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Tanz auf dem Vulkan oder Dortmund den Dortmundern?

In Dortmund ist ein Modellprojekt unter Beteiligung von Neonazis geplant, das den irritierenden Titel „Dortmund den Dortmundern – Wem gehört die Stadt?“ trägt. Es ist eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob gewaltbereiten Rechtsextremen eine staatlich geförderte Plattform geboten werden darf, um ihre Ideologie zu verbreiten. Tatsächlich kreist diese Diskussion jedoch um einen tiefergehenden Konflikt: Sie betrifft die Frage nach den Strategien des Umgangs mit rechtsextremen Gruppen.
          
Von Dr. Dierk Borstel
                          
Im Ruhrgebiet tobt eine Debatte über ein Projekt mit dem provozierenden Titel „Dortmund den Dortmundern?“. Worum geht es? Diese Frage kann zum derzeitigen Stand noch gar nicht recht beantwortet werden. Es liegt lediglich eine erste, vom Projektträger schon lange und selbst widerrufende Antragsskizze vor, nach der rechtsextreme und nicht-rechtsextreme Jugendliche über die Zukunft der Stadt streiten sollten.  Eine tatsächliche Beschreibung mit Zielgruppen, Verlauf, Methode etc. befindet sich noch in Arbeit. Das ist an sich in der Welt der Projekte nichts Ungewöhnliches. Jemand hat eine grobe Idee, skizziert sie im Antrag und im Falle der Bewilligung wird die Idee zunächst konkretisiert und dann umgesetzt.
                         
„Glatzenpflege auf Staatskosten“?
                                        
In diesem Fall reichte aber wohl schon die Idee, um viele Gemüter zu erhitzen. Die Kernfrage im Antrag lautet nämlich: Gibt es neue Ansätze der pädagogischen Arbeit mit Rechtsextremisten und sogar mit rechtsextremen Gruppen? Im Falle Dortmunds hieße das: Gibt es pädagogische Möglichkeiten, sich mit den Autonomen Nationalisten auseinanderzusetzen? Zwei Aspekte fallen einem sofort ein.
                     
Erstens: das ist doch alles schon mal da gewesen und nannte sich in den Neunziger Jahren akzeptierende Jugendsozialarbeit. Tatsächlich will sich das Dortmunder Projekt einerseits mit erfolgreichen Elementen dieser Ansätze befassen. Andererseits verspricht es eine qualitative Weiterentwicklung. Das Projekt soll keine neue Form der „Glatzenpflege auf Staatskosten“ sein, sondern bewusst und offen ausstiegsorientiert und inhaltlich auf ideologische Auseinandersetzung angelegt sein. Wie das aber konkret aussehen kann, ist noch offen. Die pädagogische Debatte und Praxis stockt diesbezüglich seit zehn Jahren. Neue Impulse wären durchaus wünschenswert.
                                 
Zweitens fällt einem ein, dass die Dortmunder Szene nicht zu unterschätzen ist. Sie ist massiv gewaltbereit, gilt als nationaler Prototyp einer neuen Generation von Rechtsextremisten und gibt sich ideologisch gefestigt. Ein sozialarbeiterischer Kuschelkurs wird somit kaum möglich sein. Das ist auch dem Projektträger klar und entsprechend hält er Ausschau nach professionellen Partnern. Fraglich ist allerdings, ob der Zeitpunkt gut gewählt ist. Die Zahl der Gewalttaten steigt in Dortmund. Hintergrund dürften strategische Probleme der dortigen Szene sein. Der Raumkampf in ausgewählten Stadtteilen gerät an bürgergesellschaftliche Grenzen und die jährliche Großdemo geriet für die Nazis zum Fiasko. In einer solchen Phase besinnt sich die Szene auf eine alte Tugend: den gewalttätigen Straßenkampf. Keine gute Zeit für ein pädagogisches Experiment.
                                                       
Wer schützt die nicht-rechtsextremen Jugendlichen auch jenseits des Projektes?
                              
Auf massive Kritik stieß bereits die Antragsskizze. Über einen Wettkampf der Ideen zwischen rechtsextremen und nicht-rechtsextremen Jugendlichen sollte eine Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen Ideologien ermöglicht werden. Dieser Ansatz birgt tatsächlich zahlreiche Hürden und auch Gefahren. Bei den ersten Besprechungen bereits vor etwa zwei Jahren im Kreise möglicher Dortmunder Partner wurden dazu klare Fragestellungen entwickelt. Sie lauteten unter anderem:
                                                      

  • Wer schützt die nicht-rechtsextremen Jugendlichen vor allem auch jenseits des Projektes?
  • Wer garantiert wie ihre Sicherheit?
  • Wie gelingt die Arbeit mit der rechtsextremen Gruppen?                             
  • Welche Spielregeln gibt es? Wer setzt sie fest und um und wer kann Sanktionen durchsetzen?                                                 
  • Wie gelingt es, dass den Rechtsextremisten nicht lediglich nur eine öffentliche Plattform geboten wird, sondern dass es tatsächlich eine Auseinandersetzung gibt?                                                      
  • Wie gelingt es, dass die Rechtsextremisten nicht die anderen Jugendlichen zu sich rüberziehen?

