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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Ein Kommentar von Anetta Kahane
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche zuerst? Die schlechte? Hier ist sie: Nun hat auch Amnesty International bestätigt, dass Deutschland ein großes Problem mit Rassismus hat. Und was ist die gute? Deutschland hat ein Problem mit Rassismus – und beginnt nun auch, es zu wissen. Das ist entscheidend, unsere Erfahrungen mit Rechtsextremismus bestätigen das. Ob Tatsachen ignoriert oder zur Kenntnis genommen werden, macht einen gewaltigen Unterschied.
Rassismus ist ein Problem, nicht „Fremdenfeindlichkeit“, nicht „Flüchtlingswellen“, nicht irgendeine Phobie vor Religionen, sondern Rassismus. Und zwar in allen denkbaren Formen. Als rohe Gewalt, als strukturelles Vorurteil, als Hass und Abwertung in allen Lebensbereichen. Machen wir uns nichts vor. Vieles von dem, was sogenannte Integrationsfragen sind, könnte man einfacher beantworten. Rassismus ist die Ursache für Ungleichbehandlung in Schulen, im Beruf, bei der Wohnungssuche oder – und das ist besonders unrecht – bei Polizei und Justiz. Menschen, die nicht weiß sind, erleben Feindseligkeit, Misstrauen, Abwertung, Ungerechtigkeit und jeden Tag die Erfahrung exponiert zu werden.
Eine der harmloseren Geschichten erlebte ich gerade erst. An einem Frühlingstag tollen Hunde auf der Wiese, ihre Menschen halten derweil ein Schwätzchen. Was es Neues gibt? Der Hundeflüsterer ist in Berlin. Toller Typ. Was noch? Kleingärtner verklagen Claus Kleber vom ZDF. Wegen Verleumdung und übler Nachrede. Er hatte festgestellt, dass in einer Schrebergartensiedlung bedenklich viele schwarz-weiß-rote Fahnen hingen, die Reichsdeutschland repräsentieren. Stimmt nicht, das sei eine Beleidigung, eine pauschale Zuschreibung, so viele seien es doch nicht. Einige der Hundefreunde lachen, andere sind empört. Nur einer erstarrt während des Gesprächs. Es ist der Besitzer eines kleinen Terriers. Dahin solle er dann wohl besser nicht gehen, murmelt er. Das Beschämende an der Situation: Jeder Anwesende weiß sofort, wovon die Rede ist. Denn dieser Hundefreund ist schwarz.
Dies zeigt, wie bekannt und akzeptiert Rassismus in der Mehrheitsbevölkerung ist. Alle wissen das; die Betroffenen tragen diese Realität buchstäblich auf ihrer Haut und bleiben in ihrer Persönlichkeit dadurch nicht unbeeinflusst. Dass diejenigen, die dieses Problem nicht haben, darüber gern hinwegsehen, ja es gar nicht als Problem wahrnehmen, macht es umso schlimmer. Doch das ändert sich gerade, so lautet ja die gute Nachricht. Dieser Prozess ist schmerzhaft und erfordert viel Mut.
Er beginnt mit Wahrnehmung. Vor einigen Jahren habe ich die Verwendung des Wortes Rassismus in den allermeisten Fällen als hohle Formel wahrgenommen. Sie war Teil von Slogans oder Projekttiteln. Sie war auch mal Kampfbegriff in einer Generalkritik am Staate. In all diesen Formen verschleierte sie mehr, als sie sagte. Denn in den meisten Fällen ließ sie sich nicht auf die realen Probleme ein, jedenfalls nicht die der betroffenen Menschen. Ihre Perspektive spielte selten eine Rolle. Das ändert sich gerade. Und zwar nicht, weil die weiße Bevölkerung ein Einsehen hat, sondern weil es diejenigen mit Rassismuserfahrung nicht mehr hinnehmen wollen. Sie sind selbst handelnde Personen und wollen als solche gesehen werden. Sie sind nicht einfach Opfer von Rassismus oder Objekte der Diskriminierung, sie beanspruchen, gleichwertiger Teil der Gesellschaft zu sein, Subjekte ihres Handelns – und zwar in allen Lebensbereichen, nicht nur in der einen Eigenschaft, sich als Minderheit fühlen zu müssen. Das ist eine tolle Entwicklung. Sie wird die Gesellschaft in Deutschland beschäftigen, es wird Streit und Konflikte geben, Debatten und Tränen, Stolz, Hoffnung und Niederlagen. Aber es passiert etwas.
Die Amadeu Antonio Stiftung wird auch vom Prozess gegen die Freitaler Terroristen berichten, die Flüchtlinge und Helfer tyrannisiert haben. Es ist wichtig, hier genau hinzuschauen und die Dinge nicht im allgemeinen Pessimismus untergehen zu lassen. Doch darüber hinaus interessiert uns die Perspektive, mit der im Mainstream darüber reflektiert wird. Unsere Aufgabe ist es, diejenigen zu unterstützen, die nicht allein auf die Täter schauen, sondern klipp und klar machen, was Rassismus für alle bedeutet, die ihn erleben. Hinsehen, zuhören, handeln und nicht einfach wegwischen! Konzentriert wird dies an vielen Orten in Deutschland während der Internationalen Wochen gegen Rassismus geschehen, die so viel Beteiligung erleben wie noch nie. Es wird ein langer Weg. Und die gute Nachricht ist, dass wir ihn nun gemeinsam gehen. Alles andere wäre unerträglich.