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Der französische Historiker und Politologe Jean Yves Camus ist einer der besten französischen Experten für Rechtsextremismus. Er arbeitet mit dem „Institut de relations internationales et stratégiques“ (IRIS ist ein unabhängiges französisches Institut für strategische und internationale Beziehung) sowie mit der deutschen Bertelsmann Stiftung zusammen. Aus diesem Grund kennt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus in Frankreich und Deutschland sehr gut aus. Er erklärt die Situation, in der sich die französische rechtsextremistische Partei „Front National“ (FN) nach ihren politischen Niederlagen bei den Kommunalwahlen vom März 2008 befindet. Und er berichtet über Umtriebe deutscher Rechtsextremer im Elsass.
Das Interview führte Julian Perdrigeat
MUT-Redaktion: Herr Prof. Camus, bei Jean Marie Le Pen, dem Vertreter des französischen Rechtsextremismus, löst die, von den Medien genutzte Bezeichnung „rechtsextremistische Partei“ Unmut aus. Er benutzt viel lieber den Begriff „nationale Rechte“. Was meinen Sie dazu?
Jean Yves Camus: Das ist eine Debatte, die so alt ist, wie die Front National selber. Die Definition der Politikwissenschaft lehrt uns, dass die Front National eine rechtsextremistische Partei ist. Wenn nur Journalisten den Begriff benutzen würden, dann würde ich mich auch davon distanzieren. Aber ich kenne keinen einzigen seriösen Politologen, der die Front National nicht als rechtsextremistische Partei bezeichnet.
Die Front National hat verstanden, dass der Begriff ehrenrührig ist, weil er ihr ein schlechtes Bild gibt. Aus diesem Grund befürwortet Jean Marie Le Pen einen weniger spektakulären Begriff, der positiver wirken soll. In meinem ersten Buch (mit René Monzat, Les droites nationales et radicales en France, Lyon, Presses universitaires de Lyon, 1992) habe ich auch den Begriff « nationale Rechte » benutzt, aber in einem breiteren Rahmen, um die verschiedenen Stufen des Nationalismus der Rechtsparteien darzustellen.
Natürlich vertritt die FN eine deutlich radikalere Stufe des Nationalismus bezüglich der extra-parlamentarischen rechtsextremistischen Parteien.
Die Front National gehört zu der politischen Familie des Rechtsextremismus. Die Bezeichnung „rechtsextremistische Partei“ wäre zu stark für Philippe de Villiers und seine Partei „le Mouvement Pour la France“ (MPF). Für Jean Marie Le Pen ist sie allerdings berechtigt. Warum?
Die FN befindet sich bezüglich der kritischen Themen, wie z.B. Forderung nach Ordnung
und Autorität, Xenophobie und Ethnozentrismus, Verständnis der nationalen Geschichte, besonders des Zweiten Weltkrieges, außerhalb des republikanischen Konsenses.
Außerdem ordnen sich die Wähler der Front National selber dem rechten Spektrum zu.
Wer sind die Wähler der Front National? Können Sie uns eine kleine soziologische Beschreibung des typischen Wählers aufstellen?
Es gibt pauschal zwei Wählerschaften der Front National. Die erste ist bürgerlich. Sie kommt ursprünglich aus der nationalen Rechten, wurde aber enttäuscht und radikalisierte sich in Folge darauf. Sie war stark in den achtziger Jahren (80-88).
Die andere Wählerschaft ist eher populär und vertritt Arbeiter, die unter ihrer prekären Lage oder sogar unter der Vorausnahme der Unsicherheit ihres sozialen Status leiden. Sie wählen folglich die Front National.
Die Wählerschaft der Front National ist eher männlich. Es gibt ein „gender-gap“ in der Partei von Jean Marie Le Pen. Das heißt, es wird nicht einfach für Marine Le Pen, wenn es soweit ist, die Partei ihres Vaters zu übernehmen. In der FN herrscht eine autoritäre Vision der Gesellschaft, wo Regeln der Ordnung und Ausschließung anderer Gruppen überwiegen.
Man muss auch erwähnen, dass der Großteil der Wähler rassistisch ist, was den rechtsradikalen Ruf der Partei untermauert.
Zuletzt kann man sagen, dass die Wählerschaft der FN dem Christentum entfernt ist.
