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Steigt die rechte Gewalt auch in Westdeutschland?

Heute berät der Bundestag über den neuen Bundeshaushalt. Die Amadeu Antonio Stiftung fordert, darin Mittel für Opferberatungsstellen in Westdeutschland festzuschreiben. Denn es ist davon auszugehen, dass die Zahl rechtsextremer Gewalttaten nicht nur im Osten, sondern auch im Westen gestiegen ist. Im Gegensatz zu den ostdeutschen werden die westdeutschen Opferberatungsstellen jedoch nicht institutionell gefördert.

Von Lisa Herbst und Sophie Bose

Gestern haben die ostdeutschen Opferberatungsstellen in einer gemeinsamen Pressekonferenz die Zahlen rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt für 2013 vorgestellt. Im Vergleich zu 2012 sind die Gewalttaten um 18 Prozent angestiegen. Sie gehen davon aus, dass die Anzahl in Westdeutschland sehr ähnlich ist – allerdings liegen hierfür keine verlässlichen Zahlen vor und das Dunkelfeld ist noch größer als im Osten. „Mein persönlicher Eindruck ist, dass insbesondere rassistische Straftaten steigen. Im ersten Quartal des Jahres 2014 hatten wir bereits so viele Fälle wie im gesamten ersten Halbjahr 2013“, erklärt Herr Ulik von der Opferberatungsstelle BUD in Bayern. Allerdings fehlen die Ressourcen, um die Straftaten verlässlich zu dokumentieren, da viele Fälle die Opferberatungsstelle gar nicht erst erreichen. „Wir haben kein hauptamtliches Personal und werden nur durch Projektförderung finanziert. Eine Verstetigung der Mittel ist daher dringend notwendig“, so Ulik weiter. In der Jahresbilanz 2012 der Opferberatungsstelle BACK UP aus Nordrhein-Westfahlen wird diese Tendenz ebenso deutlich. Zahlen für das Jahr 2013 liegen aus NRW bis jetzt noch nicht vor.

Westdeutschen Opferberatungsstellen fehlt es an festen Strukturen

Trotz unterschiedlicher Ausgangsniveaus hat sich in den letzten Jahren die Entwicklung in Ost- und Westdeutschland immer mehr angeglichen. Ein Indiz dafür ist die mehr als verdoppelte Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte des Bundeskriminalamtes. „Trotz allem bleibt Westdeutschland ein großes Dunkelfeld und wir können uns nur der Forderung der ostdeutschen Beratungsstellen nach einem bundesweiten Netz von Beratungsstellen anschließen. Dafür bieten jetzt die aktuellen Haushaltsverhandlungen des Bundes eine gute Gelegenheit. Gerade heute hat der Familienausschuss mit der zuständigen Ministerin den Einzelplan beraten. Wir brauchen hier eine Aufstockung der Mittel vor allen für Westdeutschland und die Verankerung von Opferberatungsstellen als Strukturprojekt", sagt Timo Reinfrank, Koordinator der Amadeu Antonio Stiftung.

