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„Zivilgesellschaftliches Einmischen ist unbequem und soll es sein“

Das Antidiskriminierungsbüro Leipzig (ADB) wurde für seine wichtige Arbeit und seine vielseitigen Ansätze gegen Diskriminierung für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert. Das ADB freute sich über diese Wertschätzung hatte aber auch Kritik am Preis. Warum genau, das erfragte die Mut-Redaktion im Interview mit Doris Liebscher vom ADB.

Mut: Was war für das ADB an der Preisvergabe kritikwürdig?

Liebscher: Zwei Wochen vor der Preisverleihung wurden wir von der Amadeu Antonio Stiftung aufgefordert, eine Antiextremismusbestätigung für das Innenministerium Sachsen zu unterzeichnen. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass die Staatsregierung die Nominierung von dieser Unterzeichnung abhängig gemacht hatte. Diese Voraussetzung finden wir in doppelter Hinsicht problematisch. Sie stellt eine Missachtung der Jury und der Initiativen dar. In einem langwierigen Auswahlprozess wurden Projekte herausgesucht, die sich für Menschenrechte und gelebte Demokratie einsetzen. Es führt erstens diesen Auswahlprozess ad absurdum, wenn die Staatsregierung von allen Nominierten ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und eine Überprüfung von Projektpartnerinnen verlangt. Das bedeutet zweitens eine misstrauische „Endkontrolle“ zivilgesellschaftlichen Handelns. Da offenbart sich ein ziemlich problematisches Demokratieverständnis der Staatsregierung.

Mut: Und der Preis selbst?

Liebscher: Wir wollen nicht den Preis an sich kritisieren. Er würdigt Engagement von Projekten, denen sonst viel politischer Gegenwind entgegenschlägt. So wurde ja letztes Jahr der Rote Stern Leipzig ausgezeichnet, mit dem wir auch schon zum Thema Fußball und Rassismus zusammengearbeitet haben. Dieses Jahr sollte das AKuBiZ ausgezeichnet werden, das präventiv gegen Neonazismus zugrundeliegenden Einstellungen, wie Antisemitismus und Rassismus vorgeht und auch die Lebenssituation von Flüchtlingen in Sachsen thematisiert. Das ist eine Gemeinsamkeit mit dem ADB. Doch mit diesem Ansatz macht man sich nicht nur Freundinnen. Denn diese Arbeit verlangt nicht nur floskelhafte Bekenntnisse gegen Extremismus, sondern man legt den Finger in die Wunde und kritisiert z.B. Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft, in lokalen Medien oder in der Ausländerpolitik und nicht nur deren vermeintliche Ränder. Deshalb ist die ideelle und materielle Anerkennung durch den Preis sehr wichtig. Auch die Arbeit des ADB ist bedroht. Wahrscheinlich wird uns nächstes Jahr eine von zwei halben Stellen gekürzt und wir können dann unsere Arbeit nicht so fortsetzen, wie wir es gern tun würden. Qualitative Beratungsarbeit kann man nun mal nicht ehrenamtlich machen. Auch die Existenz des ADB ist von Projektgeldern und Förderprogrammen abhängig. Wir haben deshalb schon vor der Verleihung des Förderpreises auf das Problem des Extremismusansatzes aufmerksam gemacht. Auch weil das Label „Arbeit gegen Rechtsextremismus“ für uns kein klarer Begriff ist und Antidiskriminierungsarbeit in ihrer gesellschaftlichen Breite nicht adäquat beschreibt.

Mut: Was genau ist mit „Floskel“ gemeint?

Liebscher: Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, das in der Erklärung verlangt war, scheint kein Problem zu sein. Doch dieser Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist ziemlich inhaltsleer. Man muss sich dazu Gedanken machen. Genauso wie zum Begriff Demokratie. Das ADB füllt diesen Begriff mit den Menschenrechten, also individuelle Freiheit und damit verbunden Gleichheit – und zwar gleiche individuelle, politische wie soziale Teilhabe für alle. Demokratie bedeutet für uns nicht nur den Gang zur Wahlurne und das Berufen auf die Polizei. Demokratie bedeutet Partizipation, zivilgesellschaftliche Einmischung und politischer Streit. Außerdem sind Menschenrechte im Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Bundesverfassungsgericht ihn definiert hat, nur ein kleiner Teil. Zum überwiegenden Teil werden darin konstitutionelle staatsrechtliche Prinzipien wie zum Beispiel die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder die Chancengleichheit für Parteien und Unabhängigkeit der Gerichte beschrieben. Das spielt für die NGO-Arbeit aber keine große Rolle – hier ist die demokratische Komponente: die Menschenrechte und die Frage nach der tatsächlichen politischen Partizipation viel wichtiger. Auch das Kriterium der Volkssouveränität kann ganz unterschiedlich interpretiert werden. Es gibt Stimmen, die die die repräsentative Demokratie als „undemokratisch“ kritisieren und lediglich direkte Demokratien als „demokratisch“ akzeptieren. Darüber muss man reden dürfen ohne als extremistisch gebrandmarkt zu werden.

Mut: Schließlich ist die Zivilgesellschaft ja nicht der Staat?