Das politische Engagement der Wähler in der Partei ist umgekehrt proportional zur
Stufe ihrer religiösen Praxis, besonders die der katholischen.
Während des letzten Wahlkampfes 2007 haben Jean Marie Le Pen und seine engen Berater eine neue Strategie entwickelt. Das Ziel war ein fremdenfreundliches Bild zu erschaffen.
Die FN wollte damit zeigen, dass sie bereit war, die Integration von Bürgern mit Migrationshintergrund zuzulassen, vorausgesetzt, dass die Tür für die nächsten definitiv geschlossen bleibt.
Diese Strategie wurde mit diesem Plakat illustriert. Es war eine jungendliche Frau mit maghrebinischem Aussehen abgebildet. In Wahrheit kommt diese Frau allerdings aus den französischen Überseegebieten (Dom Tom). Diese Strategie erklärt auch warum Jean Marie Le Pen Argenteuil besuchte, eine Stadt (in Val d’Oise, ein Gebiet im Nord-Westen von Paris, d.R.) in der die maghrebinische Gemeinschaft relativ groß ist. Der Versuch, die maghrebinische Gemeinschaft zu beeinflussen war allerdings ein Reinfall. Der Anteil von französischen Muslimen, der die FN wählt, liegt grade mal bei 4 Prozent. Das ist übrigens genauso viel, wie bei der jüdischen Gemeinschaft.
Die französischen Wähler haben also an der Ehrlichkeit der Front National gezweifelt?
Natürlich. Wenn man die Reden von Jean Marie Le Pen hört und die Dokumente der Partei liest, versteht man ganz schnell, dass in der Realität alles so geblieben ist, wie es war, d.h. dass die Front National immer noch rassistisch und xenophobe ist.
Nicolas Sarkozy hat die Präsidentschaftswahl gewonnen. Während der Kampagne hat er viele Themen von Le Pen salopp übernommen. Damit wollte Nicolas Sarkozy die Wähler von Le Pen beeinflussen und für sich gewinnen. Welche Rolle spielte Nicolas Sarkozy bezüglich der Niederlage der Front National?
69 Prozent der Wähler, die Le Pen 2002 unterstützt haben, wählten 2007 in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl Sarkozy. Das ist sehr viel. Der Hauptgrund dafür ist,
dass die Franzosen jemanden wählen wollten, der fähig war, wünschenswerte Fortschritte
und Änderungen herbeizuführen, sagt Stéphane Rozès von dem audiovisuellen Institut CSA
(Conseil Supérieur de l’Audiovisuel).
Niemand hat daran geglaubt, dass Le Pen dazu im Stande sein wird, seine Macht zu Gunsten des Volkes einzusetzen.
Nicolas Sarkozy sprach während der Kampagne über die „nationale Identität“, den Stolz,
ein Franzose zu sein, „das Gesetz und die Ordnung“ und die „Wanderbewegungen“.
Obwohl Nicolas Sarkozy ein System vertritt, welches von den FN-Wähler verurteilt wird, hatte er trotzdem einen bedeutenden Vorteil: Man konnte sich darauf verlassen, dass er wenigstens einen Teil seiner Versprechungen wahr machen würde. Nicolas Sarkozy war der glaubwürdigere Kandidat von den Beiden, was ihm schlussendlich zum Sieg verhalf.
Wie erklären Sie das Scheitern der UMP (Union pour un Mouvement Populaire / Bündnis für eine populäre Bewegung), der Partei von Nicolas Sarkozy, bei den Kommunalwahlen im März 2008?
Zuerst mit der demobilisierten Wählerschaft der UMP. Zusätzlich kommt dazu, dass die FN-Wähler, die Sarkozy 2007 unterstützt haben, nun nicht mehr für ihn gestimmt haben.
Grund dafür ist die Erweiterungspolitik, (Erweiterungspolitik meint, dass die Regierung zunehmend mit Ministern aus dem linken Spektrum erweitert wurde) die die FN-Wähler
nicht bereit sind zu akzeptieren. Sie behaupten, dass sich die Lage in Frankreich nicht wirklich verändert hat, vor allem was die Immigrationsfrage und die Einkaufskraft betrifft.
Aber was soll man über die gewählte Immigrationspolitik („politique d’immigration choisie“) der Regierung denken, die die Einwanderer per Quote wählt, je nach ihrem Ursprungsgebiet? Oder über das Ziel des Ministeriums für Immigration, Integration, nationale Identität und solidarischer Entwicklung, wenn man 25.000 Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung pro Jahr ausweist?