                                                  
Diese und weitere Leitfragen kreisten vor allem um Fragen der Sicherheit und der Projektsteuerung. Allen Beteiligten war klar, dass ein Start des Projektes nur verantwortet werden kann, wenn diese Fragen schlüssig beantwortet werden können. Das Konzeptpapier wird auf sie Antworten geben müssen, wenn das Projekt noch eine Chance auf Umsetzung haben soll.
                                  
Effektive Strategien im Umgang mit Neonazis?

Angesichts dieser unklaren Situation überrascht die Heftigkeit der Debatte dann doch. Nachvollziehbarer wäre der Streit bei Vorlage des tatsächlichen Konzeptpapiers gewesen. Tatsächlich kreist die Diskussion auch um einen tiefergehenden Konflikt. Sie betrifft die Frage nach den Strategien des Umgangs mit rechtsextremen Gruppen. Weitgehender Konsens in Wissenschaft und Praxis besteht darin, dass es Maßnahmen der Prävention, der Repression besonders bei Gewaltfragen und der Demokratieförderung geben muss. Vernachlässigt wird allgemein der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Desintegration, Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Demokratieentleerung und Rechtsextremismus. Umstritten ist aber eine andere Frage, nämlich:  Braucht es auch pädagogische und/ oder politische Ansätze, die sich direkt mit rechtsextremen Gruppen befassen?
                                              
Drei Positionen stehen sich dabei gegenüber. Die Einen hoffen, dass eine starke Demokratie Rechtsextremisten keine Luft zur Entfaltung gibt und sie so isoliert. Andere glauben an das Werkzeug der Antifa: Aufklären, Demonstrieren, Widerstand leisten. Wieder andere meinen, es braucht auch einen Korridor für Rechtsextremisten, die ihre Szenen verlassen wollen. Vor allem aus dem Kreis von Aussteigerinitiativen wird oft betont, dass jedem Ausstieg ein Zweifel und jedem Zweifel oft ein fortlaufendes kritisches Gespräch und das Aufzeigen von sozialen und politischen Alternativen vorausgehen.
        
„Dortmund den Dortmundern“ will erkunden, ob es pädagogische Projekte geben kann, die diesen Zweifel durch die Arbeit mit der Gruppe generieren und damit Ausstiege vorbereiten. Dieser Gedanke verdient zunächst eine Chance. Seine Umsetzung darf scheitern, niemals darf sie aber Menschen gefährden. Eine Einbindung möglichst vieler Experten und Praktiker könnte das Risiko schon bei der Konzeptentwicklung reduzieren. Insgesamt dürfte das Dortmunder  Vorhaben  angesichts der medialen Aufgeregtheit jedoch nur noch dann eine Chance haben, wenn  zügig realistische und konzeptionelle Linien vorgestellt werden, was dieses Projekt eigentlich will und wie es aussehen soll. Dabei müssen die oben gestellten Fragen schlüssig beantwortet, die aktuelle Lage in Dortmund berücksichtigt und ein Stufenverfahren eingerichtet werden, aus dem hervorgeht, welche Kriterien in jedem einzelnen Schritt des Projektes erfüllt sein müssen, um einen nächsten Schritt zu wagen.
      
Unabhängig davon lohnt es sich, über neue, ergänzende Wege der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nachzudenken. Im internationalen Kontext werden vor allem Formen der Deradikalisierung diskutiert. Deutschland hat diese fruchtbare Debatte leider noch nicht erreicht.
            
Dr. Dierk Borstel, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung,  war zunächst für die wissenschaftliche Begleitung vorgesehen, hat dem Projekt aber bereits im letzten Jahr absagen müssen.


In der antifaschistischen Zeitschrift LOTTA  erschien ein ausführlicher Artikel von Torben Heine zu dem vom Bundesfamilienministerium geförderten Modellprojekt "Dortmund den Dortmundern": Mit Nazis spielen?

Farbanschlag auf Denkmal der Märzgefallenen in Dortmund, Foto: DortmundQuer via flickr, cc