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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Ein Gespräch mit Prof. Wolfgang Benz über ideale Gedenkkultur.
Herr Professor Benz, der 8. Mai ist vorüber und es fiel auf, dass in der der öffentlichen Berichterstattung auch immer wieder vom Kriegsende gesprochen wurde, statt vom Tag der Befreiung. Warum fällt das so schwer?
Das sind eigentlich Kämpfe, die vor 20 Jahren ausgetragen worden sind. Aber sicherlich, es fällt vielen schwer, sich als Befreite zu fühlen, insbesondere von der Roten Armee befreit. Mir hat selbst jemand gesagt: „Wissen Sie, bei der Vorstellung dass die Rote Armee uns befreit haben soll, dreht sich mir alles um.“ Von den Amerikanern wurde man lieber befreit. Aber ich glaube, das spielt in der Gedenkkultur keine zentrale Rolle mehr, solange man sich darüber einig ist, dass da nicht eine Katastrophe passiert ist, als Deutschland den Krieg verloren hat, sondern dass man erleichtert war, als der Krieg beendet wurde. Und da man sich dann in gemeinsamer Anstrengung zur Demokratiegründung begeben hat, sehe ich dieses Problem, wie man das nennt, nicht mehr als so gravierend an.
Der Bund hat erst in den neunziger Jahren ein Gedenkstättenkonzept erstellt. Warum so spät?
Ich denke, man sollte sich vor allem darüber freuen, dass diese stiefmütterlich behandelten Gedenkstätten jetzt in die Förderung des Bundes eingebettet sind und nicht darüber klagen, dass es solange gedauert hat.Außerdem brauchen die Gedenkstätten nicht nur staatliche Zuwendung, ob vom Land, oder vom Bund. Sie brauchen auch engagierte Bürger, das ist eigentlich das A und O der Gedenkkultur. Mit dem Restaurieren und Denkmal setzen ist es nicht getan. Und es darf nicht so sein, wie es an vielen Orten lange Zeit war, dass die Honoratioren am Ort nichts davon wissen wollten, oder dass der Bürgermeister das klein redet und sagt: „Das war ja gar kein KZ bei uns, sondern nur ein Arbeitslager, oder so etwas.“
Wie fügt sich das zentrale Holocaust-Mahnmal in das Gedenkstättenkonzept ein?
Ich hatte zuerst die Sorge, dass die Errichtung dieses Denkmals das Ende für die Gedenkstätten draußen im Land sein könnte. Dass dann Flossenbürg endgültig zugescharrt wird und dass Dachau oder Neuengamme verfallen, wie das viele auch sehr gern wollen, und wie das auch bei Lokalpolitikern nach dem Motto „Schwamm drüber“, beliebt war. Aber es ist nicht so gekommen, im Gegenteil, das Denkmal wirkt als Portal und hat die Förderung für die Gedenkstätten draußen im Lande wesentlich mit angestoßen. Deswegen bin ich ganz zufrieden und denke, dass sich das Berliner Monument als abstraktes Erinnerungszeichen sehr gut mit den Gedenkstätten im Land ergänzt.
In Gedenkstätten, sollen vor allem Jugendliche für Demokratie sensibilisiert werden. Trotzdem sehen wir, dass gerade junge Leute dem Rechtsextremismus wieder nachlaufen.
Völlig falsches Konzept, völlig falsche Idee, jetzt Toleranz- und Demokratieerziehung über Gedenkstätten zu machen. Wenn ein Richter einen auffällig gewordenen rechtslastigen Knaben dazu verurteilt, Gedenkstätten zu besuchen, dann wird da hinterher nicht ein frommer Demokrat herauskommen. Schulklassen müssen in die Gedenkstätten, das ist klar, das ist notwendig. Aber wozu? Um ein Stück nationalsozialistischer Realität lernend zu erfahren – nicht um zu guten Menschen herangebildet zu werden, das kann die Gedenkstätte nicht leisten, und das ist der große, fundamentale Irrtum, von dem man jetzt wohl so langsam Abstand nimmt. Allenfalls kann durch einen Gedenkstättenbesuch der Grundstein gelegt werden, auf dem sich anderes Wissen aufbaut. Aber diese moralischen Komponente lehne ich ganz strikt ab. Ich halte es für ein großes Unrecht, 15- oder 17-jährige in die Gedenkstätte zu schicken, damit sie ein schlechtes Gewissen und ungute Gefühle kriegen, oder am Ende noch eingeredet kriegen sollen, sie hätten irgendwie eine Mitschuld oder moralische Mitverantwortung.
Mehr Texte zum Thema in der Zeitschrift krieg*,
die in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale
für politische Bildung entstand.