Die gewählte Immigrationspolitik, wie Ausweisungen von Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung, reicht den FN-Wählern einfach nicht aus. Sie befürworten ausschließlich den sofortigen Stop der Integration von Einwanderern in die Gesellschaft.
Sie wollen sogar eine Umkehrung der Einwanderungsbewegungen erreichen,
d.h. die Ausweisung aller Ausländer.
Für die populäre Wählerschaft sind die Themen Arbeitslosigkeit und Arbeitskraft entscheidend. Nicolas Sarkozy ist es während der Kampagne gelungen, die populäre Wählerschaft ihren Arbeiterstolz wiederzugeben. Aber mit der Senkung der Arbeitskraft,
mit der Manipulation von Arbeitslosenzahlen und mit der sozialen Unsicherheit ist die Wählerschaft unzufrieden. Sie steht auch nicht traditionell auf der Seite der USA.
Folglich sind sie enttäuscht, weil Nicolas Sarkozy sich offensichtlich nach den USA kehrt.
Es ist eine Wählerschaft, die skeptisch gegenüber Globalisierung und der „Europäischen
Union“ ist. Nicolas Sarkozy hingegen entwickelt weiter sein Projekt von „Mini europäischen Verträgen“. Während der Kampagne hat Nicolas Sarkozy Le Pen trotz allem den Wind aus den Segeln genommen.
Wenn sie mit der Aussage übereinstimmen, dass Nicolas Sarkozy für die Schwächung der FN verantwortlich ist, was ist dann ihrer Meinung nach die beste Lösung für eine Demokratie: Eine schwache rechtsextremistische Partei, deren Ideologie zum Teil von der konservativen Rechten beeinflusst wird? Oder eine rechtsextremistische Partei, deren Ziele und Ideologie sich stark von der konservativen Rechten unterscheiden, allerdings mit dem Risiko, dass sie eine wichtige Rolle im politischen System spielt?
Was Frankreich betrifft: Keine von den Beiden. In Großbritannien, kann man sich den Luxus leisten, eine starke rechtsextremistische Partei zu haben, weil das politische System verhindert, dass eine solche Partei im Parlament sitzt, eben mit einem höheren politischen Ergebnis.
In Frankreich ist es unterschiedlich. Als die FN entstanden ist, konnte sie bereits von Anfang an die Wahlen gewinnen, dank des Systems der Triangulaire (System des Dreieckes: Mit 12,5 Prozent der Stimmen kann eine Partei in die zweite Runde der kommunalen Wahl kommen. Manchmal bleiben drei Parteien. Oft konnte die FN die konservative Rechte erpressen, indem sie entweder in die zweite Runde kam, oder aufgab, mit dem Versprechen Sitze im Parlament zu bekommen d.R.) Die Rechte wurde also schnell von den rechtsextremistischen Thesen kontaminiert und das bereits Anfang der 80er Jahren.
Sie hoffte, dass sie die rechtsextremistischen Wähler erreichen könnte, indem sie einen Teil aus der Rede der FN übernahm. Ohne zu verstehen, dass diese Wähler sowieso keinen politische Menschen trauen und unterstützen würden. Für die Rechten können die Maßnahmen gegen Immigration gar nicht streng genug sein.
Schlussendlich lässt sich sagen, eine rechtsextremistische Partei, die 15 Prozent erreicht,
ist gefährlich weil sie politisch relativ stark ist. Wenn diese Partei nur 5 Prozent erreicht,
ist auch das negativ, denn wenn die extremistische Rechte politisch verliert, hat sie ideologisch schon gewonnen. Diese Hypothese ist in Frankreich und GB relevant, nicht aber in Deutschland. Es gibt in Deutschland einen breiten Konsens gegen die extremistische Rechte, der das Entstehen einer solchen Partei verhindert. Doch fängt das System an rissig zu werden: Vor ein paar Jahren hätte ein Minister niemals so über Immigration und Delinquenz sprechen können wie Roland Koch es im hessischen Landtagswahlkampf getan hat.
Haben Frankreich und Deutschland dieselben Vorgehensweisen im Kampf gegen Rechtsextremismus? Gibt es Unterschiede?
