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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Bereits seit einiger Zeit wird in Eberswalde über die Umbenennung einer Straße in Amadeu Antonio Straße nachgedacht. Mittlerweile hat die Diskussion darüber beschämende Züge angenommen. Der Vorsitzende der SPD-Ortsvereins Finow und der Ortsvorsteher des Brandenburgischen Viertels heben sich dabei mit fragwürdigen Äußerungen hervor. Die Jusos von Barnim haben nun dazu Stellung genommen und fordern ein würdigeres Gedenken an Amadeu Antonio.
Ein Gastkommentar von Martin Ehlers und Florian Görner (Juso)
Auf Grund von Geschehnissen und Meinungsäußerungen von Einzelpersonen und auch der eigenen SPD, haben wir uns dazu entschlossen, die Debatte um eine Straßenumbenennung nach dem ermordeten Angolaner Amadeu Antonio Kiowa im Jahre 1990 nun kritisch in der Öffentlichkeit zu begleiten. Ausschlagegebend für diesen Schritt waren die Äußerungen des Vorsitzenden der SPD-Ortsgruppe von Finow, Ringo Wrase und dem Ortsvorsteher des Brandenburgischen Viertels, Carsten Zinn.
Wir teilen nicht im vollen Umfang die Meinung der Finower Sozialdemokraten, sowie die des Ortsvorstehers Herrn Zinn, da die darin enthaltene veröffentlichte Argumentation für uns in diesem Umfang nicht nachvollziehbar ist.
Das Erinnern an unvorstellbar menschenfeindliche Taten
Im öffentlichen Raum steht nun die Debatte darüber, ob die Umbenennung der Eberswalder Straße „gegen Rassismus immun“ mache und dies dazu führe, dass Eberswalde dadurch eine „vorbeugende Wirkung“ gegen Straftaten schaffe. Sicherlich tut dies eine Umbenennung nicht, jedoch ging es auch nie darum. Mit der gleichen Argumentation könnte auch die Gedenkstätte Sachsenhausen abgelehnt werden, da diese nicht gegen Faschismus immun gemacht hat oder auch das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, da dieses nicht gegen den Kommunismus „immunisierte“. Es geht weder in Sachsenhausen oder Hohenschönhausen, noch bei dieser Straßenumbenennung um das „Immunisieren“ gegen Menschenfeindlichkeit und Vorbeugung gegen Kriminalität, sondern um das Erinnern an unvorstellbar menschenfeindliche Taten und das Mahnen, ohne jede Erwartung, dass danach alles gleich besser wird. Im Gegenteil, die Aufgabe der Gesellschaft ist es, darauf zu achten, dass solche Dinge sich nie wieder wiederholen!
Zudem wird nun auch darüber diskutiert, ob eine Volksabstimmung Sinn macht. Für uns ist eine Volksabstimmung nicht sinnvoll, da unserer Meinung nach, die gewählten Stadtverordneten kompetent und am ehesten darüber entscheiden können, ob die Straße umbenannt wird oder nicht. Zumal vermuten wir bei der Forderung auch, dass einzelne Stadtverordnete sich ihrer Verantwortung über eine Entscheidung entziehen möchten und dies lieber auf den Bürger abschieben wollen. Vor allem auch der Ortsvorsteher des Brandenburgischen Viertels, Carsten Zinn, bekleckert sich in dieser Debatte nicht mit Ruhm. Er fordert eine „tabulose Debatte“ rund um die Umbenennung der Straße. Wir fragen uns, was denn eigentlich das Tabu ist, was gebrochen werden soll. Carsten Zinn bleibt eine Antwort schuldig und auch konstruktivere Anregungen sind von ihm wie leider häufig, nicht zu hören.
Fragen werden nicht gestellt!
In der SPD im Ortsteil Finow wird von einer „90 prozentigen Ablehnung“ bei den Eberswalderinnen und Eberswaldern gesprochen. Abgesehen davon ob diese Zahlen überhaupt glaubwürdig hinterlegt sind, gibt es bisher keine Reflexionen darüber, weshalb die Anwohnerinnen und Anwohner den Gedanken einer Straßenumbenennung angeblich ablehnen.
Sind es tatsächlich nur die Kosten für neue Briefköpfe und Stempel von ein paar Unternehmen? Sind es tatsächlich nur die Änderungen der Personalausweise? Sind es tatsächlich nur die Ängste darüber, dass sie künftig auf veraltetem Kartenmaterial im Navigationssystem nicht mehr gefunden werden? Oder ist es vielmehr der Wunsch nach endgültigem Vergessen und Verdrängen des unvorstellbaren Mordes an Amadeu Antonio?
Diese Fragen müssen gestellt werden. Es ist schwierig für die Gesellschaft, solche Dinge aufzuarbeiten und sich ernsthaft damit zu beschäftigen, denn es ist auch beschämend und peinlich für das internationale Ansehen Eberswaldes nach alledem was am 06. Dezember 1990 geschah. Solange wir uns jedoch nicht ernsthaft im gesellschaftlichen Raum damit beschäftigen, tragen wir alle eine kleine Mitschuld, wenn es immer noch Rassismus in unserer Gesellschaft gibt.
