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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Bei den Kommunalwahlen in Sachsen hat die völkische NPD nach bisherigem Stand 5,1 Prozent erreicht. Das sind weniger, als bei der Landtagswahl 2004, als die NPD über 9 Prozent erhielt, aber immerhin so viel, dass die NPD von nun an in jedem sächsischen Kreistag mit bis zu sechs Abgeordneten vertreten ist. Sie vervierfachte auf kommunaler Ebene annähernd ihre Stimmen. Das Ergebnis war vorherzusehen - denn Analysen lagen vor, aber es wurde nichts daraus gemacht.
Zusammengestellt von Holger Kulick
Zunächst das generelle Wahlergebnis der Kommunalwahlen vom 9.6.2008:
CDU: 39,5 Prozent (2004: 42,7 Prozent)
Die Linke: 18,7 Prozent (2004: 20,3 Prozent)
SPD: 11,5 Prozent (2004: 11,8 Prozent)
FDP: 8,3 Prozent (2004: 8,3 Prozent)
NPD: 5,1 Prozent (2004: 1,3 Prozent)
Grüne: 3,1 Prozent (2004: 3,4 Prozent)
In den Landkreisen konnte die NPD nach eigenen Angaben insgesamt folgende Anteile erzielen:
Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge: 8,2 Prozent
Erzgebirgskreis: 5,7 Prozent
Landkreis Meißen: 5,7 Prozent
Landkreis Görlitz: 5,5 Prozent
Landkreis Nordsachsen: 4,7 Prozent
Landkreis Leipzig: 4,6 Prozent
Landkreis Mittelsachsen: 4,5 Prozent
Vogtlandkreis: 3,6 Prozent
Landkreis Zwickau: 3,6 Prozent
Bei der Landratswahl im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge schnitt der Bewerber der NPD mit 7,5 Prozent sogar etwas besser ab als der SPD-Kandidat, der lediglich 7,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinte. Lesen Sie dazu ein Stern-Interview mit dem unterlegenem SPD-Kandidatem Ralf Wätzig, der zur Ursachenforschung sagt:
"Es ging, wohlgemerkt, um Kommunalwahlen. Ich habe aber wohl kaum in einem Wahlkampf bislang so wenig über Kommunalpolitik gesprochen. Die Leute haben mich auf die Rentenpolitik angesprochen, auf den Kurs von Kurt Beck, die Zusammenarbeit mit der Linken im Bund. Und oft war ein diffuses Grummeln auf "die da oben" zu hören. Das greift die NPD natürlich auf - deren Wahlkampf-Themen hatten mit Kommunalpolitik nichts zu tun."
Ergebnis-Grafik aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge: FDP 7,9; NPD 7,5; SPD 7,4 Prozent...
Zur NPD-Hochburg wurde wieder die Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna, wo die Nationaldemokraten wie schon bei der Landtagswahl 25,2 Prozent erhielten. Dieses Ergebnis hat die Amadeu Antonio Stiftung damals schon in einer Studie analysiert, Folgerungen zog die Politik bislang offensichtlich nicht.
Als weitere lokale "Hochburgen" listet die NPD jetzt auf:
Reinhardtsdorf-Schöna: 25,2 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Neißeaue: 14,9 Prozent
(Landkreis Görlitz)
Kirnitzschtal: 14,5 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Rathmannsdorf: 13,5 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Neukirch: 12,3 Prozent
(Landkreis Bautzen)
Stadt Sebnitz: 12,3 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Trebsen/Mulde: 12,3 Prozent
(Landkreis Leipzig)
Porschdorf: 12,2 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Gohrisch: 12,1 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Stadt Hohnstein: 12,1 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Schönteichen: 11,9 Prozent
(Landkreis Bautzen)
Kreba-Neudorf: 11,7 Prozent
(Landkreis Görlitz)
Stadt Bad Schandau: 11,6 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Weißig am Raschütz: 11,3 Prozent
(Landkreis Meißen)
Klitten: 11,2 Prozent
(Landkreis Görlitz)
Kurort Rathen: 10,9 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Dohma: 10,8 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Stadt Königstein: 10,8 Prozent
(Sächsische Schweiz – Osterzgebirge)
Lampertswalde: 10,8 Prozent
(Landkreis Meißen)
Tauscha: 10,7 Prozent
(Landkreis Meißen)
Liebschützberg: 10,6 Prozent
(Landkreis Nordsachsen)
Stadt Kamenz: 10,4 Prozent
(Landkreis Bautzen)
Stadt Jöhstadt: 10,3 Prozent
(Landkreis Erzgebirgskreis)
Mücka: 10,0 Prozent
(Landkreis Görlitz)
Dazugewonnen hat die NPD aber nicht. Im Vergleich zu den Landtagswahlen 2004 verlor sie sogar mindestens 30.000 Stimmen und fiel von 190.909 auf 160.149 - allerdings hatte jeder Wähler bei der Kommunalwahl drei Stimmmen, so dass schwer zu berechnen ist, wie viele zwei oder dreimal für die NPD votiert haben. Auch von der Wahlbeteiligung her ist ein Vergleich schwierig - sie lag bei der Kommunalwahl deutlich niedriger.