Opferberatungsstellen stärken die Betroffenen

Denn die fehlenden Strukturen westdeutscher Opferberatungsstellen haben weitreichende Konsequenzen für Betroffene rechter Gewalt. Laut EU-Grundrechteagentur werden lediglich 20 Prozent aller rassistischen Übergriffe angezeigt. Ein Hauptgrund ist insbesondere das fehlende Vertrauen in staatliche Stellen. Der Gang zur Polizei ist vielen Betroffenen zu hochschwellig. Denn Opfer rechter Gewalt müssen hier oftmals erleben, dass ihnen nur wenig Glauben geschenkt wird. Oft wird ihnen unterstellt, dass sie Mitschuld an ihrer Situation tragen oder sie werden letztendlich zu den eigentlichen Tätern gemacht. Gerade deshalb braucht es flächendeckende Beratungsangebote unabhängig von staatlichen Stellen. Betroffene Menschen gehen diesen niedrigschwelligen Weg eher, als die Polizei zu kontaktieren. Viele Opfer brauchen die Unterstützung von Anderen, um Mut zu finden, den Angriff zur Anzeige zu bringen. Wie groß der Mangel an derartigen Beratungsstellen in Westdeutschland ist, zeigt sich auch bei den Zuwendungen des Opferfonds CURA für Betroffene rechter Gewalt: „Gerade mal ein Viertel aller Anträge auf Unterstützung nach einem rassistischen Angriff erhalten wir von westdeutschen Opferberatungsstellen“, so Anna Brausam vom Opferfonds CURA. „Doch die Fälle, von denen wir Kenntnis erlangen, sind sehr schockierend.“ Wie schwierig es ist als Betroffene oder Betroffener rechter Gewalt Unterstützung zu erhalten, wird am Bundesland Niedersachsen deutlich. Denn hier existiert weder eine eigenständige Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt noch andere Opferberatungsstellen, die sich auf das Thema spezialisiert haben. Aufgrund der fehlenden Anlaufstellen beraten daher die Expertinnen und Experten des Mobilen Beratungsteams Hamburg auch im größeren Umfeld der Metropolregion, bis nach Niedersachsen hinein, wie die Journalistin Marion Kraske in den letzten Monaten recherchiert hat.

Rassistische Beleidigung im Bus

So auch im Fall von Frau G.: Im August 2010 wird die Frau in einer norddeutschen Heidestadt von einer Busfahrerin der öffentlichen Verkehrsbetriebe mit den Worten „Der Schwatte da hinten hat kein Ticket“ beschuldigt ohne Fahrschein Bus zu fahren. Völlig entsetzt über die rassistische Aussage der Busfahrerin verlässt Frau G. den Bus. Eine Zeugin des Vorfalls folgt ihr und überzeugt Frau G. die Polizei einzuschalten, um Anzeige zu erstatten. Das Strafverfahren wurde jedoch eingestellt, der Beschwerde nicht stattgegeben. Weil Frau G. keine passende Beratung in Niedersachen fand, suchte sie Unterstützung beim Mobilen Beratungsteam Hamburg. Hier wurde gemeinsam mit Frau G. eine Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eingereicht. Der Versuch einer gütlichen Einigung mit dem Busunternehmen scheiterte zuvor, da die Kosten für das in Auftrag von Frau G. erarbeitete Angebot des Mobilen Beratungsteams als zu hoch eingeschätzt wurde: In einer 1,5-stündigen Antidiskriminierungsworkshops sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Busgesellschaft geschult werden.

Frau G. verlor jedoch den Prozess. Obwohl es ausreichend Anlässe für eine Berufung gegeben hätte, entschied sie sich aufgrund der psychischen Belastung dagegen. Trotz dieses unzufrieden stellenden Ergebnisses unterstützt das Beratungsteam Frau G.s Entscheidung. Der Opferfonds CURA hat die Anwaltskosten übernommen. Dadurch erlebt die Betroffene neben der Unrechtserfahrung im Bus sowie der Ohnmachtserfahrung vor Gericht nicht auch noch finanzielle Nachteile aus dem Versuch der Anklage.

Bundesweite Finanzierung der Opferberatungsstellen ist notwendig

Opferberatungsstellen leisten einen enorm wichtigen Beitrag zur Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalttaten und zur Verringerung der Dunkelziffer. Dies bestätigt die aktuelle Studie „Opfer rechtsextremer Gewalt"  von Andreas Böttger, Olaf Lobermeister und Katarzyna Plachta. Momentan stehen die westdeutschen Opferberatungsstellen jedoch aufgrund der mangelnden Finanzierung vor großen Schwierigkeiten. Deshalb fordert die Amadeu Antonio Stiftung eine Festschreibung der Finanzierung im neuen Bundeshaushalt für ganz Deutschland.

Foto: Sascha Kohlmann (CC BY 2.0)

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