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Unter falscher Flagge

Ein „Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit“ wollte Berlins Polizeichef Dieter Glietsch setzen, als er am Mittwoch mitteilte, dass vor dem Polizeipräsidium in Tempelhof am nächsten Tag zum ersten Mal die Regenbogenfahne gehisst werden sollte. Die Polizei der Bundeshauptstadt wolle damit ihre Bereitschaft zeigen, unterschiedliche Lebensweisen der Menschen zu akzeptieren. Willkommen in den 90ern.

Ein Kommentar von Christopher Egenberger

Ob die Berliner Polizei damit wirklich in der Lebenswirklichkeit der Berliner angekommen ist, darf zumindest bezweifelt werden Denn Glietsch schlägt von Seiten seiner Beamtenschaft heftiger Widerstand entgegen. Der Bund deutscher Kriminalbeamter (BdK) erklärte, die Kollegen wären „verunsichert und verärgert“. Hilfe erhält der BdK von der CDU, in Person ihres innenpolitischen Sprechers Frank Henkel. Dieser ergriff sofort die Chance, während der Fussball-EM noch schnell einmal die nationale Karte zu ziehen.

Der Streit hat sich nämlich insbesondere an der Tatsache entzündet, dass der Polizeipräsident seinen Beamten zuvor untersagt hatte, ihrerseits anlässlich der EM an ihren Dienstwagen eine Deutschlandfahne anzubringen. Auch wenn beflaggte Autos auf Berlins Strassen mittlerweile zum gewohnten Bild gehören, ist doch die Anordnung des Polizeichefs mehr als verständlich. Man stelle sich nur einmal vor, es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen Anhängern der deutschen Mannschaft und denen eines anderen Teams. Und die nahende Hilfe kommt am Ort des Geschehens mit wehenden Deutschlandfahnen an. Glietsch hat ohne Frage Recht, wenn er fordert, dass die Neutralitätspflicht gewahrt bleiben müsse. Schließlich muss jeder Berliner, egal welchem Team er sich verschrieben hat, das gleiche Vertrauen in unsere Freunde und Helfer haben können.

Das gilt im besonderen Maße für eine Stadt, in der fast eine halbe Millionen Mitbürger keinen deutschen Pass haben und die zusammen mit den unzähligen Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund Berlin seinen unverwechselbaren, weltoffenen Charakter geben. Es ist somit schlichtweg falsch, dass Glietsch „mit zweierlei Maß“ misst, wie Henkel auf der Homepage der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kolportiert. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob eine Behörde ein Zeichen toleranten Miteinanders setzen will oder ob Einzelpersonen an ihren Dienstwagen ein persönliches Statement abgeben. Wenn dies erlaubt werden würde, was käme als nächstes. Heiratsanträge über die Lautsprecheranlage, Wahlempfehlungen auf Strafzetteln oder gar Polizeibeamtinnen mit Kopftuch?

Henkels Einwürfe sind nicht nur falsch, sondern auch im hohen Maße gefährlich, wenn er nämlich die Gelegenheit ergreift, einen positiven und unverkrampften Patriotismus zu postulieren. So schreibt er:

„Es würde Herrn Glietsch gut zu Gesicht stehen, auch einmal tolerant gegenüber seinen eigenen Beamten zu sein. […] Auch die Berliner Polizei sollte die Möglichkeit haben, ihre Begeisterung für die deutsche Elf offen zu zeigen. Im Gegensatz zu Herrn Glietsch sind die Beamtinnen und Beamten zu einem positiven, unverkrampften Patriotismus sehr wohl fähig."

Es würde Herrn Henkel gut zu Gesicht stehen, hier nicht die nationale Karte zu spielen. Sicherlich gehören Fahnen zu einem Sportereignis wie der EM, aber es ist gewiss nicht die Zeit, im Bierdunst der Fanmeilen über eine Wiederbelebung eines deutschen Nationalismus zu schwadronieren. Dazu den Polizeipräsidenten als vaterlandslosen Gesellen hinzustellen, ist nicht nur wenig originell, sondern erinnert auch an politische Traditionen, die wir in Deutschland besser ruhen lassen sollten.

Es wirkt mehr als unglücklich, wie Herr Henkel versucht, die Begeisterung der Masse während der EM zu instrumentalisieren und gegen eine Randgruppe wie Homosexuelle auszuspielen. Verbirgt sich hinter dem Jubel für das deutsche Team doch allzu oft nur dumpfer Nationalismus. Gerade wenn sich Europas Nationalmannschaften zum sportlichen Kräftemessen treffen, sollten Freundschaft und Toleranz im Vordergrund stehen.


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