Die NPD war erstmals in allen zehn neuen Kreisen angetreten und hatte in sieben Kreisen auch eigene Kandidaten bei den Landrätewahlen ins Rennen geschickt, die zwischen fünf und 7,6 Prozent der Stimmen erreichten. Die NPD selbst kommentierte genüsslich noch zwei andere Aspekte dieser Wahl, denn sie avancierte offensichtlich zur erfolgreichsten unter den kandidierenden Rechtsaußenparteien. So habe es eine "Wachablösung" mit der DSU gegeben, vermeldete der sächsische NPD-Politiker Holger Apfel:
"...Im Jahr 2004 erreichte die Deutsche Soziale Union (DSU) bei den Kreistagswahlen ohne die kreisfreien Städte noch 23 Mandate und war damit die stärkste Kraft rechts der Union auf Kreisebene. Diesmal konnte die DSU nur noch 12 Kreistagsmandate gewinnen, was beinahe einer Halbierung ihrer Mandatszahl entspricht. Die NPD ist nun auch auf Kreisebene unangefochten die stärkste nationale Kraft!....Auffällig ist auch, daß auch der konservative Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche weit hinter seinen hochgesteckten Erwartungen zurückblieb. Im Kreis Meißen blieb er mit gerade einmal 0,2 Prozent der Stimmen in der Bedeutungslosigkeit, und selbst in seiner Hochburg, dem Landkreis Bautzen, gelang es ihm nicht, an der NPD vorbeizukommen... ".
Auch in Pirna erhielt die NPD mehr als 8 Prozent der Stimmen, obwohl sich die Stadt mit ihrem Bürgermeister (Plakat oben) sehr gegen Rechtsextremismus engagiert. Die dortige Aktion Zivilcourage kommentiert: "...Die Ergebnisse der Kommunalwahl im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge am 8. Juni 2008 sind leider unseren Erwartungen entsprechend ausgefallen. Die NPD hat es scheinbar geschafft, zu einer wählbaren Partei für einen Teil der sächsischen Bürgerinnen und Bürger zu werden. Die demokratischen Parteien müssen endlich erkennen, dass es sich bei den Wählern der rechtsextremen NPD nicht nur um Protestwähler handelt, sondern dass es der Partei offenbar gelungen ist, einen festen Wählerstamm aufzubauen und weitgehend zu halten..."
Die NPD habe es geschafft, einen festen Sockel von Stammwählern zu rekrutieren, resümiert in einer Wahlanalyse auch Frank Jansen im Tagesspiegel: "Sockel + X". Auf diesen Sockel eines stabilen , politik- und systemverdrossenen Wählerpotenzials könne die NPD offenbar auch in anderen ostdeutschen Ländern zählen. Je nach Region liege er zwischen drei und sieben Prozent. Jansen schreibt weiter:
"Mit „x“ sind die hin und her schwankenden Protestwähler gemeint, die dem mehr und mehr ideologisierten Stammwählersockel hinzugerechnet werden müssen. Die NPD nimmt der Linkspartei einen Teil des sozial frustrierten Protestpotenzials weg (erst recht, wenn es auch auf Law and Order programmiert ist) und versucht, diese Klientel langfristig an sich zu binden. Das gilt vor allem für wirtschaftlich besonders schwache Gebiete wie Ostsachsen und Vorpommern, zumal wenn politisierte Jungnazi-Cliquen trotz aller Konflikte mit der Partei für sie werben. Dort sei die NPD auf dem Weg, sich als ostdeutsche Regionalpartei zu etablieren, sagen Verfassungsschützer, allerdings auf „einstelligem Niveau“. Eine Minderheit der Bevölkerung scheine die ständige Beschwörung der „Volksgemeinschaft“ durch die NPD-Propaganda zu überzeugen. Die Kommunalwahlen in Sachsen waren da nach Ansicht von Sicherheitsexperten eine Art Test auf Nachhaltigkeit.
