100 Tage nach den Kommunalwahlen in sieben Bundesländern wurde in einem Werkstattgespräch mit anschließender Podiumsdiskussion, Handlungsstrategien im Umgang mit Rechtsextremen in kommunalen Gremien debattiert.
Über 660 Vertreter rechtsextremer Parteien sind bundesweit in Kommunal- und Landesparlamenten vertreten. Wo die Neonazis und Rechtspopulisten in die Parlamente einziehen, werden die demokratischen Abgeordnteten und die Zivilgesellschaft mit unangenehmen Fragen konfrontiert: Welche Ziele verfolgen die Neonazis in den Parlamenten? Wie gehen die demokratischen Vertreterinnen und Vertreter mit der Wortergreifungsstrategie der selbsternannten Nationaldemokraten um? Wie kann einer schleichenden Normalisierung entgegengewirkt werden? Und wie kann darauf hingewirkt werden, dass rechtsextreme Parteien nicht zu Dauergästen in deutschen Parlamenten werden? Diesen Fragen stellten sich Politikerinnen und Politiker von der Linkspartei, CDU, SPD und Bündnis 90 die Grünen bei der Diskussion über „Handlungsstrategien im Umgang mit Rechtsextremen in kommunalen Gremien“.
Neues Niveau rechtsextremer Aktivitäten
Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung hob in seinem Eingangsstatement die Bedeutung der Problematik hervor: „Es handelt sich hier nicht nur um einen weiteren Raum, den sich die Neonazis erschließen, sondern um ein neues Niveau auf das sich der Rechtsextremismus begibt.“ Dieses stelle eine neue Aufgabe für die anderen politischen Akteure dar. Die Geschäftsführerin des Vereins für demokratische Kultur in Berlin (VDK) Bianca Klose, wies dementsprechend darauf hin, dass ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen der demokratischen Parteien unerlässlich sei und man die Handlungsmöglichkeiten der Rechtsextremen einschränken müsse, ohne dabei in demokratische Strukturen einzugreifen.
Was wollen Neonazis in den Parlamenten?
Die Rechtsextremen verfolgen bei dem Kampf um parlamentarische Repräsentation verschiedene Ziele. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Stärkung neonazistischer Strukturen. So ging Miro Jennerjahn, der künftig Bündnis 90 die Grünen im sächsischen Landtag vertritt, darauf ein, dass die NPD 1,4 Milionen Euro pro Jahr an Fraktionsgeldern erhält. Diese Gelder fließen zum einen in Parteistrukturen zum anderen werden dadurch außerparteiliche neonazistische Strukturen, wie die gewaltbereiten Kameradschafen, unterstützt. Außerdem bewirke die parlamentarische Organisation eine Professionalisierung von Personal und Struktur. Matthias Schmidt, Bezirksverordneter der SPD in Treptow-Köpenick, sagte hierzu, dass die Neonazis an der eigentlichen parlamentarischen Arbeit überhaupt kein Interesse hätten. Vielmehr sei es für diese eine Bühne von der aus sie ihren Hass verbreiten könnten. Dieser Umstand schlage sich auch in Statistiken über die Zahl der Anträge nieder.
Strategie: Kümmerer vs. Neonazi
In den Anträgen zeige sich, so Schmidt weiter, eine Doppelstrategie. So werden einerseits Anträge gestellt, die sich ganz klar an den Interessen der Parteibasis orientieren, wie der Antrag auf Umbenennung der Position des Ausländerbeauftragen in „Beauftragter für Ausländerrückführung“. Andereseits Anträge, mit denen sie sich als bürgernahe Kümmerer präsentieren wollen. Als Beispiel nannte Schmidt hier die Forderung, eine Buslinie um einige Haltestellen zu verlängern.
Zum Umgang der demokratischen Fraktionen
Gerade die Beschäftigung mit solchen niedrigschwelligen Forderungen erfordert ein geschlossenes Auftreten der Demokratinnen und Demokraten. Sylvia Bretschneider, Landtagspräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, beschrieb detailliert das Vorgehen, auf das sich die Fraktionen dort geeinigt haben. Im Mittelpunkt des Umgangs steht die Einantwortstrategie. Dabei antwortet jeweils nur ein Abgeordneter der anderen Parteien auf Wortbeiträge der NPD. Dabei werde nicht allein die Ablehnung ausgedrückt, sondern der Inhalt der Anträge analysiert und der menschenfeindliche Kern entlarvt. Alle Beteiligten waren sich einig, dass dieses abgestimmte Vorgehen noch einen weiteren positiven Nebeneffekt habe: „Die demokratische Kultur unter den Abgeordneten hat sich deutlich verbessert.“ betonte beispielsweise Götz Ullrich (CDU), Kreistagsabgeordneter und Bürgermeister im Burgenland in Sachsen-Anhalt. Es gebe mehr gegenseitigen Austausch und ein respektvollerer Umgang habe sich etabliert.
In der Diskussion wurde deutlich, dass diese Maßnahmen wichtige Schritte sind. Das eigentliche Ziel ist, dass Neonazis und ihre Ideologie in Parlamenten keinen Platz haben. Frau Bretschneider forderte hierfür eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich menschenfeindliche Einstellungen nicht auf NPD-Anhänger beschränken, müsse Demokratie als Wert verstanden werden, der alle angeht.
Text & Foto: Martin Hünemann