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Mit der Ablehnung des Sächsichen Förderpreises für Demokratie hat der Pirnaer Verein AKuBiZ für ziemlichen Wirbel gesorgt. Wichtig ist vor allem die daurch aufgekommene Debatte um den Extremismus-Begriff und die freiheitlich demokratische Grundordnung. Was letztere eigentlich bedeutet, muss diskutiert werden.
Von Nora Winter
„Wir bekennen uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ – Diesen Satz sollten die für den Sächsischen Demokratiepreis 2010 Nominierten auf Wunsch des Sächsischen Innenministeriums unterschreiben, damit sie den Förderpreis entgegennehmen können. Weiterhin sollten sie versichern, dass alle zukünftigen Partnerorganisationen für die Ziele des Grundgesetzes förderliche Arbeit leisten. Das ging dem Gewinner unter den Nominierten zu weit. Der Pirnaer Verein AKuBiZ, der sich seit langem gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt, lehnte den Preis und damit auch die 10.000 Euro Preisgeld ab. „Seit neun Jahren arbeiten wir ehrenamtlich in der Region in Pirna für Menschenrechte und gegen rechtes Gedankengut“, erklärt der Verein und fragt sich, warum er den Anschein erwecke, „extremistisch“ zu sein. Auch seine Partnerorganisationen suche er danach aus, „ob sie humanistische Grundsätze teilen, sich gegen Diskriminierung und für gesellschaftliche Teilhabe einsetzen“. Auf den ersten Blick erscheint das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (fdGO) nicht als Problem. Bei genauerem Hinsehen wird aber klar, dass es hier um eine Floskel geht, die politisches Engagement und Kritik verhindert, obwohl sie eigentlich das Gegenteil intendierte. Das nicht zu akzeptieren war ein wichtiger Schritt des AKuBiZ, der nun im Licht der Öffentlichkeit hoffentlich eine Debatte lostritt.
Die SRP und die BRD
1952 hat das Bundesverfassungsgericht die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten. Diese Partei stand in der Tradition der NSDAP. Ein Jahr zuvor errang die SRP bei den niedersächsischen Landtagswahlen 11 Prozent – in einigen Gemeinden sogar über ein Viertel der Stimmen. So kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah erklomm nun wieder eine nationalsozialistische Partei die deutschen Parlamente. In anderen Ländern verfolgte man diese Entwicklung verständlicherweise mit großer Sorge. Noch im selben Jahr reichte daraufhin die Regierung Adenauer den Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Was hat das mit der fdGO zu tun? Das Verfassungsgericht benötigte zum Verbot der SRP einen Prüfungsmaßstab, damit es die „Verfassungswidrigkeit“ feststellen konnte. Das war die Geburt der bis heute benutzten Formel von der fdGO.
Was ist die freiheitliche demokratische Grundordnung?
Für das Gericht ist die fdGO „eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ Diese benannten verfassungsrechtlichen Gestaltungsprinzipien sind ganz allgemein gehalten und eigentlich auch selbstverständlich. Schließlich haben wir es hier auch mit Verfassungsrecht zu tun – also einem gesellschaftlichen Rahmen und keiner bürokratischen Verordnung, die ins Detail geht. Verfassungsrecht muss in gesellschaftlichen Prozessen ausdefiniert werden. Sicherlich ist es für viele ein leichtes zu unterschreiben, dass sie für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sind. Im Konkreten ausdefiniert entstehen darüber aber viele Streitigkeiten. So kann diese Formel von der fdGO nicht einfach als formale Regel angewandt werden. Wer das macht, versteht nicht, dass es sich hier um inhaltliche politische Gestaltungsfragen handelt, die sich nicht formelhaft beantworten lassen.
Nie wieder die Barbarei des Nationalsozialismus
Angesichts des Nationalsozialismus sollte das Grundgesetz einen erneuten Ausbruch dieser Barbarei für alle Zukunft verhindern. So wurden Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes für unveränderbar erklärt und der Verfassung ein materialer Gehalt gegeben, den es so in der Weimarer Republik nicht gab. Nicht nur formale Regeln sollten in der Verfassung stehen, sondern eine durchaus auch politische Grundentscheidung. Dieser materiale Gehalt des Grundgesetzes war neu. Schließlich wähnt sich das Recht stets seiner vermeintlich objektiven, nicht-politischen Haltung. Doch es kann gar nicht unpolitisch sein: Recht entsteht in einer Demokratie im politischen Prozess, in gesellschaftlicher Auseinandersetzung, an deren Ende der Akt der Gesetzgebung steht. Ähnlich verhält es sich mit dem materialen Gehalt des Grundgesetzes. Wenn Artikel 1 von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen spricht, folgt die Frage, was das denn heißt. Was hieß es 1949 und was 2010? Welche gesellschaftlichen Verhältnisse ermöglichen, dass die Würde des Menschen unangetastet bleibt? Oder widerspricht beispielsweise die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl der Würde des Menschen? So gilt für den materialen Gehalt, dass er nicht formelhaft angewandt werden kann, sondern gesellschaftlich debattiert werden muss. Streit, Konflikt und Dissens heißen hier die Zauberworte.
Der rauhe Wind des Strafrechts
Das Bundesverfassungsgericht entnahm die Formulierung der fdGO dem Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. 8. 1951. So hat das Gericht „eine bereits zuvor bestehende strafrechtliche Norm faktisch zu Verfassungsrecht erhöht und so zugleich die Definitionskompetenz für die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen von Bonn nach Karlsruhe zurückgeholt“, schreibt Thomas Henne*. Der Sprung vom Straf- zum Verfassungsrecht ist zumindest heikel. Die fdGO über die Jahrzehnte zu einer leeren Hülle, die als Argument zur Delegitimierung von politischem Konflikt und von Kritik benutzt wird. Denn mit dem Hinweis, dass dies oder jenes nicht fdGO-konform sei, schwingt man zwar äußerlich die Fahne der Demokratie, erklärt aber Kritik oder politisches Engagement nach Gutdünken für „verfassungswidrig“. Anstatt sich also inhaltlich auseinanderzusetzen und sich auch einfach mal zu streiten, werden gesellschaftliche Konflikte mit Verboten gedeckelt. Da weht der rauhe Wind des Strafrechts. Das Politische ist aber nicht strafbar, sondern in einer Demokratie erwünscht.
Wir müssen also reden
Wenn nun Initiativen, die für ihr Engagement gegen Rassismus von der Regierung gefördert werden, unterschreiben müssen, dass sie sich zur fdGO bekennen, heißt das erstmal – gar nichts. Die Androhung aber,„Verfassungswidrigkeit“ anhand der fdGO willkürlich zu bestimmen, bedeutet für Projekte eine ungewisse Zukunft. Wer sich mit seiner Kritik zu weit aus dem Fenster lehnt, bekommt keine Gelder mehr und das mit dem Argument Demokratie. Mit dem Wirbel um den Sächsischen Förderpreis wird das nun hoffentlich Thema, genauso wie die Debatte über die fdGO.
Foto: Al Fed via Flickr, cc
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*Henne, Thomas: „Von 0 auf Lüth in 6 ½ Jahren“. Zu den prägenden Faktoren der Grundsatzentscheidung. In: Henne, Thomas/Riedlinger, Arne [Hg.]: Das Lüth-Urteil aus (rechts-) historischer Sicht. Die Konflikte um Veit Harlan und die Grundrechtsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts. 2005. S. 208f.