In Sachsen haben selbst die vielen Krisensymptome den „Sockel plus x“ kaum irritiert: nicht der Abgang von vier Landtagsabgeordneten der NPD, nicht die Ermittlungen gegen den Ex-Abgeordneten Matthias Paul in einer mutmaßlichen Kinderporno-Affäre, nicht der „Bombenholocaust“-Eklat im Landtag, nicht der Mangel an Charisma bei Fraktionschef Holger Apfel, nicht der Unfalltod des in der Sächsischen Schweiz teilweise populären, einheimischen Abgeordneten Uwe Leichsenring, nicht der starke Verlust von Parteimitgliedern. Immerhin verabschiedeten sich im vorigen Jahr 150 der 1000 sächsischen Nationaldemokraten. Die Partei habe wohl doch von der Präsenz im Landtag profitiert, sagt ein Verfassungsschützer. Vor allem da, wo „Menschen mit Gesichtern“ in der Bevölkerung verankert seien. Und wo die NPD nach Wahlerfolgen wachsende, auch staatliche Finanzmittel für die Agitation am Ort einsetzen kann. Das sei der Unterschied zur DVU, die meist nur bei Wahlkämpfen mit Materialschlachten Aufmerksamkeit errege, aber kaum im Alltag anzutreffen sei..."
Die NPD selbst hatte ihren Grund-Sockel Wählerstimmen in Sachsen allerdings höher eingeschätzt, dennoch reicht er ihr um weiter Selbstbewusstsein zu tanken vollkommen aus und dürfte ihr auch Mut für die Kommunalwahlen in Thüringen im nächsten Jahr machen, wo sie noch in keinem Parlament vertreten ist. Da dort die 5-Prozent-Hürde fällt, wird sich dies absehbar ändern.
Alles vorherzusehen? In Reinhardtsdorf-Schöna ist die NPD sogar stärker als die CDU (siehe obige Wahlgrafik).
Woran es liegt, dass die NPD einen so stabilen Zulauf hat, kommentiert auf Nachfrage von MUT die Stiftungsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane:
"Die Leute sollen aufwachen in Reinhardtsdorf-Schöna? Das empfiehlt dort der Bürgermeister, doch Aufwachen alleine reicht nicht aus. Niemand setzt sich dort - aber auch andernorts - offensiv mit den Inhalten der NPD auseinander. Skandalisieren ist wichtig, ja. Aber dann auch dagegen halten. Auch Ausdifferenzieren und nicht das ganze Dorf in eins setzten! So wie das die Bürger dort verlangen, aber nun auch andersrum. Wer sich die Jacke nicht anziehen will, soll sich eben wehren, sonst wird sie einem eben doch übergestreift.
Ist das Dorf sich nicht einig dass Nazis OK sind, ist Abwehrhaltung und Viktimisierung nicht der richtige Weg, die Auseinandersetzung zu führen. Die Gemeinschaft ist nicht das Höchste, die Konformität ebenso wenig. Sondern die Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber, die Verantwortung und eine Haltung, die auf Gemeinschaft zielen mag nicht aber im Dulden und Schweigen den Weg dahin sieht. Denn das hat noch nie funktioniert. Es war richtig, was die Beratungsteams und Initiativen bisher gemacht haben, abe rnur ein ein erster Schritt. Nun wird es Zeit für einen Zweiten. Und dann einen Dritten. Das Erbe von Sozialismus und Nationalsozialismus lässt sich nicht einfach mal so überwinden. Es braucht Zeit und Unterstützung von allen Demokraten."
Zur Studie des Amadeu Antonio Stiftung über Reinhardtsdorf-Schöna: http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/buecher/broschuere-rechter-alltag-schoena/
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Grafiken: Landeswahlleiter, Fotos: H.Kulick