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Kritik am Islam zu üben ist populär und erscheint vielen unproblematisch. Wer jedoch diese angebliche „Islamkritik“ aus einer anti-rassistischen Perspektive näher betrachtet, wird feststellen, dass Musliminnen und Muslime nur aufgrund ihrer Religion angegriffen und abgewertet werden. Der Hass gegen sie wird durch die Argumentation zu legitimieren gesucht, man habe gar nichts gegen „Ausländer“ im Allgemeinen, problematisch erscheinen einzig die Muslime.
Blogs wie Politically Incorrect – in denen nichts anderes als rassistische Hetze speziell gegen MuslimInnen praktiziert wird – werden immer populärer. Beim Lesen der Beiträge solcher Weblogs wird offenkundig, dass es einen Rassismus gibt, der vor allem auf (vermeintliche) MuslimInnen abzielt, sich aber gleichzeitig als „Kritik“ tarnt. In der Tat gibt es in der öffentlichen Debatte eine Verschiebung von dem „klassischen“ rassistischen „Ausländer“-Diskurs zu einem speziell auf MuslimInnen abzielenden und sich zum Teil explizit anti-rassistisch und emanzipatorisch gebenden kulturellen Rassismus.
Kulturalistischer Rassismus
Auch wenn viele Bilder und Topoi aus dem „Ausländer“-Diskurs und somit aus dem altbekannten Rassismus weiter zu erkennen sind, unterscheidet sich das anti-muslimische Ressentiment von anderen. Islamophobie ist ein „neuer“ Rassismus beziehungsweise ein „kultureller Rassismus“: Es wird keine imaginierte „Rasse“, sondern eine als Religionsgemeinschaft konzipierte Gruppe in den Blick genommen. Kulturalistische Zuschreibungen sind im post-nationalsozialistischen Deutschland besser geeignet, Stimmung zu machen, als der Rekurs auf „rassische“ Merkmale. Wenn also auch die Popularität des Abgrenzungskriteriums „Religionszugehörigkeit“ neu sein mag, sind die sich mit dieser Abgrenzung verbindenden Mechanismen der Ausschließung alles andere als neu. Auch die Konstruktionsmechanismen, also die Mechanismen, die dafür sorgen, dass die MuslimInnen überhaupt als homogene Gruppe wahrgenommen werden (was sie nicht sind!) sind aus älteren rassistischen Diskursen wohl bekannt.
Von Rassismus lässt sich nämlich immer reden, wenn eine homogene Gruppe konstruiert wird (in diesem Fall die Gruppe der MuslimInnen), dieser Gruppe negative Eigenschaften zugewiesen werden und sie auf dieser Grundlage abgewertet und / oder angegriffen wird. Zu Rassismus gehört also auch die tatsächlich stattfindende Diskriminierung, nicht nur das Vorurteil (wie z.B. gegen Menschen aus Süddeutschland o.ä.). Alle diese Merkmale sind beim anti-muslimischen Ressentiment zu finden, auch wenn die Gruppengrenze nicht anhand von nationalen oder ethnischen Merkmalen, sondern anhand der religiösen Kategorie gezogen wird. Somit kann auch im Falle von „Islamophobie“ oder „Islamkritik“, wie sie zum Beispiel von Seiten der Pro-Bewegung geäußert wird, von Rassismus gesprochen werden.
Funktionen des Ressentiments
In der Rassismusforschung sind einige Funktionen rassistischer Diskurse herausgearbeitet worden. Dazu zählt vor allem die Aufwertung der „eigenen“ Gruppe über die Abwertung der „Fremden“: Um Distanz und Hierarchie aufrechtzuerhalten, müssen die symbolischen Grenzen immer wieder neu gezogen und bestätigt werden. Dies geschieht vor allem durch die ständige Reproduktion bestimmter Bilder in den Medien, im Alltag, in der Wissenschaft und der Politik. Solche Bilder sind im Falle des Islam „Gewalttätigkeit“, „Frauenunterdrückung“, „Rückständigkeit“ usw. Diese Merkmale werden „der Gruppe der MuslimInnen“ als Kollektiv zugeschrieben. Wenn sich durch die ständige Reproduktion von diesen Bildern ein rassistisches „Wissen“ etabliert, wie gegenwärtig im Diskurs über Islam und MuslimInnen erkennbar, kann die „Eigentümlichkeit“ von MuslimInnen als bewiesen, als „normal“ oder „natürlich“ erscheinen.
Durch eine negative Stereotypisierung von MuslimInnen kann die dominierende Gruppe einen Ab- und Ausgrenzungsprozess vollziehen ohne als Ausgrenzende erkennbar zu werden – alles wird auf die angebliche „Andersartigkeit“ der MuslimInnen geschoben.
Beispiel Kopftuchdebatte
Vor diesem Hintergrund kann auch die Debatte um das Kopftuch interpretiert werden. Das häufig genannte Beispiel, dass das Kopftuch niemanden stört, solange es von Putzfrauen getragen wird, aber zum „Problem“ avanciert, wenn eine Ärztin, Anwältin oder Lehrerin es tragen will, kann uns als Hinweis darauf dienen, dass hier gesellschaftliche Zugangschancen und Positionen (mit-)verhandelt werden.
Der Diskurs über Islam und Muslime beinhaltet somit die Artikulation einer Machtstellung sowie die Legitimation von Exklusionsmechanismen. Neben diesem Moment verfügt der Diskurs über Islam und MuslimInnen über systemerhaltende und ordnungsstiftende Funktionen. Ganz verschiedene soziale und politische Probleme werden mit den Eigenschaften „des Anderen“ erklärt. Der Diskurs über Islam und MuslimInnen steht dabei beispielhaft für die Kulturalisierung sozialer und politischer Problemlagen. Gleichzeitig wird über die Schreckensbilder vom „Innenleben des Fremden“ suggeriert, dass die „eigene“ Gruppenzugehörigkeit hochgehalten werden muss. Differenzen, Unterschiede und Gegensätze innerhalb der „eigenen“ Gruppe werden somit verdeckt, vermeintliche oder tatsächliche Differenzen zur „fremden“ Gruppe instrumentalisiert.
Von Constantin Wagner und Lisa Doppler
Bild: Screenshot der Homepage von Pro Berlin