieses stellt die Würde des Menschen in ihrer Unantastbarkeit als ersten Artikel über alle anderen. Es wird deutlich: das Weltbild der NPD ist nicht grundgesetzkonform! Sexualstraftaten dürfen nicht ungesehen bleiben. Kindesmissbrauch ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Es ist ein Thema, das oftmals mit Ängsten und Ohnmachtsgefühlen verknüpft ist und nicht verharmlost werden darf.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die rechtsextreme NPD dieses Thema für sich allein beansprucht. Denn die NPD instrumentalisiert die Emotionalität und die Verunsicherung der Menschen in diesem Zusammenhang. In hassvollen Parolen lädt sie die Thematik für ihre Zwecke propagandistisch auf. Wir aber fordern eine Solidarisierung mit den Betroffenen sexueller Gewalt. Darum ist es notwendig, dass wir hinsehen, zuhören und Strukturen schaffen, die Leid auffangen und verhindern. Dabei ist es aber auch wichtig, nicht die Täter in ihrem Menschsein aus dem Blick zu verlieren. Nach Udo Pastörs, dem NPD-Fraktionsvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern, haben Sexualstraftäter ihr ‚Recht auf Leben verwirkt‘. Dieser von der NPD geforderten Todesstrafe ist grundsätzlich zu widersprechen. Das Recht auf Leben ist nicht diskutierbar. Leben ist nicht verhandelbar.
Dass die NPD höhere Strafen für Sexualstraftäter fordert, trifft bei vielen Menschen auf Zustimmung. Strafen dienen aber lediglich der Befriedigung oberflächlicher Rachebedürfnisse. Sie können weder Betroffenen noch Tätern helfen, mit erfahrenen Schmerzen und Schuldgefühlen umzugehen, noch führen sie zu einer Behebung des Problems. Die Diskussion über einen sinnvollen Umgang mit Sexualdelikten ist wichtig. Worüber nicht diskutiert werden darf, ist der Widerstand gegen das, was hinter der Strategie der NPD steht: ihr Anliegen ist es, an aktuelle Themen anzuknüpfen, sich betont bürgernah zu geben und sich so gesellschaftsfähig zu machen. Ihnen sind Gewaltverherrlichung und Diskriminierung wichtiger als Hilfe für die Opfer und ein Fragen nach den Hintergründen der Täter. Einer Partei wie der NPD mit ihrem antidemokratischen Grundverständnis darf dieses sensible Thema nicht überlassen werden. Die NPD fordert explizit nur den Schutz deutscher Kinder – Hintergrund hierfür ist ihr völkisches Denken, Kinderschutz ist für sie Mittel für Ausgrenzung und Diffamierung. Indem die Partei außerdem das Versagen des Staates kritisiert, fordert sie einen Umsturz der bestehenden demokratischen Ordnung. Wichtige Themen in diesem Zusammenhang, wie die Forderung nach einer Verlängerung der Verjährungsfrist für sexuellen Kindesmissbrauch, die Schaffung von mehr anonymen Anlaufstellen, bessere Therapiemöglichkeiten oder angemessene finanzielle Entschädigungen sind für die NPD kein Thema.
Die NPD fordert heute Geborgenheit statt Angst. Geborgenheit ist angesichts der Tatsache, dass sie hier in Joachimsthal für ihre menschenverachtenden Ziele demonstrieren darf, nicht möglich. Aber auch ein Verharren in Angst darf nicht die Lösung sein. Der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit ist verständlich und nachvollziehbar. Eine Geborgenheit aber, deren Grundlagen Menschenverachtung und Ausgrenzung ist, ist keine Geborgenheit. Bereits vor einem Monat demonstrierten rund 300 Neonazis unter dem Motto ‚Todesstrafe für Kinderschänder‘ in Schwerin. Wie reagierte die Bevölkerung? Am Anfang gab es kaum Widerstand gegen den Aufmarsch der NPD. Viele Menschen liefen mit und standen nickend oder sogar jubelnd am Straßenrand. Wir wollen heute weder zustimmend noch schweigend am Straßenrand stehen, sondern uns bewusst gegen die Parolen der rechtsextremen NPD positionieren und selbstbestimmt ein gemeinsames Zeichen für ein demokratisches Miteinander setzen. Dankeschön.“
Von Aline Seel und Luise Krebs, ehemalige Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Krakau/Polen und Mitglieder der ASF-Regionalgruppe Berlin/Brandenburg