In beiden Ländern engagiert man sich unterschiedlich. In Deutschland ist der Wille,
den politischen Extremismus zu überwachen – der übrigens in Deutschland eine politische Kategorie in sich ist, jedoch nicht in Frankreich – auf die Geschichte zurückzuführen.
Durch das Dritten Reich und die DDR haben die Deutschen gelernt, dass beide Extreme eine Gefahr für die Demokratie sind. Links wie Rechts. Die Überwachung und die Zensur kommen in Deutschland „a priori“ mit beruflichem Verbot und einer präventiven Auflösung von gefährlichen Gruppen.
In Frankreich haben wir nicht dieselbe Erfahrung der Geschichte. Man denkt, man ist immunisiert. Der politische Extremismus wäre nur einen Unfall oder eine Ausnahme, darüber hinaus haben wir eine Zensur „a posteriori“. Damit wir eine extremistische Gruppe auflösen können, muss sie vorher gehandelt haben. Erinnern Sie sich an Unité Radicale, eine rechtsextremistische Gruppe, die erst nach einem versuchten Attentat eines Mitglieds auf Jacques Chirac 2002 aufgelöst wurde. Nach dem deutschen Prinzip wäre sie schon vorher aufgelöst worden.
In Frankreich, besonders im Elsass, beklagen sich viele Bürgermeister, sie seien hilflos gegen die Versammlungen von Skinheads und anderen Mitläufern der extremen Rechten, die aus Frankreich und Deutschland kommen. Diese Leute benutzen falsche Vorwände, um Veranstaltungsorte zu bekommen und lassen die hilflosen Bürgermeister dann dabei zusehen. Außerdem gibt es weder in Frankreich noch auf regionaler Ebene Verfassungsschutz-Berichte, wie es in Deutschland der Fall ist.
Was halten Sie von einem Verbot der NPD?
Das Verbot der NPD scheiterte an der Geschichte der Infiltrierten, also der V-Leute, wie man in Deutschland sagt. Einige deutsche Geheimagenten sind in die NPD eingedrungen und an hohe Posten gelangt. Folglich wurde die Partei nicht verboten um Aufregung in der Presse zu vermeiden.
Generell kann man leichter eine kleine Gruppe verbieten als eine Partei, weil sie viele Anhänger hat. Mit einem Verbot der NPD besteht das Risiko, dass die Mitglieder sich radikalisieren. Die Furcht, dass sie sich nach einem Verbot in kleineren, bewaffneten und gefährlichen Gruppen zusammenfinden, ist real. Aus diesem Grund ist es klüger eine legale Bewegung zu erlauben, die aber gleichzeitig kanalisiert ist. Es ist eine Frage von Opportunität: Das letzte Wort haben immer die Geheimdienste, die genau wissen, ob eine Gruppe verboten werden soll, oder nicht.
Wir haben über Frankreich und Deutschland gesprochen, zum Schluss lassen Sie uns über Europa sprechen. Die Europäische Union bietet einen politischen, juristischen und wirtschaftlichen Rahmen, in dem die rechtsextremistischen Strömungen gemeinsame Ziele finden können, z.B. die Ablehnung des Türkeibeitritts. Kann man in sofern über eine Europäisierung des Rechtsextremismus sprechen?
Laut und deutlich: Nein. Seit Jahrzehnten scheitert die extreme Rechte daran eine europäische Partei zu gründen. Die Spaltungen sind zu groß. Zum Beispiel zwischen den deutschen und italienischen rechtsextremistischen Parteien und ihr Streit über Südtirol. Es gibt genug Streitigkeiten, welche verhindern, dass eine europäische rechte Partei entstehen kann.
Entwickeln die NPD und die FN Beziehungen?
Ja, aber sie sind nicht tiefgründig. Bei dem französischen Rechtsextremismus, gibt es eine deutschfreundliche Strömung mit einer Bewunderung für den Nationalsozialismus oder den preußischen Militarismus. Aber in Wahrheit wissen diese Leute nichts von Deutschland. Sie verehren dieses Vorbild für das, was sie sich selbst vorstellen. Nichts wofür es in Wirklichkeit mal stand. Wenige Leitpersonen des französischen Rechtsextremismus können Deutsch. Nur die „Nouvelle Droite“ (Die neue Rechte), die allerdings heute nicht mehr rechtsextremistisch ist, bezieht sich auf die konservative Revolution. Weil sie diese auch gut kennt.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de