Wie war das mit dem Rassismus?
Scheinbar haben es einige Politiker nicht verstanden, dass es immer noch Alltagsrassismus gibt. Hier ist Eberswalde keine Ausnahme. Unsere Finower Genossinnen und Genossen argumentieren, dass „mit oder ohne Umbenennung ist Eberswalde nicht fremdenfeindlicher als andere Städte in der Bundesrepublik“.
Unsere Position dazu ist, wir fordern ein, dass Eberswalde gesellschaftspolitisch alle Versuche unternimmt, fremdenfreundlicher zu sein als alle andere Städte in der Bundesrepublik und die alten Lasten der 90er Jahre nicht wegdiskutiert und verdrängt werden. Wir Jusos wünschen uns Eberswalde als einen Ort, an dem alle Menschen sich wohlfühlen und ohne Angst leben können, unabhängig von ihrer Herkunft, Lebensart, der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung oder des sozialen Hintergrundes. Hier ist leider noch gesellschaftlicher und politischer Handlungsbedarf vorhanden und zwar sicherlich nicht nur in Eberswalde.
Wir wollen, dass mutige Schritte in dieser Richtung getan werden und dass Eberswalde ein positives Vorbild für andere Städte wird. Gerade deshalb müssen die Namen von Opfern rassistischer Gewalt in das kollektive Gedächtnis geholt werden und stets im öffentlichen Raum präsent sein. Genau das ist der Sinn einer Straßenumbenennung, denn dadurch wird der Name in der Öffentlichkeit wiederholt und neu genannt. Es wäre ein sehr mutiger Schritt für die Stadt Eberswalde eine solche Umbenennung vorzunehmen. Wir unterstützen daher ausdrücklich die Bestrebungen des Bürgermeisters Boginski. Ein Gedenkort wie es die SPD im Ortsteil Finow in Erwägung zieht, kann auch eine gute Variante sein, hat aber unserer Ansicht nach kaum den Effekt einer Straßenumbenennung.
Warum nicht auch ein Falko Lüdtke Straße?
Allerdings hat die Idee einer Straßenumbenennung für uns auch Schwächen. So fragen wir uns z.B. warum es dann nicht auch eine Falko Lüdtke Straße geben sollte. Falko Lüdtke wurde zwar nicht aufgrund von rassistischer Gewalt ermordet, aber aufgrund von echter Zivilcourage gegen Neonazismus.
Die Tat wurde daraufhin aufgrund der Zugehörigkeit von Falko zur Punkszene in Eberswalde marginalisiert, entpolitisiert und verdrängt. Es gab nie eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Mord an ihm, galt es doch bei den meisten nur als Schlägerei zwischen angetrunkenen Jugendlichen ohne politischen Hintergrund. Die Spechthausener Straße in Falko Lüdtke Straße umzubenennen, wäre nach der Schilderenthüllung nur konsequent.
Aktive Gedenkkultur
Aber es gibt von unserer Seite weitere Vorbehalte: Vor allem scheint uns eine simple Straßenumbenennung kaum nachhaltig genug. Sie ist uns dafür zu sehr passive Symbolpolitik, die mit der Umsetzung einen Schlussstrich unter der Debatte zu ziehen droht. Sie könnte ein Feigenblatt sein, um nötige Debatten um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, den es in breiten Teilen der Gesellschaft gibt, zu umfahren. Leider fehlt es an Ideen in der öffentlichen Debatte, wie man Gedenken aktiv gestalten kann. Es muss aber weiter gehen. Die Erarbeitung eines Erinnerungskonzeptes in der Stadt Eberswalde ist dabei nur der erste richtige Schritt.
Die Jusos fordern deshalb, dass Stadt und Landkreis Gelder für ein langfristiges Projekt frei machen, welches zum Ziel hat, dass zum Beispiel Schulklassen sich an einem Gedenkort mit den Opfern rechter Gewalt sowie Rassismus und Neonazismus in Eberswalde pädagogisch auseinander setzen. Ein solcher Gedenkort könnte z.B. eine Ausstellung oder ein Seminarprogramm sein. Der Jugendtreff Exil oder ein anderer Eberswalder Jugendclub wäre für derartige Aktionen geeignet.
Wir wollen, dass es eine aktive Auseinandersetzung mit den Geschehnissen und eine aktive Auseinandersetzung mit Rassismus jeder Art gibt. Die Umbenennung der Eberswalder Straße in Amadeu-Antonio-Straße ist dafür nur ein kleiner, aber sehr wichtiger Schritt.
Martin Ehlers ist Vorsitzender und Florian Görner ist stellvertretender Vorsitzender der Barnimer Jusos. Mehr: http://jusos-barnim.sozi.info/