Liebscher: Genau. Der zweite Teil der zu unterzeichnenden Klausel beinhaltete die Überprüfung von Projektpartnerinnen und -partnern. Wir lehnen das auch ab, weil wir unabhängig arbeiten und keine staatliche Behörde sind. Wir untersuchen nicht wie der Verfassungsschutz Organisationen, sondern haben eigene Ansprüche anhand derer wir beispielsweise unsere Referentinnen aussuchen. Und unsere Ansprüche können wir klar inhaltlich formulieren, wohingegen der Verfassungsschutz sehr formale und nicht trennscharfe Kriterien hat. Für uns liefert beispielsweise der Unrast-Verlag wichtige Bücher zum Thema Rassismus und Diskriminierung. Für den Verfassungsschutz in NRW ist er aber unter dem Schlagwort „diskursiver Linksextremismus“ eingeordnet. Der Verlag hat dagegen geklagt. Ein weiteres Beispiel: Das ADB veranstaltete vor kurzem einen Workshop zum Thema „racial profiling“ mit dem Kriminologen und Polizeibeamten Martin Hernkind von amnesty international. Hier ging es um behördlichen und polizeilichen Rassismus. Menschen, die nicht weiß sind, werden oft von der Polizei auf öffentlichen Plätzen kontrolliert und nach ihren Papieren gefragt. Wenn sie nachfragen, auf welcher Grundlage die Kontrollen stattfinden, werden sie nur noch mehr schikaniert. Somit üben wir auch Kritik an rassistischen Verfahren und Strukturen staatlicher Behörden. Rassismus ist nicht nur bei Neonazis zu verorten. Wenn man nicht unabhängig arbeiten kann, weil man Angst hat, dass solche Kritik als staatsfeindlich eingeordnet wird, ist diese unabhängige Arbeit schwierig zu machen.

Mut: Der sächsische Innenminister erklärte in einer Pressemitteilung, dass eine Grenze überschritten ist, wenn das Grundgesetz kritisiert wird.

Liebscher: Das Bekenntnis zum Grundgesetz ist von Beamten zu leisten. Sie stehen im Staatsdienst – nicht die NGOs. Denn NGOs sind unbequem und genau das ist auch ihre Aufgabe in einer lebendigen Demokratie. Sie kritisieren und kontrollieren eben auch staatliches Handeln. Und können auch das Grundgesetz kritisieren. So lehnte vor kurzem der Verein „Bunte Gärten“ den Sächsischen Integrationspreis ab, weil das Grundrecht auf Asyl, das in Anbetracht des Nationalsozialismus ins Grundgesetz geschrieben wurde, nur noch ein zusammengekürztes ist. Mittlerweile überprüft sogar das Bundesverfassungsgericht die Anwendung der Drittstaatenregelung in Art. 16 a Grundgesetz, nach der Deutschland Flüchtlinge einfach in „sichere“ Drittstaaten, über die die Menschen eingereist sind, abschieben kann. Doch so sicher sind diese Drittstaaten nicht. Griechenland gilt eigentlich als solches. Die Zustände für Flüchtlinge sind da allerdings katastrophal. Also prüft auch das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz. Im nächsten Jahr wird dazu ein Urteil zu erwarten sein. Warum auch nicht? Das gehört zur Demokratie dazu. Sollen NGO´s das nicht kritisieren dürfen?

Mut: Wenn das ADB also das Grundgesetz an den eigenen Kriterien misst, stellt es Probleme fest?

Liebscher: Ja, das Grundgesetz ist auch in anderer Hinsicht nicht optimal. So gilt das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz nicht in Bezug auf die sexuelle Orientierung und Identität. Als ADB sagen wir – im Einklang mit vielen LGBT-Organisationen, Jurist/innen und Politiker/innen, dass da was fehlt und wollen, dass es aufgenommen wird. Dazu hat vor kurzem sogar eine Bundestagsanhörung stattgefunden. Oder schauen wir uns Artikel 11 an. Hier ist das Recht auf Freizügigkeit, also Bewegungsfreiheit festgelegt. Das gilt im Grundgesetz aber nur für Deutsche. Es ist ein sogenanntes Deutschengrundrecht. Das Recht auf Bewegungsfreiheit gilt zum Beispiel nicht für Menschen mit einem Duldungsstatus. Für sie gilt die Residenzpflicht. Das bedeutet, wenn sie in Halle gemeldet sind, brauchen sie eine Erlaubnis der Ausländerbehörde, um zum Beispiel an unserer Beratung einer unserer Workshops oder an einem Fußballturnier in Leipzig teilnehmen zu können. Wenn sie ohne Erlaubnis ihren Landkreis verlassen und kontrolliert werden, müssen sie ein Ordnungsgeld zahlen. Die Strafen gehen bis hin zur Abschiebung. Bewegungsfreiheit gilt im Grundgesetz also nicht für alle, sondern nur für Deutsche. Und das ist natürlich kritikwürdig.

Mut: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei Eurer Arbeit.
Das Interview führte Nora Winter.

Foto: Michel Balzer via Flickr, cc
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Doris Liebscher ist Juristin mit dem Schwerpunkt Antidiskriminierungsrecht- und –kultur. Seit 2005 ist sie im unabhängigen Antidiskriminierungsbüro Sachsen in Leipzig engagiert. Zurzeit promoviert sie an der HU Berlin zum Begriff „Rasse“ im deutschen Antidiskriminierungsrecht.
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Gemeinsamer Appell der Nominierten des Sächsischen Förderpreises
 

Alle reden von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung

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